Sicherheit als Kostenfaktor

Kamil Taylan beschreibt in seinem Buch "Tödliche Pisten - Skirennen um jeden Preis" das Wirtschaftsunternehmen Skirennsport

In seinem Buch "Tödliche Pisten" ist der Fernsehjournalist Kamil Taylan einem der spektakulärsten Unfälle im alpinen Wintersport nachgegangen, bei dem die Österreicherin Uli Meier am 29. Januar 1994 in Garmisch-Partenkirchen starb. Taylan beschäftigte sich nicht nur ausführlich mit den Beweisen, die mindestens eine Teilschuld des Internationalen Skiverband Fis an dem Unfall offenbaren (der Fis-Sicherheitsdirektor hatte z.B. die Piste am Renntag nicht besichtigt, jedoch für ihre Sicherheit per Unterschrift gebürgt). Auch das Verhalten der Funktionäre unmittelbar nach Uli Meiers Sturz, so weist Taylan nach, erinnert eher an Unterschlagung von Beweismitteln; schon vor dem Abtransport der Leiche wurde damit begonnen, alle Spuren zu beseitigen. Hastig wurde eine neue Fahrspur mit Tannenzweigen ausgelegt und die Zeitmeßanlage abgebaut. Der sie justierende Holzstab ohne Sollbruchstelle, zusätzlich mit einem festgetretenen Schneekeil befestigt, an dem sich Meier das Genick brach, wurde ebenfalls abgebaut, kurz danach wurde das Rennen wieder gestartet.

Kamil Tayan listet weitere Funktionärsfehler und -peinlichkeiten des Tages auf: Der Kurssetzer befand sich schon am Ort des nächsten Rennens, die Show, die seit einigen Jahren um das Ziehen der Startnummern für den nächsten Tag veranstaltet wird, wurde erst abgebrochen, als Journalisten vom Tod der Läuferin erfahren hatten - offiziell hatte dies den Starterinnen niemand mitgeteilt.

Die Familie der Verstorbenen verklagte die Organisatoren des Rennens, ihr Anwalt Steffen Ufer erklärte in einem Interview mit dem Autor: "Eine gewisse Solidarisierung der zuständigen Sachbearbeiter bei der Polizei und bei der Staatsanwaltschaft sowohl mit dem Internationalen Skiverband als auch den örtlichen Organisatoren aus Garmisch war ziemlich deutlich erkennbar. Es hat sich gezeigt, daß bei den Ermittlungen vor Ort Polizeibeamte eingesetzt waren, die dem Skisport sehr verbunden waren. Und daher lag es ihnen nah, eher mit den Veranstaltern Partei zu ergreifen als mit der getöteten Uli Meier."

Die Fis reagierte auf den Wirbel um den Todesfall umgehend: Sie läßt ihre Athleten eine an Formel 1-Verträge angelehnte Erklärung unterschreiben, die allerdings rechtlich wohl kaum bindend ist.

In zahlreichen Interviews und Dokumenten erforscht Taylan, warum die Fis und ihre Funktionäre im Fall Meier so peinlich darum bemüht waren, alle Schuld von sich zu weisen. Der Skizirkus, so erfährt der Leser, kann sich keine Skandale leisten. Allerdings muß er die Athleten immer steilere Pisten in immer höherem Tempo herunterrasen lassen, damit das Zuschauer- und Sponsoreninteresse erhalten bleibt. Revoltierenden Athleten, die z.B. Starts verweigern, sind da eine Horrorvorstellung. Denn ein abgesagter Start kostet nicht nur die Fis Millionen. Für die Gemeinden, die international besetzte Skirennen ausrichten, geht es ebenfalls um viel Geld. Für sie sind die Slaloms und Super-Gs die beste Fremdenverkehrswerbung, zumal dann, wenn sie tatsächlich Schnee aufweisen können. Am meisten verdienen sie allerdings nicht an Eintritts- und Fernsehgeldern, sondern, wie Taylan herausfand, an der Bandenwerbung. Ein abgesagtes Rennen ruiniert dieses Geschäft, deswegen setzen die Veranstalter alles daran, zu starten - auch bei schlechtem Wetter. Die Ausfallversicherung haben zwar die meisten abgeschlossen (Kosten 230 000 Schweizer Franken jährlich), aber, so Viktor Gersch, Organisator des berühmten Lauberhornrennens, "bei einem Ausfall des Rennens werden nicht nur die Mindereinnahmen berücksichtigt, sondern auch die Minderausgaben. Also kriegen wir effektiv die eigentliche Summe nie ausbezahlt".

So lastet ein ungeheurer Druck auf den an den Rennen Beteiligten. Der Generalsekretär der Fis, Gian-Franco Kasper, erklärt im Gespräch mit Kamil Taylan: "Wir sind mehr und mehr ein Fernsehsport geworden... Im Zielraum trifft man ja kaum noch jemanden, außer den Funktionären, die ja da sein müssen. An der Strecke sieht man als Zuschauer auch recht wenig, da ist man zu Hause am Fernsehen besser aufgehoben. Nur dort am Bildschirm kann man jeden Läufer von oben bis zum Ziel sehen." Wohl auch deswegen sind die Zuschauerzahlen, z.B. in Kitzbühel, rapide gesunken - statt 100 000 kommen durchschnittlich nur noch 8 000 zu den Veranstaltungen.

Kamil Taylan: Tödliche Pisten - Skirennen um jeden Preis. Sport Verlag, Berlin 1997, 180 S., DM 29,90