Rückendeckung aus dem Innensenat

Während die Initiatoren der "Erfurter Erklärung" in Berlin "für eine andere Politik" mobilisieren, wollen NPD und Junge Nationaldemokraten am selben Tag "nationale Solidarität" demonstrieren

Keine linke Demonstration ohne Naziaufmarsch: Mit dieser Taktik versucht die NPD offenbar, in die Schlagzeilen zu kommen. Das jüngste Beispiel hierfür ist die Anmeldung eines Aufmarsches der Partei sowie ihrer Jugendorganisation, den Jungen Nationaldemokraten (JN), am 20. Juni in Berlin.

Während für diesen Tag seit Monaten ein Bündnis von linken GewerkschafterInnen und InitiatorInnen der "Erfurter Erklärung" einen Sternmarsch für "eine andere Politik" in Berlin plant, hat die NPD - angeblich seit Anfang Januar - für den gleichen Tag in Berlin-Mitte einen Aufmarsch unter dem Motto "Arbeit zuerst für Deutsche - Soziale Gerechtigkeit braucht nationale Solidarität" angemeldet. Der ehemalige JN-Bundesvorsitzende und führende Berliner Neonazikader Andreas Storr, verkündete, die NPD/JN wolle vom Brandenburger Tor zum Alexanderplatz marschieren und erwarte zwischen 1 000 und 2 000 Teilnehmer.

Offenbar will jetzt auch der Berlin-Brandenburger Landesverband der NPD/JN nach dem Aufmarsch von rund 5 000 Neonazis am 1. Mai in Leipzig vom bundesweiten Aufwind für die rechtsextremen Organisationen profitieren und gleichzeitig den Wahlkampf nach Berlin tragen. In den vergangenen Jahren hatten NPD und JN in Berlin und Brandenburg eher ein Schattendasein geführt. Ihre Arbeit beschränkte sich darauf, Veranstaltungen für ihre Anhänger durchzuführen.

Seitdem Frank Schwerdt jedoch im November letzten Jahres die Auflösung der Nationalen bekanntgab und gleichzeitig zum Eintritt in die NPD aufrief, verlagerten in Brandenburg und Berlin ganze Kameradschaften ihre Aktivitäten in die NPD/JN. Auch wenn die Verfassungsschützer beider Bundesländer die Mitgliederzahlen der NPD/JN nur auf rund 100 schätzen, gelangen vor allem den JN in den letzten Jahren immer wieder spektakuläre Auftritte in Berlin.

So konnten am 1. Mai 1996 rund 300 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet unter der Führung der JN und des bekannten JN-Kaders Andreas Storr unbehelligt durch Marzahn marschieren. Danach stießen NPD und JN immer wieder auf Widerstand, nicht beim Berliner Innensenat und der Polizei allerdings, sondern in der Öffentlichkeit. So verhinderte ein antifaschistisches Bündnis beispielsweise im Februar 1997 einen geplanten Aufmarsch der NPD/JN in Hellersdorf; in den letzten Monaten wurden Werbestände der NPD/JN in den Berliner Bezirken Friedrichshain und Lichtenberg von AntifaschistInnen behindert und blockiert.

Auch für den 20. Juni erhält die NPD/JN wieder einmal Schützenhilfe aus dem Innensenat: Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) kündigte schon an, daß der Aufmarsch keineswegs verboten werden solle. Lediglich eine "räumliche Entzerrung" zwischen der Gewerkschaftsdemo und dem Naziaufmarsch müsse vorgenommen werden.

Die Anziehungskraft, die von der NPD und den JN auch in Berlin und Brandenburg für die gesamte rechte Szene ausgeht, darf nicht unterschätzt werden. Längst sind die Organisationen auch hier zum Sammelbecken für militante Neonazis aus den verbotenen Organisationen FAP und NF geworden. Und insbesondere führende Aktivisten der aufgelösten Sammlungsorganisation Die Nationalen e.V. sorgen dafür, daß ganze rechte Jugendcliquen und sogenannte "Unabhängige Kameradschaften" in Brandenburg der NPD beitreten. Auffällig ist, daß in den meisten Brandenburger Ortschaften, in denen die Nationalen Kreisverbände etabliert hatten, mittlerweile NPD-Ortsverbände gegründet wurden. Zu den Brandenburger Kommunalwahlen will die NPD nach eigenen Angaben in rund einem Dutzend Kommunen mit eigenen Kandidaten antreten. Nach Angaben des Landeswahlleiters forderte die NPD allerdings für rund 30 Ortschaften Anmeldeformulare an.

