In the Ghetto Ö

Von Ivo Bozic

... und dann "zum Städtele hinaus"! Schönbohm klopft wieder Nazi-Sprüche. SPD ist sauer: "Racism is a Labour Issue" - Gefährliche Orte IXXX

Wenn man als Urlauber aus Deutschlands Hauptstadt mit jemandem in Sizilien zum Beispiel - es funktioniert gewiß auch anderswo - ins Gespräch kommt, kann man sich des Interesses gewiß sein. Berlin? Aha, erzähl mal! Man kann kleine Anekdoten rund um den Mauerfall zum besten geben, das zieht immer noch, oder aber - und dann sind mit Sicherheit alle ganz still und lauschen - von den Neonazis berichten. Garantierte Fassungslosigkeit erntet man jedoch, erzählt man von der Berliner CDU und ihrer Ausländerpolitik: Stell dir vor, die haben vorgeschlagen, Ausländern zu verbieten, in Gegenden zu ziehen, in denen schon viele Ausländer leben. Manche Häuserblöcke, wo hauptsächlich Nichtdeutsche wohnen, wollen die einfach in die Luft sprengen. Und der Innensenator will alle Ausländer ausweisen, die nicht ordentlich Deutsch sprechen. Wenn man das erzählt, wird man sicher für einen Aufschneider gehalten. Man muß dann die Bild-Zeitung kaufen, die gibt es auch auf Sizilien, und es den Ungläubigen zeigen.

Denn da steht es schwarz auf weiß: "Es gibt heute schon Quartiere, die so sind, daß man sagen kann: Dort befindet man sich nicht in Deutschland", schimpft Innensenator Jörg Schönbohm beispielsweise. Diese "Ghettos", wie er sie nennt, "wo Deutsche in der Minderheit sind", müsse man "austrocknen", erklärt er wenige Tage danach auf einer Tagung zum Thema "Verwahrlosung". "Ausländer, die hier leben wollen", was offenbar für Schönbohm schon eine Zumutung ist, "müssen die deutsche Sprache beherrschen." Es dürften "keine Parallel-Gesellschaften oder eine multikulturelle Gesellschaft" enstehen, warnt der Ex-General, sonst - ja was eigentlich sonst? CDU-Generalsekretär Volker Liepelt erklärt es: Sonst fühlen sich in bestimmten Gegenden "Deutsche nicht mehr zu Hause".

"Verwahrlosung" herrscht für die Berliner CDU da, wo zu viele Menschen ohne deutschen Paß leben. Ein Ausländersumpf, den es "auszutrocknen" gilt. Das Recht, sich in Deutschland aufzuhalten, sollen nur die haben, die sich wie Deutsche verhalten. Das sagt die CDU, aber das meint sie nicht. Genau das sollen die Ausländer nämlich gerade nicht. Sie sollen nicht an Wahlen teilnehmen, und von der Sozialhilfe leben sollen sie natürlich auch nicht und schon gar nicht Arbeitslosengeld beziehen. Andererseits sollen sie natürlich auch nicht arbeiten und den Deutschen ihre heißgeliebten Arbeitsplätze wegnehmen. Sie sollen auch nicht prügelnd durch die Straßen ziehen, und radikale Parteien sollen sie auch nicht gründen oder unterstützen. Also im Grunde sollen sie nichts typisch Deutsches tun. Wenn die CDU die Ausländer aus dem "Ghetto" holen will, dann eben nicht, um eine "multikulturelle" Gesellschaft, also eine, wo Menschen unterschiedlicher Herkunft mit- und nebeneinander leben, zu fördern, sondern um die Nichtdeutschen im nächsten Schritt abzuschieben.

