Edward Saids Essayband »Die Welt, der Text und der Kritiker«

Die Eroberung des Exils

Dossier Von Claudia Basrawi

Über Edward Saids Essayband »Die Welt, der Text und der Kritiker«.

Während sich im angloamerikanischen Sprachraum fast schon eine "neue Generation von Edward Saids" herausgebildet hat, Literatur- und Politikstudenten vor allem, junge Wissenschaftler und Publizisten, die die Thesen Saids aufgreifen, kritisieren, ausweiten und vertiefen, ist er in Deutschland noch immer relativ unbekannt geblieben. Said wurde zwar in diesem Jahr für einen Vortrag zur documenta nach Kassel eingeladen, seine Bücher werden übersetzt und rezensiert, doch sein wichtigstes Werk "Orientalism" (1979) erschien bisher nur in einer unzulänglichen Übersetzung des Ullstein Verlags Anfang der achtziger Jahre und ist seither vergriffen. Auch die meisten Orientalisten an den Universitäten meiden Edward Said. Sie nehmen ihn zwar zur Kenntnis, fühlen sich aber, da Said den Begriff "Orientalismus" politisiert hat, in ihrem Selbstverständnis als "objektive Wissenschaftler" angegriffen.

So wurden Saids Bücher mit dem Stempel "Polemik" versehen und gelten als Beispiel für provozierende Kritik an einem Fach, das schon einmal bessere Zeiten erlebt hat. Denn, obwohl sich Deutschlands Eintritt in die Weltpolitik in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts, verglichen mit anderen europäischen Großmächten, sehr spät vollzogen hatte, haben die deutschen Orientalisten auch ohne Kolonien im Nahen Osten das Orientbild Europas im neunzehnten Jahrhundert entscheidend geprägt.

Der "Emporkömmling Deutschland" hatte kaum Kolonien und die Zahl derer, die aus den besetzten oder kolonialisierten Gebieten herüberkamen, blieb völlig unbedeutend. Amerika und England haben als Einwanderungsländer und als Kolonialmächte eine sehr lange Geschichte. Für viele wurden diese Länder zum politischen Exil - wobei die Politik dieser Großmächte erst ein neues Exilantentum hervorgebracht hatte.

Auch Edward Said, der 1935 in Jerusalem geboren wurde, ist Exilant. Seine Familie floh nach der Gründung des Staates Israel nach Ägypten. Er besuchte dort eine britische Schule, die ihn wegen "schlechten Betragens" entließ, woraufhin er seine Ausbildung in New England, Princeton und Harvard fortsetzte. Dort promovierte er über Joseph Conrad, ebenfalls ein Exilant. Das Thema "Exil" und "Heimatlosigkeit" (im guten Sinne) ließ Edward Said seither nicht mehr los und taucht auch in dem jetzt bei S. Fischer erschienenen Essayband "Die Welt, der Text und der Kritiker" auf, dessen amerikanische Originalausgabe bereits 1983 erschienen ist. Obwohl die deutsche Ausgabe um drei Essays schlanker ist und 14 Jahre später erscheint, hat sie ihre Aktualität nicht eingebüßt.

Streng genommen ist "Die Welt, der Text und der Kritiker" ein Spezialistenbuch, ein Buch über Literaturkritik. Leser, die weder mit Joseph Conrad, Jonathan Swift oder George Eliot noch mit Textkritik vertraut sind, werden jedoch trotzdem auf ihre Kosten kommen, denn Said ist ein "public Intellectual", was er auch mit seinen 1993 für die BBC produzierten "Reith Lectures" (über die Rolle des Intellektuellen) bewiesen hat. Edward Said erklärte damals, daß durch die ontologische Heimatlosigkeit des Intellektuellen eine funktionalistische Art des Schreibens unvermeidlich würde.

Ebenso wie in "Orientalism" und "Kultur und Imperialismus" liest Said auch in dem jetzt erschienenen Band bekannte Werke des 19. und 20. Jahrhunderts neu, das heißt: gegen den Strich, und beraubt sie so ihres Charakters als reines Kulturprodukt. In seiner Literaturkritik betrachtet er vor allem den politischen Hintergrund, vor dem diese Werke entstanden sind; dabei entkommen nur wenige seiner scharfen Kritik.

Said verbindet verschiedene Methodologien, die alle die kritischen Debatten der letzten drei Jahrzehnte widerspiegeln: Phänomenologie, linguistischer Strukturalismus, Semiotik, Dekonstruktivismus und eine kontrapunktische Geschichtsauffassung. Diese Konstellation führt oft zu Spannungen und Widersprüchen; kein Wunder, daß Said dadurch immer wieder in die Kritik geraten ist. Doch ganz gleich ob die Kritiker aus dem linken oder konservativen Lager kamen, die meisten verfingen sich nur in gängigen Klischees. Wenigen ist es gelungen, Saids Diskurs weiterzuführen

"Die Welt, der Text und der Kritiker" liefert eine Fülle von Material: Conrad, Wilde, Eliot, Joyce, Swift u.a. werden dabei von der reinen Textualität der Literaturtheorie zurück in ihre "Weltlichkeit" geführt. So sieht Said zum Beispiel Jonathan Swift nicht nur als Literaten, sondern auch als einen hervorragenden Verfechter des kritischen Bewußtseins. Kritiker seien ebenso wie Schriftsteller "nicht einfach alchemistische Übersetzer von Texten in reale Umstände"; auch sie seien Lebensverhältnissen unterworfen und in Zeit, Ort und Gesellschaft eingebunden, mögen ihre Methoden noch so objektiv sein. Die Weltlichkeit von Texten bezieht Edward Said in seinem Essay "Über Originalität" auch auf den Diskurs über Ursprünglichkeit und Original. Angeregt von Foucault und Deleuze fragt Said: "Denn was könnte (im schlechten Sinne) platonischer sein als in der Literatur die Kopie zu sehen, in der Erfahrung ein Original und in der Geschichte eine Linie, die sich vom Ursprung in die Gegenwart bewegt?"

Wer "Die Welt, der Text und der Kritiker" liest, kann nicht umhin, nach anderen Autoren Ausschau zu halten, die Edward Said beeinflußt haben wie zum Beispiel Frantz Fanon, Lila Abu-Lughod, Martin Bernal, Hayden White, Paul Gilroy und Eqbal Ahmed. Einige dieser "Heimatlosen" sind inzwischen ins Deutsche übersetzt worden. Sehr wichtig für Said waren in der Tat Exilanten oder Menschen, die sich ihrer Heimat entfremdet hatten, wie zum Beispiel der Literaturkritiker Erich Auerbach, der als jüdischer Flüchtling aus dem nazistischen Europa im Istanbuler Exil lebte. Dort schrieb er "Mimesis", eines der wichtigsten Werke der Literaturkritik. Auerbach war sich darüber bewußt, welchen Einfluß seine Situation als Exilant auf die Arbeit an diesem Buch hatte. In einem späteren Aufsatz "Philologie der Weltliteratur" zeigt sich Auerbachs Interesse an Hugo von St. Victor, der im 12. Jahrhundert geschrieben hatte: "Der Mensch ist noch köstlich, dem seine Heimat süß ist; stark, wer sich auf jedem Boden heimisch fühlt; vollendet aber ist der, dem die ganze Welt als Exil erscheint." Dieses Zitat, allerdings in einer anderen Übersetzung findet sich auch bei Tzvetan Todorov ("Die Eroberung Amerikas, das Problem des Anderen"), einem Bulgaren, der in Frankreich lebt.

Edward W. Said: Die Welt, der Text, und der Kritiker. S. Fischer 1997, 312 S., DM 49