Insbesondere in Frankfurt/Oder versucht der dortige NPD-Stützpunkt unter Führung von Jörg Hähnel, neonazistischer Liedermacher und auf Platz eins der NPD-Bundestagskandidatenliste für Brandenburg, einen Wahlkampf mit allen Mitteln zu betreiben. PDS-Veranstaltungen werden gestört; unliebsame AntifaschistInnen auf der Straße fotografiert und eingeschüchtert.

Während die Aktivitäten der NPD und JN in Brandenburg vor allem durch Jörg Hähnel bestimmt werden, ist es in Berlin eine Handvoll zumeist vorbestrafter Neonazikader, die seit Jahren in NPD und JN das Sagen haben. Die Mehrheit von ihnen kommt aus West-Berlin und war schon in den achtziger Jahren entweder bei NPD, JN oder in militanten, mittlerweile verbotenen Neonaziorganisationen aktiv. So ist beispielsweise der 43jährige Spediteurskaufmann Lutz Reichel, momentaner Vorsitzender des NPD-Landesverbandes Berlin-Brandenburg, seit 1978 in der NPD aktiv - damals noch in West-Berlin. Seine rechte Hand, der sogenannte "NPD-Landesorganisationsleiter" und stellvertretende NPD-Vorsitzende Michael Dräger, war bis zum Verbot in der FAP aktiv und ist für seine Gewalttätigkeit bekannt.

Auch der 34jährige Versicherungskaufmann Thilo Kabus, Vorsitzender des NPD-Bezirksverbandes Brandenburg, kann auf eine langjährige Karriere als Naziaktivist zurückblicken. Als 21jähriger begann er bei den JN und war längere Zeit für deren Schülerzeitung Denkzettel verantwortlich. Ergänzt wird das Führungstrio durch die Ostberliner JN-Kader Andreas Storr und Lars Macht, letzterer ist vor allem für die bundesweiten Kontakte und die Teilnahme von Berliner Neonazis bei Großereignissen wie Leipzig zuständig. Und auch die altbekannten Berliner Neonazikader wie der GdNF-Kader Arnulf Priem und der Ostberliner Detlef Nolde begannen ihre braunen Karrieren bei der NPD.

Kader von JN und NPD versuchen insbesondere in den Ostberliner Bezirken seit einiger Zeit verstärkt, Jugendliche in Jugendclubs und an öffentlichen Treffpunkten zu rekrutieren. Dabei trifft es den Bezirk Weißensee ganz besonders: Dort will die NPD nach Angaben des Berliner Staatsschutzes in der Pistoriusstraße ihre neue Landesgeschäftsstelle aufbauen. Der Pressesprecher des Bezirksbürgermeisters kommentierte die Ankündigung lakonisch: "Wir sind alles andere als begeistert davon. Allerdings sehen wir auch keine Handhabe, um das zu verhindern."

Unklar ist, wie sich die Inhaftierung von Christian Wendt, führender Kader der Nationalen und verantwortlich für die Internet-Ausgabe der Nazipostille Berlin-Brandenburger Zeitung (BBZ) auf den Rekrutierungsschub der Nazis in Berlin und Brandenburg auswirken wird. Gegen Wendt wurde am Pfingstsamstag ein offener Haftbefehl vollstreckt, nachdem zwei Urteile mit einem Strafmaß von insgesamt 22 Monaten Haft wegen Verbreitens verfassungsfeindlicher Propaganda und "verbalen und physischen Attacken" auf linke Jugendliche rechtskräftig geworden waren.

Unabhängige Berliner AntifaschistInnen und GewerkschafterInnen haben angesichts des Nazi-Aufmarsches in Berlin massive Gegenaktivitäten angekündigt. Abgeordnete von Bündnis 90 / Die Grünen sowie der PDS wollen am Pariser Platz, dem Auftaktort des Aufmarsches, vor Beginn des Naziaufmarsches ab elf Uhr eine Veranstaltung und Lesung mit prominenten AutorInnen anmelden.