Serie über Serien: »Gute Zeiten schlechte Zeiten«

Pubertät als Dauerzustand

Serie über Serien. Sarah Heuer weiß, dass »GZSZ« totaler Schrott ist. Trotzdem ist sie ein Fan der Soap

In unzähligen Poesiealben ehemaliger Mitschüler steht es schwarz auf weiß: »Lieblingsserie: ›Gute Zeiten, Schlechte Zeiten‹«. So einfach ein solches Geständnis in der 6. Klasse war, so schwierig wurde es im Laufe der Jahre zuzu­geben, dass man die Soap mehr oder weniger regelmäßig verfolgt. Überhaupt stößt man auf ungläubige Gesichter oder mahnende Worte, wenn man die vier Buchstaben in den Mund nimmt und die erfolgreichste deutsche Soap sogar verteidigt.
Dabei bietet »GZSZ« Unterhaltung auf höchstem Niveau, wenn auch nicht inhaltlich. Langjährige Fans sind sich je nach Bildungsniveau darüber einig, dass es entweder keine zuverlässigere Gehirnentspannung oder keine bessere Lehrveranstaltung über zwischenmensch­liches Verhalten im Fernsehen gibt.
Die entspannende Wirkung entsteht schon allein, weil das Konzept blitzschnell durchschaut ist: ein Haufen rebellierender Teenies, eine Handvoll ältere Damen und Herren (vorzugsweise moralisierende Lehrer) und eine Prise hartnäckige Bösewichte, deren alltägliche Wege sich in Berliner Szenebars, in Edel-Kneipen oder einem Gymnasium kreuzen und zwischen denen sich kleine Konflikte und große Katastrophen entfalten. Da kann ein unbegründeter Eifersuchtsanfall schon mal mehrere Wochen dauern oder eine Entführung ungeahnte Verwandtschaften aufdecken. Auf die detaillierte ­Beschreibung der Gefühlskurve wird großer Wert gelegt: Pubertät ist bei GZSZ Dauerzustand.
Besondere Situationskomik wird auch durch schlechte Schnitte, Endlos-Zeitlupen oder das Einfrieren von entstellten Gesichtsausdrücken erzeugt. Nichts ist leichter, als zu erraten, wie die Geschichten weitergehen, wenn innere Stimmen sprechen oder eine Szene aus der Vergangenheit eingespielt wird, unterlegt mit herzzerreißenden Melodien.
Der kleine Kreis von ungefähr 20 Hauptfiguren wird gegebenenfalls mit neuen Darstellern ergänzt, die sich meist nach wenigen Tagen als dem bereits entfalteten Netz von Verwandtschaften zugehörig entpuppen. Die Spielorte sind ebenso überschaubar: Das Café im Mittelpunkt der Serie wurde immer wieder abgebrannt und umbenannt, die Spielorte in der Schule bestenfalls vom Klassenzimmer auf den Flur verschoben. Es scheint schwierig, die Kulissen in den Babelsberger Filmstudios um­zubauen. Diese große Beständigkeit sorgt allerdings dafür, dass man schon mal ein halbes Jahr verpassen kann und trotzdem nach fünf Minuten wieder aufgeholt hat. GZSZ hebt damit einen großen Nachteil vieler anderer Serien einfach auf.
Liebe und Schmerz sind seit 1994 die eigent­lichen Hauptdarsteller und ihnen kommt keine geringere Aufgabe zu, als das Schicksal zu bestimmen. So kündigt es jedenfalls der Vorspann täglich um 19.40 Uhr an. Und das Schicksal wütet im Serien-Mikrokosmos, immerhin mehr als 40 Charaktere starben bisher. Über 4 000 ausgestrahlte Folgen sorgen dafür, dass ein dramaturgischer Teufelskreis entsteht und Allerweltsthemen wie erste Liebe, Eifersucht, Scheidung und Sucht sich in regelmäßigen Abständen wiederholen. Auch Auswanderung, Entführung und Mord gehören zum Tagesgeschäft.
Ein Beispiel dafür, wie es normalerweise läuft in GZSZ: Oberzicke Verena ist die beste Freundin von Sandra, die ausgewandert ist, nachdem ihr Ehemann Deniz ermordet wurde, der Besitzer des Cafés war, das jetzt Daniel gehört, dessen Ziehtochter Paula ausgewandert ist, nachdem sie nach ihrer Scheidung von John in Phillips Schwester Franzi verliebt war, die nach ­einer Explosion starb, die ihre Freundin Emily knapp überlebte, die ohnehin sehr labil war, weil ihr Vater mit dem Flugzeug abgestürzt war und die im weiteren Verlauf als Model drogensüchtig wurde, inzwischen aber Karriere im Spät­kauf von Tayfun macht, der eine Affäre mit Verena gern verlängern würde. So schließt sich der Kreis jeden Abend von neuem, und treue Fans schreiben bei Wikipedia brav die Handlung jeder Folge auf oder streiten sich im Forum, ob die neue Darstellerin der Serie würdig ist.
Das Mysterium bleibt: Was bewegt einen denkenden Erwachsenen dazu, eine derart unterbelichtete Serie ernsthaft zu verfolgen? Es könnte der Reiz der verbotenen Dummheit sein oder der Wunsch nach dahinplätschernder Unterhaltung. Fest steht: Hat man das Prinzip der Werbeunterbrechungen bei GZSZ erst einmal verstanden, kann das Gehirn nach einem langen Arbeitstag 24 ­Mi­nuten lang komplett abschalten. Auch mal schön.