Ecstasy ist auch ein Lifestyle-Medikament

Pillenkick

Von Ivo Bozic

<none>

In Märchen erfüllen sich Wünsche nicht selten mit Hilfe eines Rings. Das ist sehr praktisch - so ein kleines, handliches Ding. Einmal kurz gedreht und: Plopp! Saubere Sache. Ähnlich verhält es sich mit Pillen. Sie passen in jede Handtasche, und jede und jeder schluckt sie. Nach einem Glas Wasser zu fragen, um die Pille runterzuspülen, geht sogar im Vier-Sterne-Restaurant.

Heute erfüllen Pillen fast jeden Wunsch. Zu dick? Zu schlapp? Zu kahl? Zu müde? Für bzw. gegen alles gibt es eine Tablette. Kopfschmerzen, Durchfall, Streß, Depressionen, sogar gegen's Kinderkriegen kann frau sich "schluckimpfen". Pillen sind Ausdruck einer Zeit, in der alles kleiner und entfremdeter wird. Mikrochips, Mini-Kameras, Note-Books - je kleiner und undurchsichtiger die Dinge werden, umso weniger werden sie in Frage gestellt. War früher bei der Standuhr eine Schraube locker, rettete sie der Uhrmacher mit ein wenig Geschick. Fällt heute der Funkwecker vom Schrank, muß man sich einen neuen kaufen. In der Mikrowelt funktioniert etwas, oder es funktioniert eben nicht. Während man einen Tee auf mindestens dreißig verschiedene Arten zubereiten kann und jeweils neue Erfahrungen mit Geschmack und Wirkung machen wird, muß eine Pille einfach die Kehle runter. Wie sie anschlagen wird, steht auf dem Beipackzettel.

Konsumenten haben dabei immer weniger Kontrolle über das, was sie schlucken. Ein Tee bietet immerhin ein paar Kriterien wie Herkunft, Geschmack, Geruch, Aussehen, Zubereitung, Konsistenz für eine Qualitätsabschätzung. Eine Pille ist eine Pille. Da kann man nur der Packungsbeilage glauben, also der Industrie. Zu der Suchtwirkung der Drogen und Medikamente kommt die Abhängigkeit vom Chemielaboranten hinzu.

Dies trifft auch auf den Ecstasy-Konsum zu. Welche Dosis, welche Inhaltsstoffe - das sieht man der Pille nicht an. Anders bei Haschisch und Marihuana. Wer länger damit umgeht, der kann früher oder später am Aussehen des Stoffs, am Geruch, am Geschmack die Qualität abschätzen. Kiffer sind die verantwortungsbewußteren Drogenkonsumenten. Dennoch sind sie einer enormen Diffamierungskampagne ausgesetzt gewesen.

Das ist eben auch eine Formsache. Papierblättchen anfeuchten, den Tisch vollkrümeln, bröseln, rauchen, in verqualmten Zimmern rumsitzen, den Joint zwischen gelben Fingern - das Schmuddelimage liegt auf der Hand. Anders der Ecstasy-Konsument. Er macht nur das, was er von zu Hause kennt: Eine Tablette nehmen. Wie Papa, Mama und der Opa. Klar, warnen die Anti-Drogen-Vereine theatralisch vor den Gefahren, dennoch werden Ecstasy-User nicht zum Feindbild hochstilisiert wie früher Kiffer und LSD-Nutzer. Egal, was sie schlucken, man wird Pillenkonsumenten niemals in diesem Ausmaß kriminalisieren.

Eine Pille erinnert die Elterngeneration eben mehr an Krankenhaus und Prof. Brinkmann, als an Indientrip und Woodstock-Schlamm. Irgendwie ist eine Pille ein Medikament, und in der Tat verschwimmen bei den Lifestyle-Pillen die Grenzen zwischen Droge und Medizin. Was ist Ecstasy anderes als eine Lifestyle-Pille? Sie fördert die Leistungsfähigkeit, hemmt den Hunger und hebt die Stimmung. Und Nebenwirkungen gibt es auch. Soviele Todesfälle wie Viagra hat Ecstasy allerdings nicht zu verzeichnen.