Über Mythen läßt sich brüten

"Rien ne va plus" heißt es im Kosovo. Da kann verhandelt werden, was will

Viel hat er nicht erreicht. Dennoch fühlt er sich als Pionier. Am vergangenen Wochenende weilte Österreichs Außenminister Wolfgang Schüssel in Belgrad und Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, um mit Serben-Chef Slobodan Milosevic und Vertretern der Kosovo-Albaner über eine Lösung des Konflikts in der serbischen Provinz zu verhandeln.

Immerhin: Es war der erste Besuch eines EU-Außenministers in Rest-Jugoslawien seit neun Jahren. Und weil Österreich im Juli den EU-Vorsitz übernimmt, kommt dem Besuch Schüssels eine Bedeutung zu, die selbst die internationale Diplomatie überrascht hat. Schön sei, so Schüssel, daß eine Delegation des Roten Kreuzes nun in die Krisenregion gelassen werde. Weniger schön scheint aber, daß es dabei auch schon bleibt und mehr als die übliche "Signalwirkung" nicht zu erkennen ist.

Und das, obwohl sich die Freischärler der Befreiungsbewegung UCK (Ushtria Clirimtare e Kosoves) doch so bemüht hatten. Ende April bemerkten sie, daß ihr verzweifelter Kampf um die "Freiheit des Kosovo" zwar international mit viel Betroffenheit zur Kenntnis genommen worden war und von Washington bis Bonn dem serbischen Potentaten Milosevic mit allerlei Unbill gedroht wurde, doch die internationale Sprachregelung mußte die Balkan-Guerilleros enttäuschen: Der Kosovo sei eine serbische Provinz, die Kämpfe bedauerlich, aber im Grunde sei der Konflikt eine interne Angelegenheit des ohnehin schon arg geschrumpften Jugoslawiens.

Das änderte sich rasch, als sich die UCK-Kämpfer in der Grenzregion zum Kosovo betätigten. Die folgenden Gefechte an der Grenze des ohnehin labilen Staates provozierten im Westen lautes Säbelrasseln: Plötzlich drohte die allseits bereite Nato, Truppen nach Albanien zu schicken. An einer Entschärfung des Konfliktes durch eine solche Aktion wird allerdings gezweifelt. So meinte Mitte Mai etwa Veton Surroi, Chef einer der wenigen kosovo-albanischen Zeitungen, daß dadurch zwar der "schleichende Krieg" eingegrenzt, aber noch lange nicht entschärft werden könne.

Und er hat recht. Abgesehen von der Einfältigkeit eines militärischen Eingreifens und der Konsequenz eines langen Truppenaufenthalts ohne grundsätzliche Entschärfung verliert somit auch die politische Ebene noch weiter an Bedeutung: Kosovo-Präsident Ibrahim Rugova ist ohnehin schon isoliert genug. Die Kämpfer der UCK und der rechte Flügel seiner LDK (Demokratische Liga des Kosovo) haben ihn längst in politische Geiselhaft genommen.

Ursprünglich plädierte Rugova als harmloser Bürgerrechtler bloß für eine Wiederherstellung der 1989 von Milosevic abgeschafften Autonomie des Kosovo - doch die Ereignisse überholten sein Konzept. Nachdem Rugova noch im März die nicht anerkannten Präsidenten-Wahlen der Kosovo-Albaner haushoch und mit einer Wahlbeteiligung von stolzen 85 Prozent gewonnen hatte, wurde er in den letzten Monaten politisch entmachtet. Er mußte die Forderungen seiner UCK-Kontrahenten nach vollständiger Autonomie übernehmen und tatenlos zusehen, wie seine LDK weiter zerfällt. Der rechte Flügel der Partei, der einen Anschluß an Albanien anstrebt, gewinnt immer mehr an Bedeutung, seit sich die UCK militärisch auf die Grenzregionen konzentriert. Rugovas Idee, die LDK zu einer "Volksbewegung" zu machen und ihr einen Alleinvertretungsanspruch für die Anliegen der Kosovo-Albaner zu sichern, ist seitdem gescheitert.

