Der Gysi, die Stasi und der Wiefelspütz

Vorläufig vorverurteilt

Von Ivo Bozic

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Um Gregor Gysi spinnen sich tausend bunte Geschichtchen und Anekdötchen. Er soll mal in der Hamburger Hafenstraße mit den Autonomen einen Joint geraucht haben, und in seiner Datsche soll der Klodeckel stehpisserfeindlich so konstruiert sein, daß er nicht oben bleibt. Gysi: Wendefigur, Figur der Wende, Rinderzüchter, Anwalt, PDS-Chef, Bundestagsredner, Hungerstreikender, Medien-Star und x-facher Vater. Man könnte, wenn man dringend Zeitungsseiten füllen muß, so viel über den kleinen Mann mit der hohen Stirn und der Nickelbrille schreiben. Doch das einzige, was bürgerliche Zeitungen derzeit an der schillernden Person Gysi interessiert, sind seine angeblichen Stasi-Verbindungen. Dabei hat er doch hundertmal gesagt, er sei kein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des MfS gewesen. Das müßte doch reichen. Damit könnte dieses Kapitel doch wohl endlich mal abgehakt werden! Naja, gut. Vielleicht reicht das nicht jedem. Also beschäftigte sich der Immunitätsausschuß des Bundestages mit der Sache. Doch die Abgeordneten des Bundestages sind Politiker, keine Ermittler. Ihr Anliegen ist kein juristisches, sondern ein politisches. Nämlich, die PDS zu erlegen, indem man ihr den Kopf abschlägt.

Vor drei Wochen wurde vom Ausschuß, der seit Jahren über denselben Akten brütet, ein "vorläufiger Bericht" fertiggestellt, der Gysi eindeutig eine IM-Tätigkeit unterstellt. Doch was ist ein vorläufiges Urteil? Ein Vorurteil womöglich? CDU, CSU, SPD und Grüne zogen jedenfalls an einem Strang. Nur der FDP-Vertreter im Ausschuß will die Vorwürfe gegen Gysi nicht als "bewiesen" betrachten. Die Grünen sollen zwar Zweifel geäußert haben, aber nicht öffentlich. Das kann man der Bürgerrechtler-Basis im Osten nicht antun. Mit denen ist nicht zu scherzen. Wenn die böse werden, bist du schneller IM als vor der Wende. Der Presse jedenfalls wurden die Ergebnisse zugespielt, und man begann sie weidlich auszuschlachten. Gysi legte Organklage beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Karlsruher Richter gaben Gysi insofern recht, als sie den Immunitätsausschuß - wie schon 1996 - aufforderten, Mutmaßungen nicht als Beweise auszugeben. Dennoch lehnte man Gysis Klage ab, weil der Ausschußvorsitzende Dieter Wiefelspütz (SPD) bereits die Flucht nach vorn angetreten hatte. Nach der Anhörung Gysis seien durchaus noch Änderungen der "vorläufigen Feststellung" möglich, hatte er geäußert und damit Gysis Klage ins Leere laufen lassen. Nun darf Gysi am Dienstag, den 21. April, dem Ausschuß seine Sicht der Dinge darlegen und ihn bitten, doch auch die entlastenden Unterlagen zur Kenntnis zu nehmen.

Doch was die Herren von der Immunitätskontrolle auch absondern werden: Es geht nicht um die Gleichung Gysi = Stasi. Es geht darum, wie intensiv Gysis Kontakte mit dem MfS gewesen sind. Es kann gar kein "ob oder ob nicht"-Urteil geben. Natürlich hatte der Anwalt, der auf Bitten seiner Mandanten als Mittler zwischen verfolgten Bürgerrechtlern und dem MfS tätig war, Kontakte zur Stasi. Jeder dahergelaufene Depp hatte in der DDR Kontakte zur Stasi. Oder anders gesagt: Keine Kontakte mit der Stasi zu haben, war in der DDR etwa so schwierig, wie in der BRD keine Kontakte mit hausierenden Versicherungsvertretern oder den Zeugen Jehovas gehabt zu haben. Natürlich wurde, wer mit SED-Kritikern zu tun hatte, abgeschöpft, natürlich vermehrten sich um solche Leute herum die Stasis wie die Hasis. Und natürlich prüfte das MfS auch, ob man nicht Gysi direkt als Mitarbeiter gewinnen könnte - mit negativem Ergebnis allerdings. Ein Dokument, das dies belegt, gibt es, ein gegenteiliges nicht.