Spree-Ghetto

Gefährliche Orte LXVI: Soundsystem als Sozialarbeit: Das Yaam ist zurück in Treptow

Neulich in der Werbebranche: Die Nike-Vertretung in Deutschland hatte ein investigatives Team ausgesandt, um Wirkung und Reichweite ihrer Marke zu erfragen. Die Teams setzten sich mit Werbern und Publizisten aus Berlin zusammen, um der Zielgruppe auf die Spur zu kommen. Was lustig war: Denn die hiesigen Werber selbst kannten die Berliner Kids auch nicht von der Straße. Sie hätten sie nur selten auf den Sportplätzen spielen gesehen. Aber im Yaam, ja im Yaam, da seien die Kids ja so real und so echt und so ...

Das Yaam ist eine Berliner Kulturgröße: Basketballkörbe und Getränkestände stehen in einer an amerikanische Ghettos erinnernder Umgebung aus Beton, immer neben einem dreckigem Fluß, immer gut besucht. Vier Mal hat das Yaam schon seinen Standort gewechselt. Und es hatte in den letzten Jahren tatsächlich oft den Eindruck gemacht, als sei es nur gegründet worden, um dem Berliner Stylebusiness ein paar ungeschönte Kids einzufangen und in angenehmer Weise präsentieren zu können. Kids von der Straße, die vor der versammelten Caipirinha-Mannschaft sehr streetwise Basketball zu spielen hatten oder sich den coolen Soundsystems hingeben sollten, um ihren Zuschauern dabei etwas vom wahren Leben vorzutäuschen. Nicht zuletzt auf diese Weise blieb das Durchschnittsalter der Besucher deutlich im verlockend leuchtenden Rahmen der Jugendlichkeit, und all die Dreißigjährigen mußten sich trotzdem nicht schämen.

Doch auf den zweiten Blick verflog dieser Eindruck rasch. Die professionelle Jugendkultur war im Yaam nur zu Gast, genauso wie all die anderen, die Jugendlichen, die interessierten Anwohnerfamilien oder auch die herbeigeeilten Normalos aus allen Schichten, die hier ihre Currybuletten nicht allzu sehr zu vermissen lernten.

Seine Anziehungskraft verdankt das Yaam seiner Mischung aus urbaner Kulisse, guter Bar mit besten Preisen und souveräner Musikauswahl aus den Bereichen HipHop, Reggae und Soul. Es geht dort gleichzeitig familiär gemütlich zu und bleibt dennoch cool, das Yaam bietet Raum für all jene Jugendlichen, die auf ihr Image bedacht sein müssen - und für ihre gealterten Wiedergänger. Denn weniger als ein ödes sozialdemokratisches Jugendprojekt, wirkt das Yaam für das Publikum in erster Linie wie ein großer Club.

Die Jugendarbeit passiert vornehmlich im Hintergrund. Als die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John, dem Yaam im vergangenen Jahr den Mete Eksi-Preis verlieh, da das Projekt sich als "Feuerwehr für den sozialen Brennpunkt" bewährt habe, wußte sie wahrscheinlich gar nicht, wie recht sie hatte. Denn als das Yaam noch an seinem letzten Standort an der Cuvrystraße zu finden war, war in der Umgebung ansonsten kaum noch Platz für MTV-gerechte Laziness. Und das Yaam ist eben Sonntag für Sonntag cool genug gewesen, von den Kids nichts zu verlangen. Auf der anderen Seite galt den Jugendlichen der hohe Besucheranteil von geübten Thekenstehern als Beweis dafür, daß sie hier nicht als die kleinen Scheißer wahrgenommen wurden.

Daß das Yaam zwar für seine fast beiläufige Sozialarbeit gelobt wurde, aber seitens der Bezirks- und Senatsverwaltungen nicht eben üppig bedacht wurde, führte dazu, daß es, als es das Cuvrygelände nach einer Gnadenfrist Ende August letzten Jahres verlassen mußte, sich nicht einfach schwuppdiwupp ein neues Gelände erschließen konnte. Der Plan, das Yaam in der Stadtmitte im zu schließenden Kinderbad am Monbijoupark anzusiedeln, scheiterte nicht zuletzt an einer Bürgerinitiative für das Kinderbad. In den Bezirken Kreuzberg und Friedrichshain war trotz der Unterstützung durch die Bezirksverwaltungen kein passender Platz zu finden. Zumeist gaben Bedenken, daß sich Anwohner durch das Yaam in ihrer sonntäglichen Idylle belästigt fühlen könnten, den Ausschlag für die negativen Standortbescheide. Daher rechnete kaum noch jemand damit, daß das Yaam in diesem Sommer wieder eröffnet werden würde.

Seit vergangenem Sonntag ist es nun überraschenderweise an die Stelle zurückgekehrt, an der alles begonnen hatte: neben der Arena in Treptow, unweit von Kreuzberg. "Alte Freunde soll man nicht trennen", war der knappe offizielle Kommentar zum neuen alten Standort. Aber der wahre Grund für die Rückkehr ist weniger freundschaftlich. Nachdem das Yaam fortziehen mußte, hatte die Arena mehrere eigene Versuche unternommen, das Gelände zu nutzen, das Publikum aber hatte sich nicht auf die nachahmerischen Versionen eingelassen. Also holte man das Original zurück.

Daß das Yaam trotz seiner fast einjährigen Abwesenheit noch immer als Publikumsmagnet wirkt, hat der Eröffnungstag bewiesen. Bereits auf dem Weg zum Gelände drängen sich die Leute; Kinderwagen, Pärchenterror und andererseits lässige Ghettoboys bestimmen das Bild.

Und auch auf dem Gelände ist es fast wie damals. Stände mit exotischem Essen, ein Caipirinha-Stand der namhaften Escobar 2000 und natürlich ein Soundsystem, das den Hof mit mehr oder minder coolen Reggaebeats beschallt. Der Eintritt ist mit fünf Mark billig wie gehabt und auch die Basketballspieler geben sich alle Mühe beim Jungesein. Ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Szeneprominenz ist garantiert, und die für angesagte Locations übliche Filmsternchenquote wird ganz selbstverständlich übertroffen.

Jedoch fehlen an diesem Eröffnungstag die, für die das ganze eigentlich veranstaltet wird: die Kids. Offensichtlich hat sich die Wiedereröffnung noch nicht bis zu ihnen herumgesprochen. Die Mittzwanziger bleiben weitgehend unter sich, die, Küßchen hier, Bussi da, entschlossen mit dem Bier in der Hand auf der Aussichtsplattform stehen und warten. Aber niemand macht ihnen das Leben, die paar Basketballspieler können daran auch nichts ändern. Da und dort läuft ein Hund, und die da hat was Komisches angezogen, guck mal. Tja. An einem Tag, an dem die Sonne so fett auf die Erde herunterlächelt, ist auch das dann irgendwann egal.