Wüste Zustände in Wusterhausen

In Brandenburg nimmt sich ein Gericht viel Zeit, um zwei Nazis zu verurteilen

Mehr als sechs Jahre, nachdem der niederländische Staatsbürger Jürgen de Vries vor dem damals von linken Jugendlichen und Künstlern besetzten Schloß Zeesen anschossen wurde, gibt es noch immer kein Urteil. Jetzt ist vor dem Landgericht Potsdam die Justiz in eine neue Runde gegangen. Die beiden bekannten Neonazis aus Königs Wusterhausen, die vor Gericht für die Tat verantworten müssen, sind weiter auf freiem Fuß.

Die Staatsanwaltschaft der brandenburgischen Landeshauptstadt hatte die Ermittlungen gegen die Angeklagten Erik Otto und Maik Paul systematisch verschleppt. Trotz Hinweisen von seiten des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz auf die Identität der Täter und obwohl eine Kronzeugin ausgesagt hatte, erhob die Staatsanwaltschaft erst im Mai 1996 Anklage gegen Otto und Paul - wegen gefährlicher Körperverletzung. Im Frühjahr dieses Jahres entschied das Jugendschöffengericht am Amtsgericht Königs Wusterhausen auf Antrag des Nebenklage-Vertreters Christoph Kliesing, die Anklage auf "versuchten gemeinschaftlichen Totschlag" zu erhöhen und das Verfahren an das Landgericht Potsdam zu verweisen. Kliesing hatte zudem Haftbefehle gegen Otto und Paul gefordert. Der Staatsanwaltschaft warf der Anwalt vor, sie sei untätig geblieben; er habe die Ermittlungen jahrelang selbst führen müssen, da es von staatlicher Seite kein Interesse an einer Aufklärung der Schüsse gegeben habe.

Vor dem Landgericht Potsdam erklärte jetzt die Hauptbelastungszeugin Ines L., die in der Tatnacht gemeinsam mit Paul, Otto und deren Gesinnungsgenossen Renato Paschke im Auto gesessen hatte, sich an nichts mehr erinnern zu können. Trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderungen wollte die Zeugin, die durch die Anwesenheit mehrerer Neonazis im Gerichtssaal sichtlich unter Druck stand, den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen zum Tathergang, wie sie sie gegenüber einer Fernsehjournalistin und dem Nebenklagevertreter gemacht hatte, nicht mehr bestätigen. Beide hatten zuvor als Zeugen ausgesagt, Ines L. habe ihnen den Tathergang detailliert geschildert. Danach soll Maik Paul das Auto gefahren haben, Erik Otto und Renato Paschke hätten jeweils einen Schuß auf eine kleine Menschengruppe vor dem Schloß Zeesen abgegeben.

Das Verfahren gegen Paschke, der zur Zeit wegen Raubes eine Haftstrafe in der JVA Brandenburg absitzt und gegen den auch wegen Beteiligung an dem Brandanschlag auf ein Flüchtlingswohnheim im nur wenige Kilometer von Zeesen entfernt gelegenen Dolgenbrodt ermittelt wird, war ohnehin schon eingestellt worden. Weder Paschke, der aus der Haft als Zeuge vorgeführt wurde, noch Otto und Paul wollten sich vor dem Landgericht Potsdam an die Tat erinnern, da "sie nichts davon wissen", so einer der Angeklagten.

Otto und Paul sind seit 1990 in der Neonazi-Szene aktiv. Beide waren 1991 an einem Überfall einer größeren Neonazi-Gruppe aus Königs Wusterhausen auf eine Diskothek in Wolzig beteiligt. In der südlich von Berlin gelegenen Kleinstadt Königs Wusterhausen gründete sich 1991 einer der ersten ostdeutschen Ortsverbände der mittlerweile verbotenen Nationalistischen Front (NF). Von Anfang an galt die Nazi-Szene in "KW" als ausgesprochen brutal. Auf ihr Konto gehen zahlreiche Angriffe auf Diskotheken im Umkreis, bei denen sowohl ausländische als auch deutsche Jugendliche verletzt wurden, sowie drei Morde.

Beide Angeklagte verfügten über engen Kontakt zu dem verurteilten Brandstifter von Dolgenbrodt, Silvio Jankowski. Otto wurde 1994 an der deutsch-österreichischen Grenze verhaftet, als er versuchte, Neonazi-Propaganda in die BRD einzuführen.

Die Verteidigungsstrategie der beiden Angeklagten besteht offensichtlich darin, sich als Opfer widriger familiärer Umstände darzustellen, ihre Zukunft als Familienväter auszumalen und jeglichen Kontakt zur rechten Szene abzustreiten. Ob ihnen das gelingen wird, ist fraglich. Immerhin erschienen die beiden noch im Frühjahr dieses Jahres vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen in Begleitung einer zehnköpfigen Altnazigruppe.