Friedensschluß mit Tücken

Guatemala: Die Regierung sabotiert den Friedensvertrag mit der Guerilla

Ein Jahr ist es her, seit die Regierung und die Guerilla ihre Unterschrift unter den "Vertrag über einen festen und dauerhaften Frieden" für Guatemala setzten. Mehr und mehr zeigt sich, daß das Dokument nicht mehr wert ist als das Papier, auf dem es festgehalten wurde. Ende November präsentierte die Regierung des Präsidenten Alvaro Arzœ einen Gesetzesentwurf, der die Armee des Landes für die innere Sicherheit des Landes verantwortlich machen soll. Da die Regierung über die Parlamentsmehrheit verfügt, steht der Annahme des Gesetzes wenig entgegen.

Allerdings müßte sie dazu den Friedensvertrag mit der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) verletzen, der ein Teilabkommen zur Rolle der Armee enthält. Nach dem im Dezember 1996 unterzeichneten Abkommen ist es die einzige Aufgabe der Armee, die Landesgrenzen zu verteidigen - für die innere Sicherheit, so der Vertragstext, soll die neustrukturierte Nationale Zivilpolizei zuständig sein.

Das Militär ist allerdings nie aus dem Straßenbild des Landes verschwunden. Militärpatrouillen gehören in der Landeshauptstadt zum Alltag, legitimiert werden sie mit der hohen Anzahl von Verbrechen; im Durchschnitt werden dort jede Woche65 Morde gezählt. Zudem wurden von der Regierung Arzœ wiederholt Militäreinheiten ins Landesinnere geschickt, um die "öffentliche Ordnung" zu schützen.

Allerdings bezweifeln nicht nur Menschenrechtsorganisationen, daß die Armee das geeignete Instrument dafür ist. Unvergessen sind die Massaker des Militärs während des 36jährigen Bürgerkriegs. Aber auch der im letzten Jahr aufgeflogene Schmuggelring unter Beteiligung ranghoher Militärs ist vielen Guatemalteken im Gedächtnis geblieben. Damals wurde eine mafiaähnliche Organisation ausgehoben, die für Autoschiebereien, Urkundenfälschung, Zollhinterziehung, Bestechung, Kidnapping und Erpressung verantwortlich gemacht wurde. Rund vierzig hochrangige uniformierte und zivile Beamte wurden damals vom Dienst suspendiert.

Auch auf der ökonomischen Ebene ist die Regierung auf Katastrophenkurs. Im Rahmen ihres Strukturanpassungsprogramms setzt sie auf Rationalisierung: Der Verwaltungsapparat soll gestrafft, die staatliche Telefongesellschaft, Krankenhäuser und Stromunternehmen sollen meistbietend veräußert werden. Zuvor sollen diese Unternehmen aber noch "fit" für den Markt gemacht werden, was einige tausend Angestellte den Job kosten wird.

Alternativen für das Heer der Erwerbslosen - die Arbeitslosenrate liegt bei etwa 50 Prozent - stehen allerdings nicht zur Verfügung, und entsprechende Programme sind derzeit nicht geplant. Dies gab Héctor Cifuentes, der Generalsekretär der PAN (Partei des Nationalen Fortschritts), die über die absolute Mehrheit im Parlament verfügt, Ende November bekannt. Auch über die Zielvorgaben im Haushaltsbereich, die im Friedensvertrag mit der URNG festgehalten sind, müsse Cifuentes zufolge neu verhandelt werden; die öffentlichen Kassen seien leer. In dem Vertrag hatte sich die Regierung verpflichtet, umgerechnet 200 Millionen Mark im Laufe des Jahres in den Ausbau des Erziehungs- und Gesundheitssystems und in ein Wohnungsbauprogramm zu stecken. Zudem sollten die ehemaligen Guerilleros einen finanziellen Grundstock und eine Ausbildung erhalten.

Kritiker unterstellen der Regierung, ihre Verpflichtungen gegenüber der Guerilla und der guatemaltekischen Gesellschaft nicht einzuhalten. Im Friedensvertrag war der Guerilla zugebilligt worden, sämtliche Konflikte um Ackerland, immerhin über 200 an der Zahl, würden einer Schlichtungskommission übertragen. Alle strittigen Landtitel sollten auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft, ein nationales Landkataster erstellt sowie ein Fonds für den Aufkauf und die Verteilung von Land an Bedürftige eingerichtet werden.

Doch bei der Realisierung dieser Vorhaben tut sich die Staatsführung überaus schwer. Zentrales Forum für den Dialog sollte eine dem Staatspräsidenten persönlich unterstellte Schlichtungskommission zur Beilegung aller Landkonflikte sein, so der im Friedensvertrag festgehaltene Kompromiß zwischen Regierung und URNG.

Doch schon bei der Konstituierung der Kommission unterlief Präsident Arzœ der erste Faux-pas: Als Leiter der Kommission ernannte der regierende Zuckerproduzent den ehemaligen Landwirtschaftsminister Luis Reyes Mayén. Dieser gilt als Vertreter der Großgrundbesitzer und stößt bei Landarbeiter-Organisationen auf strikte Ablehnung. Unter dem Druck des Dachverbandes der Kleinbauernorganisationen, die ohnehin nicht an der Kommission beteiligt worden waren, zog Alvaro Arzœ, Erbe einer der reichsten Familien des Landes, seinen Kandidaten wieder zurück.

Doch damit nicht genug. Nachdem die Kommission im Juli nun endgültig konstituiert war, definierte deren Präsident den Zuständigkeitsbereich der Kommission neu. Alle Fälle, in denen es zu Landbesetzungen gekommen war, sollten für die Kommission nun nicht mehr relevant sein, da kriminelle Akte wie Landbesetzungen im neuen guatemaltekischen Rechtsstaat vor die Gerichte und nicht vor die Schlichtungskommission gehören würden. Zudem wurde angekündigt, daß alle Landbesetzungen unverzüglich durch die Polizei zu beenden seien.

Damit standen die Campesinos vor einer vollkommen neuen Situation. Wie sollten sie ihre Interessen verteidigen, angesichts einer Regierung, die begann, gegen die Aktivisten der Landbewegung wegen "intellektueller Urheberschaft" von Landbesetzungen vorzugehen? Auch die Einrichtung des zentralen Fonds, der voraussichtlich den Großgrundbesitzern Land ab- und an Kleinbauern und Landlose weiterverkaufen soll, läßt bisher auf sich warten. Die Erfassung, Kategorisierung und Überprüfung sämtlicher Landtitel wird hingegen einige Jahre dauern, zumal derzeit in den Grundstücksverzeichnissen Besitztitel eingetragen sind, die die reale Fläche Guatemalas um das Dreifache übersteigen.

Mit den Großgrundbesitzern im Rükken, die in der mächtigen Interessen

vertretung der Unternehmer (CACIF) zusammengeschlossen sind, neigt die Regierung dazu, den Status quo zu erhalten. Sämtliche Ländereien, die sich Militärs, Großgrundbesitzer und Politiker durch Korruption, Ermordung und Vertreibung der ansässigen Bevölkerung während des Bürgerkriegs angeeignet haben, würden damit in deren Besitz verbleiben.

Allein das in den Händen der Agrar-Oligarchie liegende Brachland, knapp die Hälfte des Ackerlandes, würde ausreichen, um über 500 000 landlosen Familien eine Existenz zu sichern. Die Großgrundbesitzer nennen 67 Prozent des kultivierbaren Landes ihr eigen.