Brot statt Böller statt Brot statt Böller

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Während in Magdeburg schon die kleinen Mädchen in den Tagen vorm Jahreswechsel die Straßen mit Chinakrachern der Klasse D unsicher machen, ist in Berlin das pyrotechnische Handwerk immer noch eine Domäne türkischer Jungens. Die kennen sich aus in der Materie und beginnen nach dem Weihnachtsfest langsam mit "Einsern" und A-Böllern, um das Spektakel in sicherer Dramaturgie im Laufe der Tage zu steigern. Cool sind die Leuchtkugelpistolen, bei denen man noch nicht mal nachladen muß. Die werden aber erst am Silvesterabend selbst benutzt. Doch dann wird gleich die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt.

Normalerweise ist das so.

1997/98 war alles ein wenig anders. Feiertage und Wochenenden folgten einander in einer so ungünstigen Konstellation, daß kaum jemand neben dem dringend notwendigen Käsekaufen auch noch daran denken konnte, sich mit genug leichtem Sprengstoff einzudecken. Am Heinrichplatz wurde nur müde gezündelt, auch die Konkurrenzveranstaltung in Friedrichshain war nicht so gut besucht, wie zumindest die Polizei dachte. Irgendwo in Lichtenberg soll was gewesen sein, aber wer treibt sich schon in Lichtenberg herum? Mitten in der Nacht? Allein in Tempelhof erreichte das Feuerwerk die erforderliche Lautstärke, was jedoch für niemanden ein Grund sein sollte, sein nächstes Silvesterfest dort verbringen zu wollen.

Ansonsten: Grabesstille. Die angeblichen 427 Tonnen Silvestermüll muß die Stadtreinigung aus Billiglohnländern importiert haben. In Berlin konnten sie jedenfalls nicht produziert worden sein. Drei Ecken weiter oder in einem abgelegenen Hinterhof verhallen einzelne Detonationen. Der sonst lebensrettende Regenschirm konnte beim Spaziergang durch Kreuzberger oder Neuköllner Straßen getrost in der Tasche bleiben. Was war geschehen?

Das Erklärungsmodell der geschlossenen Geschäfte reichte gerade vom Frühstück bis zum Mittagessen. Das massenhafte Böllerwerfen als spießige Form unbeabsichtigter Dissidenz schien aus der Mode gekommen zu sein. Oder ist derzeit wegen des erforderlichen hohen Einsatzes finanzieller Ressourcen einfach nicht mehr drin? Eine verwegene Dritte-Welt-Organisation rief in den Tagen vor den Feierlichkeiten unter der Parole "Böller statt Brot statt Böller" dazu auf, an Silvester ruhig kräftig die Sau rauzulassen, weil "nur wer richtig feiert auch richtig spenden kann". Hat der überraschende Hedonismus der Trikont-Bewegung die Bürger so verunsichert, daß sie zwecks Abgrenzung doch lieber Eßbares kauften? Brot statt Böller statt Brot statt Böller?

Mein Gott, das kann nicht sein.

Schuld sind wie immer größere Dinge. Zum Beispiel die von den Berliner Party-Sachverständigen Diepgen und Hassemer nach der etwas mißlungenen Olympia-Bewerbung herbeigesehnten Feiern zur Jahrtausendwende. Die Nase vorn haben in Sachen Jahr 2000 allerdings die Fidji-Inseln bzw. Tonga, je nach Interpretation der Datumsgrenze. In Berlin ist es dann erst Mittag, und man kann noch schnell ein paar Raketen und Böller einkaufen. Oder Brot, je nach- dem.

An den Berliner Mädchen hat es nicht gelegen. Wußten sie doch noch nichts von der Sprengkraft ihrer Girl-Power. Denn der Spice Girls-Film "Spiceworld" ist erst am Neujahrstag angelaufen. Und zur Preview waren sie nicht eingeladen. Schade. In Magdeburg war das wohl anders.