Antifa heißt Camping

Von Ivo Bozic

Antirassistisches Aktionscamp an der Neiße wirbt für aktive Fluchthilfe und protestiert gegen Bundesgrenzschutz und Flüchtlingsdenunziation

Bestens organisierte Nazi-Strukturen, eine mehrheitlich tief rassistische und denunziationswillige Bevölkerung und ein gnadenloses polizeiliches Grenzregime, das den reichen vom armen Teil Europas abschottet: Das ist die Situation im Grenzgebiet in Ostsachsen.

Bei den insgesamt rund 1 000 Techno-Fans und 400 AntirassistInnen, die sich vom 24. Juli bis zum 2. August in Rothenburg an der Neiße zu einem Antirassistischen Aktionscamp und "Borderline-Rave" begeben hatten, waren also ein wenig Mut und Pioniergeist gefragt. Wer die letzten zehn Jahre in Hamburg in einem Infoladen Broschüren entstaubt oder in München, Wiesbaden oder Wuppertal Demos gegen AKW, Startbahnen und den US-Imperialismus organisiert hat, für den bzw. die ist eine Reise ins tiefste Sachsen natürlich so etwas wie eine Abenteuerfahrt. Aber auch die sächsische Bevölkerung hatte das Aktionscamp mit Spannung erwartet. Die Angst vor "den Autonomen" bzw. "den Berlinern" sorgte schon Wochen vorher in der Region für Aufregung und zahlreiche Medienberichte. Auf einer großen Wiese nahe der Stadt Rothenburg an der Neiße versammelten sich im Rahmen der Kampagne "Kein Mensch ist illegal!" nach einem dreitägigen Rave des linksradikalen Berliner Techno-Kollektivs radical rave schließlich Menschen aus allen Ecken der Bundesrepublik, aus Polen, Italien und der Schweiz - vornehmlich, aber nicht nur, aus dem autonomen Spektrum. Ebenso zu den Vorbereitern gehörten regionale Antifa-Gruppen aus Görlitz, Bautzen, Zittau und Dresden mit deutlich jüngerer Belegschaft und westdeutsche Gruppen aus der Antirassismus- und Flüchtlingsarbeit. Auch die FDJ schickte ein paar AktivistInnen aus München (!) auf den Zeltplatz, um gegen die Annexion der DDR zu agitieren und dem "Volk der DDR" sein Recht auf Eigenständigkeit wiederzugeben. Dezentes Mobbing konnte die Blauhemden nach ein paar Tagen jedoch zum vorzeitigen Aufbruch animieren. Das aktionsorientierte Camp hatte zum Ziel, einerseits Widerstand und Protest gegen die Menschenhatz des Bundesgrenzschutzes (BGS) und die Denunziationsbereitschaft der Bevölkerung vorzubringen und andererseits diejenigen Menschen in der Region, die sich dem rechten Konsens verweigern, zu unterstützen und sie zur Solidarität mit den nach Deutschland kommenden Flüchtlingen aufzufordern. Eine Abendveranstaltung in Görlitz richtete sich sogar explizit an die Bevölkerung und sollte bei ihr eine Lanze für aktive Fluchthilfe brechen. Daß dies nötig ist, bewies ein Vorfall im Erzgebirge, der das Camp der AntirassistInnen überschattete: Nach einer Verfolgungsjagd des BGS raste in der Nacht zum 31. Juli in Weißenborn bei Freiberg ein Mercedes-Transporter mit 27 illegal eingereisten Flüchtlingen gegen einen Baum. Sieben Kosovo-Albaner, auf der Flucht vor dem Krieg, starben bei dem Unfall - auf der Flucht vor dem BGS. Nach BGS-Angaben wollen die Beamten nach der 16 Kilometer langen Verfolgung den verdächtigen Transporter vor Weißenborn überholt haben. Die Polizisten hätten angehalten, seien ausgestiegen und hätten versucht, den Transporter mit einem Leuchtstab zum Anhalten zu bewegen. Dessen Fahrer habe jedoch Gas gegeben und sei nach fünf weiteren Kurven mit 100 Stundenkilometern aus einer Rechtskurve geflogen. Camp-TeilnehmerInnen, die sich am Unfallort umgesehen haben, hegen jedoch Zweifel an dieser Darstellung. Sie vermuten, daß das BGS-Fahrzeug direkter an dem Unfall beteiligt gewesen sei.

Einige der 21 verletzten Flüchtlinge wurden ins Kreiskrankenhaus Freiberg eingeliefert. Nachdem TeilnehmerInnen des Grenzcamps versucht hatten, sie zu besuchen, verhängte der Chefarzt auf Anraten des Landrats ein generelles Besuchsverbot für die unter Schock stehenden Verletzten, das auch für Verwandte galt. Trotzdem gelang es den AntirassistInnen juristischen Beistand zu vermitteln, so daß zumindest einige der Verletzten jetzt einen Asylantrag stellen können. Der 19jährige tschechische Fluchthelfer, der am Steuer des Transporters überlebt hatte, konnte zuerst fliehen, wurde jedoch 15 Stunden später gefaßt.

Die Reaktionen der Medien am nächsten Tag bestätigten die Intention des Aktionscamps, dessen Symbol ein internationales Seefahrtszeichen mit der Bedeutung "Ich brauche einen Schlepper" war. Nicht etwa die Menschenjagd des BGS sorgte für Empörung, sondern die vermeintlich brutalen Schlepper und Schleuser, die angeblich für ihren Profit über Leichen gehen. Die TeilnehmerInnen des Camps reagierten mit einer Spontandemo durch Freiberg, bei der sie den BGS und die deutsche Asylpolitik für die seit 1994 rund 90 Toten an den deutschen Außengrenzen verantwortlich machten. Für die meisten überraschend schlossen sich rund 20 FreibergerInnen, vor allem Jugendliche, der Demo spontan an.

