Gewerkschaftstage lechts und rinks

Die vergangene Woche war gewerkschaftsstressig: Politischer Streik, Lohnzurückhaltung, gegen Schröder, für Gerhard und ein neuer Bundestagskanditat - wer blickt da noch durch?

Rechtzeitig zu den Gewerkschaftstagen in der letzten Woche veröffentlichte das Handelsblatt einen Gastkommentar des früheren SPD-Arbeitsministers Herbert Ehrenberg: Von 1992 bis 1996 seien bei einem Wachstum des Bruttosozialprodukts von 13,3 Prozent die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 30,7 Prozent gestiegen, die Lohn- und Gehaltssumme um 4,3 Prozent. "Diese drastische Verschiebung im Sinne der Angebotstheorie brachte jedoch nicht die versprochenen Wachstums- und Beschäftigungseffekte", resümiert Ehrenberg. Mit anderen Worten: Die von den Gewerkschaften mitgetragene Lohnzurückhaltung brachte nichts. Dagegen verkündete der ehemalige MSB-Spartakus-Vorsitzende, DKP-Parteivorstandsmitglied und heutige stellvertretente Chefredakteur der Berliner Zeitung, Franz Sommerfeld, die Gewerkschaften täten gut daran, sich eine "gewissen Offenheit auch den beiden Volksparteien CDU und CSU" gegenüber zu bewahren. Lechts und Rinks sind auch nicht mehr das, was sie früher mal waren.

Nein, Gewerkschaftstage sind keine staubtrockene Angelegenheit. Manchmal gibt es sogar etwas zu lachen. Wie zum Beispiel letzte Woche in Bielefeld, wo die Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK) ihren 15. und vorletzten Ordentlichen Gewerkschaftstag abgehalten hat. "Eine Bundesvorstandssitzung des DGB stelle ich mir so vor: Sagt IG-Chemie-Chef Hubertus Schmoldt zum IG-Metall-Chef Klaus Zwickel: 'Mensch, du, deine Rede neulich, die war wirklich gut, wer hat sie dir geschrieben?' Antwortet Zwickel: 'O, Hubertus, das freut mich, wer hat sie dir erklärt?'" Dieses Schmankerl packte der Redakteur der Holzarbeiterzeitung, Klaus Brands, in seine Rede und erntete donnernden Applaus.

Bei der kleinsten Gewerkschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) - noch zählt die GHK 166 000 Mitglieder - ist vieles anderes. Sie gehört zum linken Flügel, ist selbstbewußt und fordert schon mal das Recht zum politischen Streik. Ein Delegierter der GHK hat bei einem Spaziergang durch Bielefeld mitbekommen, daß bei der Schilderfabrik Warweg gestreikt wird. Die IG Medien will hier einen Haustarif durchsetzen. Sieben lange Streikwochen ist es der IG Medien nicht gelungen, ihren Protest über die Grenzen Bielefelds hinaus bekannt zu machen. Der GHK-Delegierte schnappte sich eine IG-Medien-Kollegin, die vor dem GHK-Kongreß über den Streik berichten mußte. Dann beschlossen die Delegierten, die Mittagspause zu verlängern und die Streikenden zu besuchen.

IG-Metall-Chef Zwickel, der von der DGB-Bundesvorstandssitzung aus Düsseldorf angedüst kam, wunderte sich, als er in die leere Bielefelder Stadthalle kam. Da kennen die GHKler nämlich nichts: Streik ist wichtiger als Reden zuhören. So mußte der mächtige Metaller über eine Stunde warten, bis er seinen Vortrag halten konnte und bekam auch gleich einen Eindruck von der Aufmüpfigkeit der "Holzwürmer."

In Hannover fand letzte Woche auch ein Gewerkschaftstag statt. Das war der 1. Ordentliche Kongreß der IG Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE). Da ging es weniger lustiger, dafür aber umso staatstragender zu. Der erste Kongreß war es deshalb, weil es diese Gewerkschaft vorher gar nicht gab. Dafür gibt es jetzt die Gewerkschaft Leder, die IG Chemie, Papier, Keramik und die IG Bergbau und Energie nicht mehr.Bei der IG BCE sprach Gerhard Schröder und sagte eigentlich nichts, was erwähnenswert wäre, ebenso DGB-Chef Dieter Schulte und SPD-Vorsitzender Oskar Lafontaine.

