Immer wieder statt Nunca Màs

18 Monate nach dem Friedensschluß in Guatemala sind politische Morde weiter auf der Tagesordnung

Siebzehn Häftlingen des guatemaltekischen Untersuchungsgefängnisses Quetzaltenango gelang am vorletzten Sonntag die Flucht - unter Mithilfe von vier Polizeibeamten. Einer der Geflohenen, Victor Manuel Vasquez Gonzales, hatte zuvor gestanden, an der Ermordung der Staatsanwältin Silvia Jérez Herrera beteiligt gewesen zu sein, die gegen Angehörige des Militärs ermittelte, u.a. wegen der Ermordung des Anfang der neunziger Jahre verschwundenen Guerilla-Kommandanten Efra'n B‡maca. Der Tod der Staatsanwältin reiht sich ein in eine neue Repressionswelle, die mit dem Mord an Bischof Juan Gerardi Conedera vor zwei Monaten begann. Gerardi war kurz nach der Veröffentlichung eines unter seiner Leitung entstandenen Berichts über Menschenrechtsverletzungen in den achtziger Jahren umgebracht worden.

Der im April veröffentlichte Report unter dem Titel "Guatemala - Nunca M‡s" (Guatemala - Niemals wieder) dokumentiert nicht nur die Menschenrechtsverletzungen des vergangenen Jahrzehnts, sondern erklärt die Massaker-Politik der guatemaltekischen Militärdiktaturen zur Strategie der Aufstandsbekämpfung. Seitens der katholischen Kirche wird dabei, trotz innerkirchlichem Widerstand, mit dem Mythos aufgeräumt, Massaker an der Zivilbevölkerung seien nur Begleiterscheinungen eines Krieges. Die folgenreichste Bedeutung des im Rahmen des Projektes zur "Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses" (REMHI) entstandenen Dokuments ist, daß die verantwortlichen Militärs und Zivilisten namentlich genannt werden und ihre Amtsenthebung sowie Entschädigung für die Opfer gefordert wird.

Während die Regierung unter dem liberal-konservativen Präsidenten Alvaro Arzœ den Bischofsmord hartnäckig als Einzeltat bezeichnet und nur wenige Tage nach der Tat einen Kleinkriminellen als Sündenbock präsentierte, sprechen einzelne Vertreter der katholischen Kirche, Menschenrechtsorganisationen und Basisbewegungen von einem politischen Mord und fordern die lückenlose Aufkläung. Die ehemalige Guerilla "Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas" (URNG) spricht von einer gezielten Aktion mit der Absicht, die "positiven Effekte des Friedensprozesses zurückzudrängen". Doch die positiven Effekte des - nach 36 Jahren bewaffneten Konflikts - im Dezember 1996 zwischen URNG und Regierung geschlossenen Friedensabkommens sind zu hinterfragen. Die Besitzverhältnisse blieben weitgehend unangetastet und auch die Kriminalisierung oppositioneller Kräfte wird fortgesetzt: Im letzten Jahr wurde die Repression gegen LandbesetzerInnen verschärft, es kam zu gewalttätigen Räumungen, vier FunkionärInnen wurden ermordet. Auch erhielten nach der Ermordung Gerardis 60 MenschenrechtsaktivistInnen Morddrohungen.

Die Garantie, für begangene Menschenrechtsverletzungen nicht zur Verantwortung gezogen zu werden, war fundamental für die Strategie der Politik der verbrannten Erde zu Beginn der achtziger Jahre. Der bekannteste Vertreter dieser Strategie, der 1982/83 amtierende Diktator General Efra'n R'os Montt ist nach wie vor Vorsitzender der rechtsextremen Partei Republikanische Front Guatemalas (FRG) und bemüht sich, als Präsidentschaftkandidat für die Wahlen Ende 1999 zugelassen zu werden. Während der Jahrzehnte des Krieges hatten die faschistischen Militärs im Bündnis mit Clans der Agraroligarchie innerhalb der herrschenden Clique die Oberhand. Die Repressionspolitik war durch Verflechtungen zwischen Militär und Justiz gekennzeichnet, die das offene Auftreten der Armee bei Massakern und extralegalen Hinrichtungen ermöglichte. Mit dem Wahlsieg der Partei des Nationalen Fortschritts (PAN) Ende 1995 kam erstmals eine Fraktion konservativer Modernisierer an die Macht, die auf neoliberale Politik setzten. Die Beendigung des bewaffneten Konflikts und die Transformation zu einem - in ihren Augen - politisch stabilen Land mit rechtsstaatlicher Fassade waren dafür ebenso eine Voraussetzung wie die Verdrängung von Teilen des reaktionären Flügels aus Machtpositionen in den Sicherheitsapparaten. Diese Gruppen aus dem Umfeld der FRG führen ihren Kampf nicht mehr nur gegen die linke Opposition, sondern auch gegen die derzeitige Regierung.

