Humane Pinkelpause

In der Standortdebatte ist kein Platz für Menschenrechte

Wenn deutsche Politiker auf Weltreise gehen, verlaufen die Gespräche mit den Regierungschefs vor Ort grundsätzlich in entspannter Atmosphäre, und die Hundertschaft von mitreisenden Wirtschaftsbossen kritzelt in ihre Auftragsbücher, bis die Tinte alle ist. Um dem Protokoll der Political Correctness zu entsprechen, wird natürlich auch die Menschenrechtslage des betreffenden Landes angesprochen, sollte es dazu Anlaß geben. So heißt es zumindest in den offiziellen Verlautbarungen. Wahrscheinlicher dürfte sein, daß die Menschenrechte höchstens zum Smalltalk während der Pinkelpause taugen, ehe man sich anschließend wieder wichtigeren Dingen zuwendet. Wenn deutsche Politiker nach Mexiko reisen, ist das nicht anders. Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel machte im Februar einen Trip nach Mittelamerika. Eine Musikkapelle spielte "Horch, was kommt von draußen rein" und "Muß i denn zum Städtele hinaus", während Mexikos Präsident Ernesto Zedillo die zweihundertköpfige Managerriege aus dem schwäbischen Musterländle verköstigte. Teufel und Zedillo stießen auf die guten Geschäfte an, die man in Zukunft tätigen wird. Vereinbart wurde der Bau eines sogenannten "Deutschen Hauses" - ein Service-, Logistik- und Bürozentrum, das erste Anlaufstelle für Investoren aus der Bundesrepublik werden soll. Dadurch würden "die deutsch-mexikanischen und vor allem die baden-württembergisch-mexikanischen Beziehungen eine starke Intensivierung erfahren", wie es in einem Vermerk des Stuttgarter Staatsministeriums heißt.

Die Finanzierung des Komplexes übernimmt die Südwestdeutsche Landesbank, die das Grundstück in bester Lage von Zedillo geschenkt bekam. Kaum verwunderlich, daß die leisen Stimmen aus der Managerdelegation, die vom mexikanischen Präsidenten Näheres über die humanitäre Situation im Bundesstaat Chiapas erfahren wollten, bald vom allgemeinen Schulterklopfen übertönt wurden. Dabei ist dort die Situation schlimmer als je zuvor. Im Juni warnte amnesty international davor, daß die Gewaltspirale in den Bundesstaaten Chiapas und Guerrero "in eine Menschenrechtskatastrophe münden" werde, sollte die internationale Gemeinschaft weiterhin tatenlos zusehen. Beinahe täglich verschwinden Menschen, Medienvertreter werden eingeschüchtert und ermordet.

Ungeachtet dessen wird die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Mexiko weiter verstärkt. Die deutschen Sektionen von amnesty international, Reporter ohne Grenzen, Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter und der Internationalen Liga für Menschenrechte appellierten an die Adresse der Bundesregierung, die Verbindung von freiem Welthandel und Menschenrechten nicht ganz zu unterschlagen. Eine offizielle Reaktion blieb aus.

Vielmehr kam es zu der Unterzeichnung eines Investitionsschutzabkommens und Außenminister Klaus Kinkel bezeichnete in einer Rede Mexiko als "Wunschpartner" der deutschen Wirtschaft. Die ökonomischen Interessen genießen Priorität, da muß man eben auch mal ein Auge zudrücken.

"Da wird auch im Auswärtigen Amt offen so darüber geredet", wie Wolfgang Grenz, Wissenschaftler am Institut für Iberoamerika-Kultur in Hamburg, festgestellt hat. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen, wie das Interesse deutscher Unternehmen an dem mittelamerikanischen Land trotz Folter und Mord zugenommen hat. Im Jahr 1990 exportierte die Bundesrepublik Waren im Wert von 2,9 Milliarden Mark nach Mexiko, im vergangenen Jahr betrug das finanzielle Volumen der Ausfuhren bereits 5,4 Milliarden Mark, wobei der größte Anteil mit knapp einer Milliarde Mark aus Baden-Württemberg stammt. Besonders aktiv sind hier die SüdwestLB, Daimler-Benz und Bosch. Im Gegensatz dazu wurden aus Mexiko nur Güter für etwa eine Milliarde Mark nach Deutschland eingeführt.