Zeitgleich mit den Zusammenkünften in Bielefeld und Hannover fand in Hamburg der 17. Ordentliche Kongreß der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) statt. Da stimmt mit dem Zählen irgend etwas nicht. Die IG BAU hieß nämlich früher IG Bau-Steine-Erden und vereinigte sich 1994 in Dresden mit der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft (GGLF) zur IG BAU. Streng genommen war es also erst der zweite Gewerkschaftstag. IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel beklagte, daß der Flächentarifvertrag seine ordnungspolitische Funktion verloren habe; dennoch wolle man ihn in Zukunft "dynamisch" gestalten und sich stärker an der jeweiligen Situation der Betriebe orientieren.

Als die IG BAU noch eine reine Baugewerkschaft war, gab es einst einen Vorsitzenden, der hieß Georg Leber; er wurde irgendwann Bundestagsabgeordneter und war dann bald Verteidigungsminister. Ob der wiedergewählte IG-Bau-Vorsitzende Wiesehügel in einer SPD-geführten Bundesregierung ein Ministeramt - Bauminister läge nahe anstrebt - ist offen. Erst mal will er für den Bundestag kandidieren, weil, wie er sagte, nicht nur er und die SPD-Mitglieder in seiner Gewerkschaft von Kohl genug haben. "Auch die CDU-Mitglieder in unserer Gewerkschaft", so Wiesehügel in Hamburg, "haben die Schnauze von dieser Regierung voll".

Einige Tage vor dem Gewerkschaftstag hat Wiesehügel zusammen mit IG-Medien-Chef Detlef Hensche und dem bayerischen ÖTV-Vorsitzenden Michael Wendl einen Aufruf mit dem Titel "Wir brauchen nicht nur einen Regierungswechsel - Wir brauchen einen wirtschaftspolitischen Richtungswechsel" unterzeichnet. In dem Aufruf wird davor gewarnt, mit Positionen in den Wahlkampf zu ziehen, die sich in "Teilbereichen nur unwesentlich von konservativen oder wirtschaftliberalen Konzepten" unterscheiden.

Die Frankfurter Rundschau goutierte den Aufruf, der auch von einigen Wissenschaftlern und einer ganzen Reihe sozialdemokratischer Funktionsträger unterzeichnet ist, mit: "Linker SPD-Flügel opponiert gegen Schröder-Vorgabe". Gleichwohl sollten die Kritiker ihren Aufruf nicht nur in die niedersächsische Staatskanzlei tragen, sondern auch zum Königsworther Platz - da ist die Zentrale der IG BCE. Deren Vorsitzender Hubertus Schmoldt wurde mit dem Politbüro-Resultat von 95,8 Prozent gewählt. Als es die DDR noch gab, zählten solche Ergebnisse als Ausdruck mangelnder Demokratie.

Die neue 1,1 Millionen Mitglieder zählende Gewerkschaft gab sich in Hannover ein Leitbild, das sich zur "sozialen Marktwirtschaft" bekennt. Man will mit einem "lösungs- und konsensorientierten Politikverständnis" die gewerkschaftlichen Ziele in einem "fairen Interessenausgleich" durchsetzen. Dazu gehöre unter anderem, die "Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Flächentarifvertrages mit flexiblen und differenzierten Regelungen" aufrechtzuerhalten. Darüber wird sich Schröder freuen. Ebenso darüber, daß die IG BCE im Gegensatz zur IG Metall nicht das "Ende der Bescheidenheit" einläutet und weiterhin auf "maßvolle" Lohnerhöhungen setzt. Das nahm dann wiederum der Verband der chemischen Industrie (VCI) zum Anlaß, seine Wachstumsprognose nach oben zu korrigieren. Wie VCI-Präsident Jürgen Strube in Frankfurt am Main mitteilte, erwarte die Branche ein Produktionsplus von rund sechs Prozent - noch im August wurden lediglich vier Prozent vorhergesagt.

Ganz andere Töne in Bielefeld: Die Frage des "politischen Streiks" dürfe für die Gewerkschaften kein Tabu sein, sagte zum Abschluß des GHK-Gewerkschaftstages der wiedergewählte Vorsitzende Gisbert Schlemmer. Die neue Gewerkschaftsheimat IG Metall - ab 1999 soll die GHK dort integriert sein - forderte Schlemmer auf, diese Position zu unterstützen. Und in nächster Zeit soll nach Schlemmers Vorstellungen "an einem Mittwoch" in Bonn eine Großdemonstration stattfinden: "Auch hier erwarten wir von unserem Wunschpartner IG Metall, uns in dieser Haltung zu unterstützen."