Aber auch Slobodan Milosevic arbeitet eifrig an der Demontage Rugovas und beschert sich damit selbst Schwierigkeiten: Seinen politisch größten Fehler hat er schon 1989 mit der Abschaffung der Kosovo-Autonomie begangen, jetzt aber setzt er noch einen drauf und spricht Rugova ab, von den Kosovo-Albanern für Verhandlungen überhaupt legitimiert zu sein.

Damit holte er sich gleichzeitig die UCK-Extremisten ins Nest. Und mit denen finden Verhandlungen bekanntlich nur per Waffe

und in Schützengräben statt. In diese Position

wiederum konnte sich Milosevic nur unter freundlicher Mithilfe der Kosovo-Albaner hieven. Seit acht Jahren weigern sie sich, an gesamtjugoslawischen Wahlen teilzunehmen und haben seit 1992 keinen Vertreter mehr ins jugoslawische Bundesparlament entsandt. Diese Verweigerung hat zur Konsequenz, daß Rugova mit Milosevic nur als Bittsteller verhandeln kann und über kein wirkliches Mandat verfügt.

So wird die Lage noch undurchschaubarer und die militärische Option gewichtiger. Daß eigentlich niemand auf beiden Seiten mehr weiß, was es wo und wann und warum eigentlich zu gewinnen gibt, scheint kein Problem zu sein. Die militärische Strategie der UCK ist bewußt unklar gehalten: Der offene Kampf gegen die serbische Armee ist nicht zu gewinnen und die ursprüngliche Taktik, mit Bomben gegen Polizeikasernen vorzugehen, wurde aufgegeben. Fast scheint es, als würden beide Seiten Tote und Verletzte durch das Herumballern in Kauf nehmen, ohne zu wissen, wohin die Reise geht.

Und dann gibt es ja noch den nationalen Mythos Kosovo. Der Konflikt um den an sich unwichtigen Landstreifen hat beinahe Belfaster Qualitäten. Für Milosevic hat der Kosovo schon existentielle Dimensionen angenommen. Er gilt als serbisches Kernland, und die Beibehaltung des Gebirgslandes als serbische Provinz war immer schon eine wichtige Position des Potentaten. Schon als er 1989 die Autonomie abschaffte, ging Milosevic diesen Schritt mit viel nationalistischem Getöse und ließ sich als Retter serbischer Identität feiern. Ähnliches - nur mit umgekehrten Vorzeichen - schöpfte Rugova aus dem Quell albanischer Historie.

In dieser Mythologisierung liegt ein gut Teil der Brisanz des Konfliktes. Für die politischen Eliten beider Seiten steht die jahrelange Stilisierung dieses Landstriches in der Konsequenz für ihre bloße politische Existenz. Sowohl Milosevic als auch Rugova sitzen dabei im gleichen Boot. Der eine holte sich den Ultranationalisten Vojislav Seselj als Vizepremier in die Regierung, der andere muß politisch isoliert zusehen, wie die UCK immer mehr Zustimmung in der Bevölkerung gewinnt.

Auch das demokratische Establishment der Kosovo-Albaner wendet sich zunehmend von Rugova ab. Hart urteilte etwa der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei PSDK, Luljeta Pula-Beqiri, vor drei Wochen über Rugova: "Rugova hat eine Politik gegen die Interessen der Nation verfolgt."

Und so kommt, was kommen mußte: Nach jahrelangen Fehlentwicklungen gibt es kaum noch Politik, kaum noch Chefs (beides muß man nicht unbedingt bedauern), aber dafür um so mehr Waffen. Ein mögliches Eingreifen der Nato ist da wenig hilfreich. Schließlich heißt Befriedung nicht zwangsläufig Frieden.