Die Bundesrepublik ist natürlich nicht der einzige Wirtschaftsstandort, der auf die Erschließung neuer Absatzmärkte für seine Produkte drängt, aber doch der eifrigste. "Auf europäischer Seite", so Grenz, "haben die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft die massivsten Interessen, daß es zu Verhandlungen über eine europäisch-mexikanische Freihandelszone kommt." Als Handelspartner ist der mittelamerikanische Staat für die europäischen Wirtschaftsbosse aus mehreren Gründen attraktiv. Das Wirtschaftswachstum liegt bei etwa fünf Prozent, die Löhne sind niedrig. Baden-Württembergs Ministerpräsident Teufel hat ausgerechnet, daß zehn neuen Arbeitsplätzen in Mexiko drei in Deutschland folgen. Kritiker meinen hingegen, daß sich höchstens die Gewinnspanne der dort tätigen deutschen Unternehmen verdreifacht - ohne Auswirkungen auf den hiesigen Arbeitsmarkt.

Noch wichtiger für die deutschen Unternehmer ist der Beitritt Mexikos zur Nordamerikanischen Freihandelszone (Nafta) vor vier Jahren, dem auch die USA und Kanada angehören. Da es von seiten der Europäischen Union vor allem mit den Vereinigten Staaten immer wieder protektionistisch anmutenden Streit wegen der gegenseitigen Handelsbeziehungen gibt, versucht die EU nun, über Mexiko noch in den weltweit größten Markt einzudringen. Die zahlreichen bilateralen Handelsabkommen der Mexikaner mit lateinamerikanischen Staaten weckt die Hoffnungen europäischer Unternehmer, auch diese Länder zu erobern. Die Bundesrepublik gilt dabei als deren größter Fürsprecher.

Im Oktober letzten Jahres rührte Präsident Zedillo bei Gesprächen in Brüssel kräftig die Werbetrommel für das Zustandekommen der Freihandelszone. Ein Chefunterhändler im Ministerrang weilt seither ständig in Europa, um die Verhandlungen zu beschleunigen. Mexikos Regierung möchte durch den europäischen Handel seine wirtschaftliche Abhängigkeit verringern. Und kann bereits erste Erfolge verbuchen. Im Dezember letzten Jahres, zur selben Zeit also, als in der Gemeinde Acteal 45 Menschen von staatlich geduldeten Paramilitärs massakriert wurden, verabschiedeten beide Seiten ein Rahmenabkommen über ein Verhandlungspaket.

Darin heißt es, Grundlage aller Beziehungen der Unterzeichnerstaaten sei "die Respektierung demokratischer Prinzipien und der Menschenrechte". In Mexiko hat es in den letzten Jahren tatsächlich eine nicht zu unterschätzende politische Öffnung gegeben. Eine Wahlrechtsreform beendete die fast siebzigjährige Einparteienherrschaft von Zedillos Regierungspartei PRI, die im vergangenen Sommer erstmals die Mehrheit im Abgeordnetenhaus an die oppositionelle Demokratische Revolution verlor. Die Menschenrechtslage aber, war bereits zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Rahmenabkommens katastrophal und hat sich weiter verschlechtert.

"Die zunehmende Militarisierung läuft der politischen Öffnung Mexikos entgegen", meint Mexiko-Forscher Grenz, "zwischen den Worten des Präsidenten und der realpolitischen Lage ist außerdem ein großer Widerspruch" zu erkennen. Einige EU-Parlamentarier nahmen dies wohl zur Kenntnis und luden die mexikanische Außenministerin Anfang März nach Brüssel zu einem Hearing, wo sie neben Vertretern von Menschenrechtsorganisationen den Abgeordneten Rede und Antwort stehen mußte.

Die staatlich organisierten oder zumindest geduldeten Morde in Chiapas haben die mexikanisch-europäischen Verhandlungen laut Grenz zwar zu einer "Wackelpartie" werden lassen, gekippt wurden sie von europäischer Seite aber nicht, vor allem auf Geheiß der Deutschen. Kurz nach dem Hearing begannen konkrete Verhandlungen über den Zollabbau zwischen der EU und Mexiko. In der Standortdebatte ist für Menschenrechte kein Platz.

Das merken auch die Teilnehmer einer Kundgebung Anfang Juli in Stuttgart. Der "europaweite Aktionstag gegen den schmutzigen Krieg der mexikanischen Regierung in Chiapas" taugt nicht gerade zum Publikumsmagneten. Gerade mal 30 Leute versammelten sich vor dem gläsernen Bankenkomplex der SüdwestLB, in dem sich, wie es der Zufall will, auch das mexikanische Konsulat befindet.