Was die CDU will, ist ein Berlin mit dem Erscheinungsbild des deutschen Hellersdorf, wo gerade mal 2,4 Prozent Ausländer leben (Kreuzberg: 34,4 Prozent). Will man die zweifelhafte und vom Innensenator falsch verwendete Bezeichnung "Ghetto" im Schönbohmschen Sinn als Gegend mit einer hohen Dominanz einer ethnischen Gruppe heranziehen, dann trifft sie wohl nur auf Hellersdorf und andere ähnlich geartete Ostbezirke zu. Rein deutsche Viertel, ausländerfreie Zonen eben. Dort fühlt sich vielleicht Herr Liepelt wohl oder der NPD-Naziskin aus dem Plattenbau. Als Nichtdeutscher und auch als Nichtnazi überkommt einen dort jedoch ein starkes Unbehagen. Wer ausländisch aussieht oder links, muß in diesen Bezirken damit rechnen, eine aufs Maul zu kriegen. Eine Angst, die man als deutsch Aussehender in Kreuzberg, Wedding oder Tiergarten nicht haben muß - außer vielleicht, man sieht so aus wie Schönbohm. Aber das ist ja eher selten.

Berlin wäre nicht Berlin, wenn die Öffentlichkeit nicht über Schönbohms Stammtisch-Parolen diskutieren würde. Und zwar aufgeregt, aber inhaltsleer, wie das hier so üblich ist. Grüne und PDSler verweisen beleidigt auf den Karneval der Kulturen, der nur wenige Tage vor Schönbohms Pöbelei Berlin als Multikulti-Metropole darzustellen versuchte. (Eine Veranstaltung übrigens, die de facto in Hellersdorf nicht möglich wäre.) Zudem unterstellen sie Schönbohm, "den Hardliner zu machen", also im Grunde nur eine Show abzuziehen, um der DVU präventiv die Stimmen wegzunehmen. Daß der CDU-Senator eventuell selbst ein Rassist sein könnte, wird damit ausgeschlossen.

Die sozialdemokratischen Koalitionspartner der CDU enthalten sich erst recht jeder politischen Bewertung und sprechen von "Verantwortungslosigkeit", "Schaumschlägerei" und "Provinzialismus". Stadtentwicklungssenator Peter Strieder wirft Schönbohm vor, "nur ein markiger Sprücheklopfer" zu sein. Die SPD hingegen handelt! Er werde, so Strieder, demnächst eine Kampagne starten, damit ausländische Kinder möglichst früh in die Kita geschickt werden, um die deutsche Sprache zu lernen. Der Eindruck, man könne nicht akzeptieren, daß Menschen auch ohne überzeugende Deutschkenntnisse hier leben, bleibt dabei bestehen. Auch der SPD-Fraktionschef Klaus Böger schimpft über Schönbohms Ausfälle: Es werde "eine Stimmung erzeugt, die am Ende den Rechtsradikalen zugute kommt". Eine Aussage, die Schönbohm entlastet, weil sie unterstellt, daß der General selbst kein Radikaler sei.

Die Aufregung der SPD ist ohnehin nur Heuchelei. Hans-Georg Lorenz, der am vergangenen Samstag bei der Wahl zum SPD-Landeschef in Berlin nur knapp scheiterte, hatte schon eine Woche vor dem CDU-Innensenator in der B.Z. vorgelegt: Es dürfe "ohne eigenen Integrationsbeitrag" keine unbefristeten Aufenthaltsgenehmigungen mehr geben. Und man dürfe nicht zulassen, daß aus Kreuzberg "Klein-Istanbul" werde. Kein Wunder, daß Schönbohm sich eine Woche später genötigt sah, den Sozi im rassistischen Gepöbele zu toppen.

In den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es in allen großen Städten Chinesen-Viertel, und von Italienisch-, Indisch- oder Spanischsprachigen dominierte Stadtteile. In einigen Großstädten gibt es sogar deutsche Viertel. Etwa Yorkville in New York mit deutschen Kinos, deutschen Restaurants und deutschen Reisebüros. Man hat sich in den USA an diese Form der Multikulti-Gesellschaft gewöhnt. Das war übrigens nicht immer so: In der englischen Kolonie Pennsylvania siedelten sich Ende des 18. Jahrhunderts so viele Deutsche an, die ihre eigenen Schulen und Zeitungen gründeten, daß Benjamin Franklin öffentlich vor dem Aussterben des Englischen warnte.

Aber New York liegt ja auch nicht an der Spree.