Aktion Wasserschlag

Die Athener Polizei nahm bei Durchsuchungen in der anarchistischen Szene 16 "Terrorismusverdächtige" fest. Nach einem Tag wurden 15 freigelassen

In einer lange geplanten und vom griechischen Staatsschutz und sogenannten Antiterroreinheiten koordinierten Aktion wurden am Dienstag vergangener Woche ab dem frühen Morgen neun Häuser im Großraum Athen gestürmt und durchsucht. 16 Personen wurden vorläufig festgenommen, umfangreiche Materialien beschlagnahmt, darunter etwa zehn Kilogramm Sprengstoff, Zündschnüre, drei Pistolen, Munition, Handschuhe, Masken, Tagebücher, Computer und Disketten, 35 leere Bierflaschen - die sich bekanntlich schnell in Mollies verwandeln können - und Aufkleber mit dem Text: "Die schönen Geschäfte brennen auch gut!"

In einer ersten Pressekonferenz erklärte J. Romeos, Minister für die öffentliche Ordnung, der Schlag richte sich gegen die insgesamt "sechs terroristischen Vereinigungen der sogenannten zweiten Generation". Seit drei Jahren sind diese Gruppen mit insgesamt 19 Anschlägen auf griechische und internationale Einrichtungen im Großraum Athen aktiv.

Allein, von den 16 festgenommenen AnarchistInnen mußten bereits bis Mittwochmorgen 15 mangels "hinreichendem Tatverdacht" wieder freigelassen werden. Der einzige noch Inhaftierte ist allerdings kein Unbekannter, sondern Griechenlands erster Totalverweigerer, Nikos Masiotis. Da er der Einberufung keine Folge leistete, wurde er im Mai 1991 zum ersten Mal verhaftet. Nach vier Monaten Militärgefängnis erging das Urteil wegen "Ungehorsams": ein Jahr Haft auf drei Jahre Bewährung. Im Oktober 1992 kam es zur erneuten Verhaftung, da auch der zweite Einberufungstermin verstrichen war. Mit einem 51tägigen Hungerstreik setzte Masiotis seine Freilassung im Januar 1993 durch. Im November 1993 schließlich wird er zum dritten Mal festgenommen, als nach drei Tagen Straßenschlachten und Besetzung des Polytechnikums in Athen 500 Menschen festgenommen werden. Das Urteil: zwölf Monate auf Bewährung.

Mit dieser Vorgeschichte ist es nicht unwahrscheinlich, daß zum wiederholten Male ein Aktivist der anarchistischen Szene zum "Topterroristen" aufgebaut werden soll. Letztes Beispiel dafür ist Jorgos Balafas. Nach einer Odyssee von acht Jahren Flucht, nach weiteren vier Jahren Gefängnis und zwei Hungerstreiks wurde er im vergangenen Monat letztinstanzlich von allen Anklagepunkten freigesprochen. Die Anklage hatte ihm insgesamt sechs Morde, 22 Anschläge und Überfälle von vier verschiedenen Guerillaorganisationen in den Jahren 1985 bis 1992 zur Last gelegt.

Auf die Spur von Masiotis - so erklärte Minister Romeos - kam der Staatsschutz nach dem mißglückten Anschlag auf das Entwicklungsministerium in Athen am 6. Dezember vergangenen Jahres. An der nicht explodierten Bombe soll ein Streifen Isolierband geklebt haben, auf dessen Innenseite sich ein Fingerabdruck von Masiotis befunden habe. Dieser sei daraufhin 40 Tage rund um die Uhr beschattet worden, seine FreundInnen und Bekannten habe man überprüft, Treffpunkte und Häuser von GenossInnen observiert. Das gesamte beschlagnahmte Material stammt laut Polizei aus einem kleinen Haus im Stadtteil Katamero, das von Masiotis benutzt wurde.

Unter den beschlagnahmten handschriftlich abgefaßten Schriftstücken soll sich ein Zettel befinden, der den Text enthält, mit dem die "Anarchistischen Stadtpartisanen" die Verantwortung für den mißglückten Anschlag vom 6. Dezember übernommen hätten. Damals erklärte ein männlicher Anrufer bei der Athener Tageszeitung Eleftherotypia (Pressefreiheit), der Angriff erfolge aus Solidarität mit dem Kampf der Bevölkerung auf Chalkidiki (vgl. Jungle World, Nr. 51/97), die sich gegen den geplanten Goldabbau durch den kanadischen Multi TVX Gold wehrt. Vier Tage danach sprengte eine andere Organisation, die "Militante Guerilla Formation", eines der Büros der Entwicklungsministerin Waso Papandreou mit der gleichen Begründung. Nicht zuletzt deswegen betonte Minister Romeos, daß es zwar bislang nur "einen sicheren Zusammenhang" gebe, den "zwischen Masiotis und den Anarchistischen Stadtpartisanen", daß man jedoch "fieberhaft ermittele", ob sich Beweise für eine Mitgliedschaft bei der "Militante Guerilla Formation" ergäben. Auch sei man weiterhin "dicht an anderen Terroristen dran". Beschuldigt wird Masiotis nun der versuchten Herbeiführung eines Sprengstoffanschlags; der Beschaffung, Lagerung und Zubereitung von Explosivstoffen sowie des Besitzes von Waffen und Sprengstoffen.

In der ersten staatsanwaltlichen Vernehmung beschränkte sich Masiotis auf eine kurze Erklärung, in der er kategorisch bestritt, Besitzer der angeblich gefundenen Waffen und des Sprengstoffs sowie an den Anschlägen beteiligt zu sein. Seine Anwältin D. Bajanou betonte in einer Presseerklärung, daß das Haus, in dem die beschlagnahmten Materialien gefunden worden waren, "von vielen unterschiedlichen Menschen" genutzt worden sei und ihr Mandant seinen festen Wohnsitz im Stadtteil Kaithea habe. Auch diese Wohnung war durchsucht worden, jedoch ohne belastendes Material zu finden.

Direkt am Dienstagabend kam es im Anschluß an eine von 2 000 Menschen besuchten Demonstration zur Solidarität mit der EZLN in Chiapas zu schweren Auseinandersetzungen im Zentrum von Athen. Über 500 Demonstrierende versuchten, das Polizeipräsidium zu stürmen, und forderten die sofortige Freilassung der Festgenommenen. In der Nacht von Mittwoch und Donnerstag gab es kleinere Anschläge, unter anderem brannten in Athen zwei Stadtbusse aus.

Alles in allem wurden gegen Masiotis bisher nur recht dürftige Indizien präsentiert. In einem früheren Verfahren war ein einzelner Fingerabdruck auf einer nicht explodierten Bombe nicht als Beweis anerkannt worden. Ob der handschriftliche Text Masiotis zugeordnet werden kann, wird sich erweisen müssen. Und wer das Waffenlager angelegt hat, ist fraglich. Im Verfahren gegen Balafas stellte sich schließlich heraus, daß "sein" Waffenlag