Mit dem Rausch ins Glück

Von Ivo Bozic

Ein kontrollierter Umgang mit Heroin ist möglich.

Drogensucht sei keine Straftat, sondern eine Krankheit, schreiben Gabriela Steiner und Thies Marsen und irren damit an zentraler Stelle. Das Gegenteil ist der Fall. Drogensucht ist beim Großteil der Rauschmittel illegal und damit sehr wohl eine Straftat; eine Krankheit ist Sucht mit Sicherheit jedoch nicht. Lassen wir die eigentlich interessante Frage, was "krank" ist, einmal beiseite. Was ist Sucht? Schon bei der Definition tun sich die Gelehrten schwer. In der Regel versteht man darunter, daß es entweder ein psychisches Verlangen, also den Willen gibt, mit dem Konsum fortzufahren, oder daß - bei körperlicher Abhängigkeit - ein Abbruch des Konsums zu Entzugserscheinungen führt. Manche Soziologen definieren Sucht schlicht als "ausweichendes Verhalten". So oder so: Sucht ist in dieser wie in jeder Gesellschaft allgegenwärtig. Selbst Kaffee macht körperlich abhängig. Ist deshalb jeder Kaffeetrinker und jeder Raucher ein Kranker? "Und wer bitte", fragte Suchtexperte Konstantin Wecker schon 1980, "würde unseren Bürgern die Entzugsqualen eines fernsehfreien Samstagabends zumuten"?

Die Frage der Sucht ist eine Frage des Umgangs mit den Dingen. Kontrollieren sie uns oder wir sie? Mit Kaffee haben wir, nachdem er anfangs ebenso verteufelt wurde wie heute andere Drogen, umzugehen gelernt. Natürlich ist das Suchtpotential viel geringer als etwa bei Alkohol. Und doch gibt es trotz nachweisbarem körperlichem Schaden und großer Abhängigkeitsgefahr viele Menschen, die ein Leben lang auch mit Alkohol bestens zurechtkommen.

Auch Heroin kann - dafür gibt es zahlreiche Belege - kontrolliert und auch ohne physische Abhängigkeit konsumiert werden. Es gibt Schätzungen, nach denen nur etwa zehn Prozent der Heroinbenutzer in den USA in klassischer abhängiger Weise, mindestens 40 Prozent aber nur gelegentlich und kontrolliert Heroin konsumieren und dabei sozial unauffällig bleiben.

Ein kontrollierter Umgang mit illegalen Drogen ist allerdings schwieriger als der mit legalen. In offiziellen Aufklärungsschriften finden wir nichts über eine "vernünftige" Anwendung etwa von Heroin. Der Autor Olaf Gersemann stellte richtig fest, daß das Verbot kulturferner Drogen vor allem dazu führe, daß sie kulturfern blieben und sich ein kontrollierter Umgang nicht etablieren könne. Folge sei eben nicht der Nicht-Konsum, sondern der unkontrollierte Konsum.

Doch ob es zu einer Verelendung eines Heroinkonsumenten kommt, oder ob er ein Leben lang als Arzt eine Praxis führt und nie von einer Drogenstatistik erfaßt wird, das hängt durchaus von der ökonomischen Situation des Betroffenen ab. Wer Geld satt und Zugriff auf qualitativ guten Stoff hat, wer deshalb auch nicht auf einer Toilette mit gebrauchten und unter Umständen infizierten Nadeln völlig gepanschtes Dreckszeug injizieren muß, für den ist die Verelendung absolut nicht zwangsläufig. Die Rolling Stones lobpreisten vor über 20 Jahren schon den "Brown Sugar" (Heroin), und heute wird keiner wird sagen, daß es ihnen damit schlecht erging.

Genau das aber beweist, daß nur die Legalisierung von Heroin dauerhaft einen Ausweg aus dem Elend bietet. Hundertprozentiges Heroin kennt neben der Abhängigkeit als einzige Nebenwirkung leichte Verdauungsstörungen. Eine Abhängigkeit wäre bei reinem Stoff also ein Leben lang ohne körperliche Schäden zu befriedigen. Das Pulver auf dem Schwarzmarkt jedoch hat in der Regel einen Reinheitsgehalt von gerademal zehn Prozent. Natürlich führt der Teufelskreis der Drogensucht (immer weniger Wirkung, immer höhere Dosen) auch ohne körperliche Schäden in einen Zustand, der das Gegenteil von einem selbstbestimmten Leben ist, und bestimmt braucht, wer in diesen Sog gerät, früher oder später Hilfe - etwa durch Therapien.

Sucht soll hier nicht verharmlost werden. Auch legalisierte Drogen können einen Konsumenten ins Verderben führen. Aber der Beschaffungsdruck auf dem völlig überteuerten Schwarzmarkt, der fast immer zu Kriminalität und Knast führt, gehörte der Vergangenheit an. Ebenso die rund 1 500 Herointoten jährlich, die vor allem Opfer der Kriminalisierung werden. Schon allein wegen ihnen ist die Legalisierung notwendig.

95 Prozent der Junkies kommen, nicht deshalb zum Heroin, weil dessen Wirkung faszinierend ist, schreiben Gabriela Steiner und Thies Marsen, sondern weil sie "ihr Leben erträglicher machen wollen". Wo ist der Unterschied? Auch Autofahren, Waldspaziergänge und Sex machen das Leben erträglicher. Das Leben ist eben nicht leicht. Und das liegt nicht nur am Kapitalismus. Triebe nur die soziale Not Menschen in den Drogenkonsum, wären wohlhabende Schichten davor gefeit. Dies wird aber immer wieder durch die Realität widerlegt.

In diesem Zusammenhang paßt es gut, zum Abschluß noch einmal Mega-Kokser Konstantin Wecker zu Wort kommen zu lassen: "Wer mit dem Wagnis paktiert, hofft auf eine neue Wirklichkeit. Ob aus Verzweiflung, Neugier oder Sehnsucht - er ist bereit, mit seinem Leben der Erstarrung zu trotzen. Es sind meist die Sensibleren und immer Suchenden, die sich der Droge anvertrauen.

Mein Herz schlägt für die Süchtigen. Sie verschreiben sich dem Leben, ohne es besitzen zu müssen. Sie leben mit ihrer Schwäche."