Mythos der deutschen Arbeit

Kein Platz für Schmarotzer

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"Oberstes Ziel", so formulierten es die Initiatoren der "Erfurter Erklärung", müsse das Überwinden der Arbeitslosigkeit sein. Folgerichtig erhoffen sie sich, eine künftig sozialdemokratisch angeführte Regierung möge doch bitte jene sechs bis sieben Millionen Arbeitsplätze schaffen, die dem Volk zum Glück noch fehlen würden.

Wer heute in Deutschland nach "Arbeit, Arbeit, Arbeit" ruft, ist entweder besinnungslos oder Überzeugungstäter. Letzterer weiß, daß hierzulande die Forderung nach einem nationalen "Bündnis für Arbeit" immer auch den Aufruf zur Jagd auf die "Arbeitsscheuen", die "Parasiten" und "Schmarotzer" am deutschen Volkskörper beinhaltet. Der Mythos des ehrlichen und fleißigen Arbeiters war und ist konstituierend für die deutsche Nation. Bereits Luther predigte seinen Brüdern und Schwestern, daß sie Arbeit nicht länger als Last und Strafe, sondern als Beruf(ung) zu verstehen hätten, also als göttliche Aufgabe und Pflichterfüllung an der Gemeinschaft. Ihre "Arbeitsfreude" führte die Deutschen später dazu, nach einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Marxismus zu suchen: dem nationalen Sozialismus.

So sah der Nationalsoziale und spätere Bundespräsident Theodor Heuss 1919 den "Kern der sozialen Erneuerung" nicht in der Frage der Eigentumsordnung, sondern in der der Arbeitergesinnung. "Denn die Freude am Werk", so Heuss, "kann und soll den Entwurzelten den Halt geben, durch den sie Kraft und Wille zur Eingliederung in die Gemeinschaft finden. Nicht die Lohnfrage und Arbeitszeit, nicht die Produktivität (...) ist die Kernfrage eines neuen (unmarxistischen) Sozialismus, sondern das seelische und geistige Verhältnis des Arbeiters zu seiner Arbeit. Hier, wenn irgendwo, sitzen die Sünden des Kapitalismus - nicht in seinem Imperialismus, nicht in seiner technisch-organisatorischen Gewaltsamkeit: daß er den Arbeitsstolz vernichtet hat."

Das irrationale deutsche "Arbeitswesen" blieb im Zeitalter der Technisierung und Kapitalisierung gleichzeitig immer mit Werten einer handwerklichen "Arbeitsmoral" besetzt und aufgeladen. Auf Grundlage dieses Arbeitswahns bildeten die "Betriebszellen" fortan die Betriebs- und Volksgemeinschaft. Statt der Klassengegensätze wurden die "Rassengegensätze" zum Betätigungsfeld des deutschen Proletariats. Am 24. Oktober 1933 rief Adolf Hitler vor Tausenden Zuhörern im Berliner Sportpalast aus: "Wir schämen uns nicht, arbeiten zu müssen. Wir bejahen die Arbeit, wie unsere Väter sie schon bejaht haben." Und er fügte hinzu: "Wenn eine volkstümliche Beteiligung des deutschen Volkes am Staate überhaupt möglich ist, so nur über die Arbeit. In diesem Sinne ist das Dritte Reich das Reich des deutschen Sozialismus, ein Staat der Arbeit und der Arbeiter." Nach der "nationalen Revolution" von 1933 wurde die Arbeit für viele zur Bewährungsprobe ums Ganze, in ihr erwies sich die Lebenstauglichkeit und damit die Lebensberechtigung des einzelnen.

Widerstand gegen den deutschen Arbeitswahn hat es von der orthodoxen Linken nie gegeben. Da die "Arbeiterparteien" hierzulande der Produktion an sich kritiklos gegenüberstanden und Arbeitsleistung als Pflichterfüllung und Dienst an der Gemeinschaft selbst propagierten, waren sie immer Teil dieses Wahns. Der Mythos der deutschen Arbeit und ihren Planerfüllungswettbewerben wirkte nach 1945 fort: Im deutschen "Arbeiter-und Bauernstaat" wie in der Apo-Linken, die es nach dem Vorwurf des deutschen Proletariats, "Geht doch erst einmal arbeiten", massenhaft in die Fabrikhallen trieb, wo sie den Werktätigen nebenbei ihre Zeitschriften Arbeiterpolitik und Arbeiterkampf zu verkaufen suchten. Für die bevorstehenden Arbeiterkämpfe läßt die ungebrochene Kontinuität des deutschen Arbeitswahns Schlimmes befürchten, sowohl für diejenigen, die den Deutschen angeblich "ihre Arbeit" wegnehmen, wie für die sog. Faulen und Unproduktiven.

Daß es auch den deutschen Arbeitervertretern von SPD und Gewerkschaften heute nicht in erster Linie um materielle Ziele geht, zeigten ihre letzten Aktivitäten. Beim Bündnis für Arbeit wird nach einer neuen Solidargemeinschaft gerufen, bei der Kampagne gegen die Fusion von Krupp und Thyssen beklagte die IG Metall - mit deutlichen antisemitischen Untertönen - das internationale Finanzkapital an, gleichzeitig demonstrierte die IG Bau gegen ausländische Beschäftigte. Wir erlebten Mobilisierungen der Beleidigten und sich vom Ausland bedroht Fühlenden. Mobilisierende Kraft war bei alledem vor allem die Kränkung ihrer Ehre als deutscher Arbeitsmann.

Klar ist schon heute, daß die "Arbeitsfrage" in Deutschland nicht revolutionär zu wenden ist. Es sei denn, man denkt wieder an eine nationale Revolution und einen deutschen Sozialismus.