Zwar ist nach Ansicht von Am'lcar Méndez, Abgeordneter des Parteibündnisses linker Kräfte FDNG, der militärische Geheimdienst G2 interessiert, in der Staatsanwaltschaft eine parallelle Machtstruktur beizubehalten. Jedoch zeigt derProtest von Staatsanwälten in Guatemala-Stadt nach dem Mord an Herrera, daß die Gleichschaltung von Militär und Justiz bröckelt. Offene Repression seitens rechtsgerichteter Militärs ist nicht mehr so einfach wie früher, institutionell weniger greifbare Formen des Terrors rücken in den Vordergrund. Es kommt zu einer Privatisierung des Terrors durch verdeckt auftretende Militärs, Todesschwadrone und paramilitärische Gruppen. Ein weiteres Phänomen ist die zunehmende Verwicklung von Militärkreisen in den Drogenhandel und die Entführungsindustrie.

Zwei Wochen nach dem Mord an Gerardi tauchte zudem ein Bekennerschreiben der Todesschwadron "Jaguar Justiciero" (Richtender Jaguar) auf, die in Verbindung mit rechtsextremen Militärs steht. Die Regierung bezeichnet das Schreiben als falsche Spur und hält an der Einzeltäterthese fest. Für Frank La Rue vom Menschenrechtsbüro CALDH besteht hingegen kein Zweifel, "daß Mitglieder der Streitkräfte, die den Kreisen der Diktatur von Efra'n R'os Montt nahestehen", für den Mord verantwortlich seien. Das wird aber unbeweisbar bleiben, solange es der Regierung nicht gelingt, die Verflechtungen der Geheimdienste aufzudecken und aufzulösen. Zwar hat es nach Friedensschluß Säuberungen gegeben, die Strukturen sind jedoch intakt und werden von rechten Militärs kontrolliert.

Seit dem Mord an Gerardi hat der Machtkampf zwischen dem rechtsextremen und dem neoliberalen Flügel an Schärfe zugenommen. Die rechten Hardliner können sich an Mexiko ein Beispiel nehmen, wo die Eskalation des Krieges gegen die Indigenas kaum internationalen Druck hervorruft. Zu Guatemala halten sich EU und "Geberländer" mit Protestnoten ebenso zurück.

Aber auch in anderen Bereichen gewinnt die extreme Rechte Guatemalas an Boden. Ein im Friedensabkommen vorgesehener Gesetzesentwurf zur Besteuerung von Großgrundbesitz und Immobilien wurde von der PAN zurückgezogen, nachdem es der FRG gelungen war, mehrere tausend Bäuerinnen und Bauern gegen diesen Vorschlag auf die Straße zu bringen - man hatte ihnen erzählt, sie müßten in Zukunft ihre Minifundien hoch versteuern. Da die Stärkung der sozialen Basis der FRG die PAN beunruhigt, versucht man, Anschluß an den autoritären Diskurs der FRG zur "Inneren Sicherheit" zu finden. Beide Parteien überbieten sich dabei lautstark im Geschrei nach der Todesstrafe, womit gleichzeitig Guatemalas Todesschwadrone zur Lynchjustiz aufgestachelt werden. Laut der oppositionellen Basisorganisation CERJ gibt es zunehmend außergerichtliche Hinrichtungen von sogenannten Kriminellen.

Daß eine verstärkte Anwendung der Todesstrafe von jenen gefordert wird, die durch das Amnestieabkommen straffrei ausgegangen sind, ist paradox. Zwar sind Genozid, Folter und gewaltsames Verschwindenlassen von der Straffreiheit ausgenommen, allerdings haben die Schlächter des letzten Jahrzehnts von der im Abkommen verankerten Wahrheitskommission unter dem Vorsitz des deutschen Völkerrechtlers Christian Tomuschat wenig zu befürchten. Im Gegensatz zur Dokumentation von REMHI wird der abschließende Bericht der Wahrheitskommission weder als Beweismaterial verwendet werden können, noch Namen der Täter nennen dürfen. Der Bericht von REMHI hat daher einen wunden Punkt getroffen.

Derzeit halten sich mehrere Mitarbeiter von REMHI in Deutschland auf. Veranstaltungen mit ihnen finden statt am 24. Juni in Hamburg; am 30. Juni im Domforum in Köln; am 2. Juli im "Fenster zur Welt" in Nürnberg; am 3. Juli im Franz-Hitze-Haus in Münster