Unternehmer, hört die Signale!

Die Partei des demokratischen Selbständigen (PDS) kämpft im Wahljahr für einen gesunden Mittelstand

In aller Herrgottsfrüh, während seine Belegschaft noch im Bett liegt, schleicht er sich aus dem Haus. Hohlwangig, eigenkapitalschwach und zermürbt von der schlechten Zahlungsmoral seiner Auftraggeber, der Großindustrie, schleppt sich der ostdeutsche Kleinunternehmer seinem Betrieb entgegen. Abends, wenn seine Beschäftigten Skat dreschen, plauscht er im Kreis seiner Schicksalsgefährten über eskalierende Gewerberaummieten, explodierende Energiekosten, infame Sozialversicherungsbeiträge und den mörderischen Wettbewerbsdruck: Haben sich die finsteren Mächte aus dem Westen des Landes, Bundesregierung und Großkapital, munkeln die Brüder am Kleinunternehmerstammtisch, nicht zu einer unheilvollen Allianz verbündet, um die Zunft des wackeren, bodenständigen Selbständigen auszuradieren?

Etwa zwei Dutzend Exemplare dieser aussterbenden Spezies trafen sich Mitte Februar im Lichtenberger Rathaus auf einer PDS-Veranstaltung, um über das Wirtschaftsprogramm der Partei zu diskutieren. Die Bundesregierung, klagte ein "Unternehmer für Bürokompletteinrichtungen mit zwölf Beschäftigten", sorge sich nur um die Großindustrie und den exportorientierten Mittelstand. Ihm dagegen drohe das wirtschaftliche Aus, weil das Gewinnstreben der Großbanken günstigen Krediten im Wege stehe. Eine "Druckerei, zehn Leute" konnten diese Erfahrung bestätigen; um an die Fördertöpfe für Kleinunternehmen zu gelangen, sei mindestens ein Doktortitel nötig. Außerdem sei das deutsche Insolvenzrecht - es liefert den Unternehmer nach einem Konkurs 30 Jahre lang seinen Schuldnern aus - unmenschlich.

Rolf Kutzmutz, Bundestagsabgeordenter und Wirtschaftsexperte der PDS, versuchte in seinem Beitrag, die Leiden der anwesenden 25 Unternehmer so gut es ging mit Auszügen aus dem wirtschaftspolitischen Programm der PDS zu lindern; er kündigte an, daß sich seine Partei für eine Änderung des Insolvenzrechts stark machen werde. Wie in den USA, müßte auch in Deutschland jeder bankrotte Unternehmer nach sieben Jahren einen weiteren Versuch starten dürfen. "Wer beim ersten Mal gescheitert ist", erklärte Kutzmutz, "macht es beim zweiten Mal besser." Natürlich ist die Korrektur des Insolvenzrechts für eine Partei, der die Sanierung des Mittelstands am Herzen liegt, nur ein Nebenaspekt. Warum aber verfällt eine reformsozialistische Partei überhaupt auf einen solchen Gedanken? Alles nur Wahlkampftaktik?

An den "kleinen und mittleren Unternehmen" (KMU), die definitionsgemäß maximal 250 Menschen beschäftigen, bis etwa 50 Millionen Mark pro Jahr erwirtschaften und vorwiegend in den neuen Bundesländern angesiedelt sind, gefällt der PDS nicht nur der Stallgeruch. "Rund zwei Drittel aller Arbeits- und etwa vier Fünftel der Ausbildungsplätze befinden sich in der Bundesrepublik in mittelständischen Unternehmen", bilanziert die PDS in ihrem Wirtschaftsprogramm. "Sie erwirtschaften die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts." Diese Form einer sozialverträglichen Produktivität markiert die Distanz zu den großindustriellen Schmarotzern, die lediglich "fertige Facharbeiter am Markt kaufen". Die KMU erklärt die PDS zu Hauptakteuren einer regionalen und umweltverträglichen Wirtschaftsvernetzung, weil sie "zum großen Teil für den lokalen und regionalen Bedarf produzieren und im Unterschied zu Großunternehmen und Konzernen ihre Produktion weitaus seltener ins Ausland verlagern ..." Zur Schelte einer gewissenlosen Export- und Weltmarktorientierung der Großkonzerne wird das alte grün-ökologische Motto "small is beautiful" neu aufgelegt, die KMU prinzipiell von ähnlich verderblichem Streben freigesprochen. Die Regionalisierung wird als Garant einer sozial ausgewogenen und ökologisch verträglichen Wirtschaft präsentiert, die Nachhaltigkeit als Bremse des Neoliberalismus.

