Schriftstellerin und lebt in Übach-Palenberg

Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

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Wo war ich? Laut Freund Fritz vielleicht bei ihm. Er war jedenfalls da. Aber wenn Fußball ist, achten die Leute nicht darauf, ob sonst noch einer da ist und wie's dem geht. Das eigene Leben setzt für 90 Minuten aus. Meins auch. Doch während die anderen zu Vogts oder Müller wurden, wurde ich mental zum Möbelstück. So wurde mir tatsächlich erst kürzlich durch den diesbezüglichen Anruf der Jungle World bewußt, daß die DDR einmal eine eigene Fußballnationalmannschaft hatte, die ich gesehen haben muß.

Ich war 15. Fritz' Mutter schmierte Schnittchen mit Konservencamembert von Aldi. Der Käse war wie Gummi; die haben ihn gekocht, bevor sie ihn in die Büchse taten. Fritz' Vater lag auf dem Sofa, lachte verzweifelt auf und rief: "Das gibt's doch nicht. Guck dir das an. Schade!" Daß es zwei Deutschlands gab, hat mich als Kind beunruhigt, weil ich dachte, das andere sei ein paralleles Land, an der Grenze gespiegelt, ein Doppelgänger aus Antimaterie mit einem seitenverkehrten Mond. Es war, als hätte man mir gesagt, mich gebe es nochmal, mit einem zweiten Vater und einer zweiten Mutter. Eine gespenstische Vorstellung. "Aber wir sind das richtige Deutschland, ne, Papa?" "So kann man das nicht sagen. Beide sind richtig." Das hab ich nicht verstanden.

Fritz ging als Kind mit seinem Vater mal ein Spiel ansehen, der heimische VFR Übach-Palenberg kickte gegen die Amateure des 1. FC Köln. "Wer von denen sind die Deutschen?" fragte er. "Das sind alles Deutsche", sagte sein Vater. Mit dieser polytheistischen Art kam auch der kleine Fritz nicht klar. Zu wem sollte man denn da halten? War denn jetzt alles egal, oder was?

Aus der DDR kamen 1974 nüchterne, korrekte Briefe, in denen uns die Schul- und Sportleistungen unbekannter Kinder mitgeteilt wurden. Ich kriegte eine blonde Puppe von drüben aus komischem Kunststoff, der so extrem roch, daß ich dauernd an ihr schnuppern mußte. Ich spielte selten mit ihr; ich hatte schon so viele Puppen, mir fiel nichts mehr ein, was sie noch darstellen konnte, aber sie sah hübsch aus.

Hieß "Sparwasser" nicht auch der Mann, der die Geldgewinne bei der Aktion Sorgenkind brachte? Nein, Sparbier! Oder?

1974 sind wir mit der Belegschaft der Stadtverwaltung Übach-Palenberg nach Berlin gefahren und haben die Eternit-Werke besichtigt. Eternit verlor im Freundschaftsspiel gegen Übach-Palenberg 4:5. Bei einem Diavortrag über Eternit gab es Eisbein, eine "Berliner Spezialität". Hä!? Ich dachte, Eisbein kommt aus Bayern!? Die sollten hier nicht anfangen, mir von zwei verschiedenen Eisbeinen zu erzählen, von denen beide die richtigen, alle deutsch und alle lecker wären! Ich hatte mich geirrt. Was aus Bayern kommt, sind nicht die Eisbeine. Ich hab sie mit den Schweinshaxen verwechselt. Wir haben auch über die Mauer geguckt, aber ich weiß nicht mehr, was ich da gesehen habe. Am nächsten Tag sahen wir in einem Restaurant ein altes russisches Paar. Sie sahen aus wie Schauspieler von früher. Ihr Tisch war voll angefangener Leckereien und Likörchen, die der Mann in einem fort für die Frau bestellte. Er redete in nostalgischer Liebe auf sie ein. Er weinte. Sie war betrunken. Sie zog ihre Perücke herunter und kratzte sich den kahlen Kopf. Das weiß ich noch. Das fand ich interessant. Aber das war nicht am 22. Juni.