Esther und Jochen Gerz' "Berliner Ermittlung"

Passionsspiele für alle

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Peter Weiss schrieb die "Ermittlung" unter dem Eindruck des AuschwitzProzesses Mitte der sechziger Jahre in Frankfurt/M. Sein "Oratorium in elf Gesängen" ist eine radikale Verdichtung des dokumentarischen Materials. Weiss betreibt diese Abstraktion, um nicht von den empirischen Tatsachen abgelenkt zu werden, die zu thematisieren ihm angesichts der Anklage unmöglich erschien. Peter Weiss hat um der künstlerischen Form willen eine Menge weggelassen; er nennt weder Namen noch Opfergruppen und verzichtet darauf, die Stimmung dieses Prozesses einzufangen, in dem die Zeugen und Zeuginnen leicht zu Angeklagten wurden.

Um die biedere Monstrosität der Angeklagten herauszuarbeiten, konzentriert sich der Text auf die Durchführung der Vernichtung, auf die Realität der Entmenschlichung. Die Zeugen und Zeuginnen sind zufällig Entronnene, die anonym bleiben - es hätten auch andere sein können. So sprechen sie für ein Häftlingskollektiv, das real nie existierte.

Das Künstlerehepaar Esther und Jochen Gerz versucht mit seinen Arbeiten, Peter Weiss zu widerlegen. Wo der Autor sich weigert, Auschwitz kommunizierbar zu machen, vertrauen sie auf die Sprache (wobei es ihnen auf den Inhalt nicht ankommt). Ihre Installationen und Aktionen sind interaktiv und setzen auf die Beteiligung des Publikums. In Hamburg stellten sie eine Säule auf, in die man seine Gedanken zum Thema Faschismus einritzen konnte. In weiches Blei geschrieben wurde alles mögliche, auch Hakenkreuze wurden gemalt, bevor die Säule im Boden versenkt wurde, wo sie nun ihrer Ausgrabung in ein paar hundert Jahren harrt.

Mit der "Berliner Ermittlung" inszenierten Esther und Jochen Gerz nun einen Bruchteil des Weiss-Textes als Mitmachspiel auf drei Berliner Bühnen. Fünf Mal wurde sie aufgeführt, und laut Jochen Gerz sollte man hinterher sagen können, man sei dabei gewesen. Jenen Satz, den die Mörder von Auschwitz nie in den Mund genommen haben.

Einzelne Textpassagen wurden vom Publikum geraunt, gelesen, vorgetragen, es konnte jeden erwischen, der zufällig da war, aber zufällig war niemand da.

Mit über 500 Laiendarstellern wurde aus dem epischen Stück von Weiss ein Passionsspiel - mit Session-Charakter, um allzu großes Pathos zu vermeiden. Wo Peter Weisss die Banalität des Bösen darbot, betreiben die Gerz' die Banalisierung des Bösen. Aus ihrer Sicht notwendig, denn es geht ihnen nach wie vor um die Entmystifizierung der nationalsozialistischen Verbrechen.

Esther und Jochen Gerz machen aus der "Ermittlung" eine Vermittlung: Wo Peter Weiss vom Prozeß abstrahiert, um in sein Zentrum - das Verbrechen - vorzudringen, vermittelt die "Berliner Ermittlung" die literarische Abstraktion als Gemeinschaftserlebnis, als kollektives Nachfühlen. Nun, emotional ganz heimgeholt, wird aus dem Text, der rationalisieren will, um zu verstehen, ein Ergeignis, welches Unverständnis geradezu voraussetzt.

Ob das Passionsspiel die erhoffte Erlösung brachte? Die merkwürdige Mischung aus scheinbarem Zufall und geplanter Improvisation produzierte vor allem Langeweile. Angesichts des Thema auch eine nicht geringe Leistung.