Es gibt einen dritten Grund, der die PDS zum Anwalt der Selbständigen macht: "Die Leute, die so einen Kleinbetrieb aufziehen", sagte Joachim Bischoff, Mitherausgeber der "PDS-Positionen zur Wirtschaftspolitik", gegenüber Jungle World, "machen das ja nicht, weil sie Kohls Predigt von der Lust am Unternehmertum glauben. Da geht es doch rein um die Existenzsicherung." Gerade die Zwang- und Scheinselbständigen, die nach wie vor von der "Mutterfirma" abhängig sind, seien in hohem Maße von sozialer Unsicherheit und Selbstausbeutung betroffen. Der gegenwärtige Strukturwandel des Kapitalismus sei von Dezentralisierung und einer Finanzmarktorientierung gekennzeichnet und produziere verschiedene Typen eines "Pseudounternehmers", der, wie Bischoff erklärte, dem Lohnabhängigen in seinen Interessen oft sehr nahe steht.

Einen Eindruck über diesen Strukturwandel liefern die Daten des Statistischen Bundesamtes. Für 1997 wurde eine Steigerung des Bruttoarbeitseinkommens um 0,2 Prozent registriert. Die Unternehmensgewinne stiegen dagegen im Durchschnitt um 8,1 Prozent. Berücksichtigt man die Preissteigerungsrate von 1,8 Prozent, so wird deutlich, wie sehr das reale Arbeitseinkommen der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinkt. Tatsächlich zeichnet sich diese rückläufige Tendenz seit über zehn Jahren ab und hat im Ergebnis zu einer dramatischen Gewichtsverlagerung zugunsten der Vermögenseinkommen geführt. Dieser Transformationsprozeß hat massive Auswirkungen im Sozialbereich. Die Unternehmenspolitik der PDS, sagte Bischoff, "ist ein Hebel für Interventionen gegen die Zerstörung des sozialen Netzes", die bei einer sich selbst überlassenen Finanzmarktpolitik drohe.

Die erste Offensive hat die PDS Anfang März gestartet, als die Bundestagsgruppe in Bonn ein Gutachten zur Finanzierung der Sozialversicherung vorstellte. "Wertschöpfungsabgabe" heißt der etwas kryptische Begriff, der im Mittelpunkt der Analyse steht. Dahinter verbirgt sich der einfache Gedanke, daß nicht mehr der Lohn, sondern der Betriebsgewinn in einem bestimmten Zeitraum zur Bemessung des Arbeitgeberanteils für die Sozialversicherung (Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung) dienen soll. Die PDS wolle mit dem Vorschlag den arbeitsintensiven, aber kapitalschwachen KMU aktiv unter die Arme greifen und darüber hinaus die drastische Vermögensschieflage korrigieren, betonte Anja Wollny, wissenschaftliche Mitarbeiterin der PDS-Bundestagsgruppe. Das Gutachten, das die Berliner Gesellschaft für kommunale Entwicklung "Pro urban" angefertigt hat, kommt zu dem Ergebnis, daß sich damit nicht nur "eine größere Stetigkeit im Fluß der finanziellen Mittel" ergebe, sondern auch eine "gleichmäßigere Belastung der Unternehmen" erreichen ließe.

In einer Grafik stellten die Gutachter dar, wie von 1991 bis 1997 die Sozialabgaben in Abhängigkeit zu den Löhnen zwar gestiegen, prozentual zu den Unternehmergewinnen aber sogar schwach zurückgegangen sind. Daraus bastelt die PDS ein weiteres Argument für die Wertschöpfungsabgabe: Würde man die Sozialbeiträge weiterhin nach der traditionellen Methode eintreiben, wäre das Solidarprinzip der Sozialversicherung nicht mehr zu retten. "Schließlich", sagt Anja Wollny, "liefern nicht jene Unternehmen die höchsten Sozialbeiträge ab, die den meisten Gewinn machen, sondern jene, die mit dem größten Arbeitsaufwand produzieren." Gerade die Bereiche des "produzierenden Gewerbes" sowie "Staat, private Haushalte und Organisationen ohne Erwerbszweck", stellt das Gutachten klar, würden durch die Wertschöpfungsabgabe die stärksten Entlastungen erfahren. Immobilienmakler, Kreditinstitute und Versicherungen müßten dagegen tiefer in die Tasche greifen.

Der Versuch der PDS, über die Förderung des Mittelstandes die Erosion sozialer Standards durch einen dahinrasenden Turbokapitalismus aufzuhalten, hat allerdings Nebenwirkungen. Die Idee, gegen die Tücken des spekulierenden Kapitals ein Lob auf das produzierende Gewerbe anzustimmen, kam der CDU bereits in den fünfziger Jahren. Damals empfahl sie aus Sorge um die Stabilität der Rentenversicherung, kleine und mittlere Unternehmer besser zu schützen. Über eine ähnliche SPD-Debatte Ende der siebziger Jahre ist das Konzept nun bei der PDS gelandet. Ihr Versuch, eine gezielte Mittelstandspolitik zu betreiben, räumte Joachim Bischoff ein, laufe immer "Gefahr, nach rechts zu tendieren".