Warten auf den Atomtest in Pakistan

Viagra-Vajpayee

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Viel Bewegung in und um Indien. Im Nordwesten hat Pakistan seine Grenztruppen deutlich verstärkt und läßt gelegentlich auch mal eine Granate über die Grenze des von Indien kontrollierten Teils von Kaschmir kullern, während sich die internationale Diplomatie in Pakistans Hauptstadt Islamabad den Vorhang in die Hand gibt. Im Nordosten hat China an seiner Grenze zu Indien die Anzahl an Militärpatrouillen erhöht, in Nepal, Bhutan und Myanmar wippeln die Grenzer nervös in ihren Häuschen und Verschlägen.

Doch den größten Andrang gibt es in Indien selbst. Rund um das Atomtest-Gelände in Pokharan drängeln Hindu-Extremisten, die endlich heiligen Boden betreten wollen: Die rechtsextreme Hindu-Organisation Vishwa Hindu Parishad (VHP) will unbedingt einen Tempel in der Nähe des Testgeländes bauen, der nach Auskunft von VHP-Präsident Ashok Singhal ein "Shakti Peeth", ein "Ort für kosmische Energie", und ein Andenken an die indischen Atomtests sein soll. Übersetzt bedeutet Shakti Energie, ist aber gleichzeitig der Name einer Hindu-Göttin - und der Titel des indischen Atomprogramms, das vor zwei Wochen die Nation erstrahlen ließ. Mitglieder der nationalistischen Regierungspartei BJP planen zudem, auf dem Testgelände den Boden abzutragen, um diesen als "heilige Erde" über ganz Indien zu verstreuen.

Aber Indiens Premier Atal Bihari Vajpayee, der in pakistanischen Medien seit den Tests in Anspielung auf Indiens "atomare Potenz" nur noch "Viagra-Vajpayee" genannt wird, will das Testgelände der Öffentlichkeit nicht zugänglich machen. Noch nicht. Denn die indische Regierung wartet vorerst ab, ob Pakistan den angekündigten eigenen Atomtest nun endlich durchführt. Insbesondere pakistanische Oppositionsparteien fordern mittlerweile von Regierungschef Nawaz Sharif, den Test nicht länger zu verzögern. Da Sharif offensichtlich nicht in der Lage sei, Pakistan zu beschützen, müsse er zurücktreten, hieß es letzte Woche von der Oppositionspolitikerin Benazir Bhutto. Man fühlt sich in Islamabad in der "nationalen Ehre" getroffen und vom G-8 Gipfel, der keine gemeinsamen Sanktionen gegen Indien beschlossen hatte, "im Stich gelassen". Zumal die von einzelnen Staaten erlassenen Wirtschaftssanktionen (die den Verlust von umgerechnet etwa 36 Milliarden Mark mit sich bringen) als zu lasch angesehen werden. Zumindest in diesem Punkt stimmen in Pakistan Regierung, Opposition und deren jeweilige Anhänger überein, die ansonsten wegen Kinkerlitzchen bewaffnet aufeinander losgehen: So wurden bei Kommunalwahlen in der Provinz Punjab am letzten Wochende mindestens 30 Menschen getötet und über 200 verletzt, weil diverse Unstimmigkeiten über Wahlmodi sich verbal nicht lösen ließen.

Da sich solche Gemetzel in den nächsten drei Wochen zu wiederholen drohen - Kommunalwahlen finden dann auch in allen anderen pakistanischen Provinzen statt -, wird um so heftiger der gemeinsame Feind Indien beschworen, zumal dieser mit seiner Potenz protzt: Pakistan solle endlich die "neue geostrategische Realität" anerkennen, warnte vergangene Woche Indiens Innenminister Lal Krishna Advani, der 1992 an der Spitze eines Hindu-Mobs im Grenzgebiet eine Moschee zerstören ließ, um dort einen Hindu-Tempel errichten zu lassen. In Kaschmir werde künftig eine "pro-aktive Politik" gegenüber Pakistan betrieben. Vorbeugende Militärschläge könnten dann nicht mehr ausgeschlossen werden.