Aber nicht alle Aktionen stießen auf Resonanz bei der Bevölkerung. Gerade die für die sogenannten NormalbürgerInnen ausgelegte Abendveranstaltung verfehlte ihr eigentliches Ziel. Kaum ein Dutzend GörlitzerInnen verirrte sich in den angemieteten Saal. Kontakt zur Bevölkerung kam hauptsächlich über eine extra zum Camp herausgegebene Massenzeitung zustande, die in großer Auflage verteilt wurde. Auch der Techno-Rave zog zahlreiche Jugendliche aus der Umgebung an. Eine Demo in Form einer Mini-Love-Parade am Montag durch Görlitz mit einem italienischen Reggae-Soundsystem stieß hingegen weitgehend auf Ignoranz. Der Auftritt des Kultmoderators von Radio Fritz, Jürgen Kuttner, und des Berliner Basketballstars Henning Harnisch lockte dann immerhin die Jugendlichen des Görlitzer Basketballvereins hinter dem Ofen hervor. Am Dienstag wurden symbolisch drei unbewachte Grenzübergänge geöffnet. Eine "Tarzanschaukel" über die Neiße verhinderte der BGS; ein provisorischer Fährbetrieb, wurde nach fünf Minuten vom Grenzschutz aufgelöst.

Am Mittwoch verursachten rund 60 Taxen und andere Autos mit einem Konvoi in Görlitz ein totales Verkehrschaos. Der Konvoi richtete sich gegen die zahlreichen Prozesse, durch die TaxifahrerInnen, die Flüchtlinge als Fahrgäste mitgenommen haben, als Schleuser kriminalisiert werden. Am Donnerstag folgte die Demo gegen die BGS-Menschenjagd in Freiberg. Ein symbolischer Trimm-Dich-Pfad unter dem Motto "Fit für Fluchthilfe" wurde am Freitag in Rothenburg eingeweiht.

In Ostritz demonstrierten Antifas gegen das Hotel Neißeblick, in dem im Juni die Nachfolgeveranstaltung der neonazistischen Hetendorfer Tagungswochen stattfand und für das in der rechtsextremen Jungen Freiheit als Tagungshaus geworben wird. Im Eingangsbereich des Hotels wurden einige Säcke Müll geleert und Flugblätter verteilt. Motto: "Neißeblick ist Scheißeblick! Hier stinkt's!" Zeitgleich landete auch vor den Türen des Luxushotels Sorat in Görlitz stinkender Abfall. Die Hotelkette Sorat betreibt neben ihren Luxushotels auch Flüchtlingsunterkünfte und Obdachlosenheime, mit denen sie sich eine goldene Nase verdient.

Anschließend besetzten DemonstrantInnen kurzzeitig ein als neuer BGS-Stützpunkt geplantes Gebäude, in dem auch Abschiebezellen eingerichtet werden sollen. Mit Nachtspaziergängen sorgten AntirassistInnen nach Einbruch der Dunkelheit für Irritationen bei den nach Flüchtlingen auf der Lauer liegenden GrenzbeamtInnen. Am Samstag schließlich provozierten die TeilnehmerInnen des Camps mit einer "Regatta" auf der Neiße, direkt am belebten Grenzübergang in Bad Muskau, den BGS, der sich aber insgesamt eher deeskalierend verhielt. Die Grenzpolizei beschränkte sich weitgehend auf einzelne Fahrzeugkontrollen und spähte das Camp mit Ferngläsern und Videokameras aus. Doch nicht nur das weitgehend defensive Verhalten der Polizei gegenüber dem Camp überraschte positiv. Auch die Neonazis der Region ließen sich wider allen Erwartungen nicht einmal blicken. Keine Provokation, kein Angriff, nicht einmal Pöbeleien. Der selbstorganisierte Camp-Schutz der Autonomen, der Tag und Nacht um das Gelände patrouillierte, brauchte nicht ein einziges Mal eingreifen.

Insgesamt zeigten sich viele TeilnehmerInnen des Camps, speziell aus dem Westen, eher erleichtert über die Situation in Ostsachsen. Zwar brauchen sich Nazis wahrlich nicht zu verstecken, doch die rechte Hegemonie auf der Straße geht nicht überall so weit, daß man sich als AusländerIn oder als Linker nicht aus dem Haus trauen kann. Auch die Reaktionen der Bevölkerung waren nicht nur ablehnend. "Es gibt hier eben auch einige - wenn auch kleine - Antifa-Strukturen", erklärte sich ein Politcamper aus Berlin die Lage. "Wenn wir die ermutigt und den einen oder anderen Menschen hier zum Nachdenken gebracht haben, dann hat das Camp auf jeden Fall Sinn gemacht." Als voller Erfolg wurde die Aktionswoche auch von den InitiatorInnen der Kampagne "Kein Mensch ist illegal!" eingestuft. Man sei auf die BürgerInnen zugegangen, "ohne sie dort abzuholen, wo sie sind", hieß es. Außerdem habe man mit phantasievollen Aktionsformen gezeigt, daß Widerstand nötig und machbar sei. Es gibt bereits Überlegungen zu einer Neuauflage des Camps im nächsten Jahr in einer anderen Grenzgegend.