Schallplatten, die keiner bestellt hat

Hilfe aus dem Untergrund

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1998. Wer hätte gedacht, daß es da noch underground gibt? Ist der nicht schon im letzten Jahr abgeschafft worden? Aber natürlich, es gibt da diese Krise im Music-Biz. Die Spice Girls singen mit Pavarotti, weil Geri es sich anders überlegt hat, die beiden Mädchen von Mr. President müssen zum Broterwerb für den Playboy posieren, Brian von BSB hat seine Herzoperation nur knapp überlebt und Gil geht mit der kleinen Schwester von Nick Carter. Was macht eigentlich DJ Bobo gerade? In Wirklichkeit gibt es gar keine Musik außer in der Bravo oder auf MTV.

Und trotzdem gibt es auch 1998 noch underground. Kaum zu glauben: Leute, die nicht wissen, daß Musik, die nicht nach Massive Attack klingt, ziemlich uncool ist. Die tatsächlich mit ihren alten Gitarrenverstärkern durch die Gegend reisen und versuchen, auf diese Weise berühmt zu werden. Werden sie aber nicht, klingt ja auch nicht die Bohne nach Massive Attack: lahme Grooves und deutsche Texte, die in Wohngemeinschaften in Hannover oder Leipzig spielen. Zwei völlig uncoole Orte also. Darum fährt man auch ab und zu nach Hamburg oder Berlin. Da ist man dann underground. Weil einen keine Sau kennt. Aber das ist zu Hause ja auch nicht anders.

Zuhause ist z.B. Leipzig. Zumindest für Willkommen Zuhause Laika. Die singen von Dingen, von denen sie etwas verstehen. Das sind zumeist Sachen, die sie selbst erlebt haben. Schließlich haben sie bei einem Konzert, bei dem die Hauptband ausgefallen war, schon mal behauptet, Tocotronic zu sein. Genau wie die haben sie irgendwo in einer schmuddeligen WG ihr Tagebuch verschlust und müssen nun alles, was passiert auf CD pressen ("Suzanna schrieb mir einen Brief").

Dabei hilft ihnen das kleine Label Klub der guten Hoffnung, das in Hannover-Linden residiert; ein Ort also, der auch nicht so richtig hip ist. Aber ganz gemütlich eben. Dort kann man CDs abonnieren wie eine Wochenzeitung. Vier Stück im Jahr für 40 Mark. Alles total underground. Willkommen Zuhause Laika z.B. oder Sampler wie "Ich hab's mir anders überlegt", auf dem auch Bands wie Wohnung und Quarks - tatsächlich aus Berlin - drauf sind. Bei Willkommen Zuhause Laika geht es immer um Situationen, die du auch schon erlebt hast. Meistens ist es Verliebtsein. Ist ja auch eine schlimme Sache, aus der man kaum anders rauskommt als mit Popsongsschreiben. Helfen tut's aber meistens auch nicht. Darum versuchen Willkommen Zuhause Laika auch ständig, dich davon zu überzeugen, daß alle anderen Umgangsweisen mit dem Problem angebrachter sind: Isolation, Selbstmord, in den Süden fahren, sich andere Leute suchen. Lauter gute Ratschläge.

Manchmal singen sie aber auch über Leute, die nicht so recht zusammenpassen: "Sie hat die Zeit abonniert. / Er hat ein Sozi-Abo bei der Jungle World." Ein finsterer Typ, der sich um nichts kümmert. Kein Wunder, daß es mit den beiden nichts wird. Naja, zumindest liest hier niemand die Woche.

Kurz danach müssen wir Leipzig schon wieder verlassen. Schade, war doch eigentlich ganz nett hier. Ein bißchen langweilig vielleicht. Außerdem kann einem hier keiner sagen, wo man hingehen soll, wenn man tanzen will.

Willkommen Zuhause Laika: Tschüß, Tschüß, Liebe. VA: Ich hab's mir anders überlegt. Beide Klub der guten Hoffnung, Tel. 0511/45 13 03