Rugova macht blau

Die Macht kommt aus den Gewehrläufen der künftigen Kosovo-Nationalgarde.
Ibrahim Rugova kann noch so viele Schals abstreifen - regiert wird die Provinz von der UCK

Lange hielt er es nicht aus: Ibrahim Rugovas Rückkehr aus dem italienischen Exil in das Kosovo dauerte nicht einmal zwölf Stunden. Obwohl seine Anhänger ihn am letzten Donnerstag jubelnd empfingen, verließ der Vorsitzende der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) Pristina noch in derselben Nacht.

Vielleicht war ihm der Beifall nicht groß genug. Schließlich waren nicht mehr als 500 Bewohner der Provinzhauptstadt zu der Kundgebung gekommen. In Orahovac hingegen, einer Kleinstadt im Südwesten des Kosovo, hatten über Tage hinweg Tausende gegen die einrückenden russischen Kfor-Soldaten demonstriert. Von "pazifistischen" Politikern wollte fünf Wochen nach Abzug der serbischen Einheiten aus dem Kosovo anscheinend keiner etwas wissen.

Rugova hat ausgedient - zumindest für den Großteil der Bevölkerung. Spätestens seit seinem gemeinsamen Auftritt mit Slobodan Milosevic im serbischen Fernsehen will ihn kaum einer mehr an der Spitze der Provinz sehen. Führende Repräsentanten der "Befreiungsarmee" UCK bezeichnen ihn offen als "Verräter". Ganz unerfreut dürften die UCK-Kommandanten über den Hausarrest Rugovas während des Krieges nicht gewesen sein.

Da nutzt ihm auch der Ruhm vergangener Tage wenig. "Rugova, Präsident!" riefen zwar letzte Woche noch einige derer, die ihn in Pristina empfingen. Doch die Zeiten, wo er von 90 Prozent der kosovo-albanischen Bevölkerung zum Präsidenten gewählt wurde, sind wohl vorbei. Zweimal schaffte der Mann den Sprung in das höchste Amt, zuletzt im letzten Frühjahr, kurz vor Ausbruch des Krieges zwischen den serbischen Truppen und der UCK.

Internationale Anerkennung jedoch erlangte er für diesen Posten nie. Daß die USA und Europa bis zum Aufkommen der bewaffneten Separatisten dennoch auf den gewaltfreien Rugova setzten, lag vor allem daran, daß sie meinten, er könne am ehesten eine Abspaltung des Kosovo von Jugoslawien vermeiden.

Worin auch der Grund liegen dürfte, warum Rugova nach seinem politischen Absturz nun erneut zum politischen Führer der Kosovo-Albaner aufsteigen könnte. Nicht legitimiert durch Wahlen, sondern ernannt - von der "internationalen Geminschaft", den westlichen Staaten der Balkan-Kontaktgruppe also. Im kreditheischenden Einvernehmen mit Rußland. Denn die USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien sind es, die nicht nur die Regie über die militärische Besetzung der Provinz übernommen haben, sondern darüber hinaus das politische Führungspersonal im Kosovo neu sortieren sollen.

Fünf Wochen nach dem Abzug der serbischen Einheiten und dem Einmarsch der Kfor-Truppen in die Provinz nehmen die Auseinandersetzungen unter den Kosovo-Repräsentanten darüber zu, wer die Provinz künftig regieren wird. Allen voran die UCK hat das Machtvakuum der Übergangsphase ausgenutzt und die freigewordenen Verwalterposten mit ihren Kadern besetzt. Zum Unwillen nicht nur der Rugova-Partei LDK. Auch in den Staatskanzleien von Washington bis London sieht man die schleichende politische Machtergreifung der weiterhin unter Waffen stehenden Separatisten nicht nur wohlwollend. Die zivile Verwaltung der Provinz hatten sie sich anders vorgestellt.

Doch als am letzten Freitag Bernard Kouchner, Kosovo-Missionschef der Vereinten Nationen (Unmik), die Übergangsvertreter zum ersten Mal gemeinsam an einen Tisch bat, hatte wieder einmal die UCK das Sagen. Zwar sieht das höchste beratende Organ der Uno die Entsendung jeweils zweier Vertreter von UCK und LDK sowie weiterer kosovo-albanischer Politiker vor - neben der Beteiligung zweier kosovo-serbischer, eines kosovo-türkischen und eines kosovo-muslimischen Abgeordneten: ethnisches Ringelreihen bei der Weltorganisation. Doch die UCK selbst scherte die Besetzung reichlich wenig: Zum Ministerpräsidenten einer provisorischen Regierung hat die Armeeführung bereits im März Hashim Thaqi ernannt - mit ausdrücklicher Zustimmung der USA, und ohne daß Deutschland oder Frankreich Widerspruch dagegen eingelegt hätten.

Aber Rugova wartete die erste Sitzung des höchsten beratenden Organs der Uno-Verwaltung am Freitag gar nicht erst ab, sondern verabschiedete sich schon am Donnerstag in Richtung Mazedonien, ehe er am Wochenende in sein bewährtes römisches Kriegsexil zurückkehrte. Erst nach seinem Abflug klärte einer seiner in Pristina verbliebenen Berater die Medienvertreter über den plötzlichen Rückzieher auf: Rugova habe damit gegen die hohe Anzahl der Sitze protestieren wollen, die seinen politischen Rivalen im Uno-Rat eingeräumt worden war.

Daß es dabei nicht bleiben muß, deutete der jetzt von Kouchner abgelöste Chef der Uno-Übergangsverwaltung, Sergio Vieira de Mello, letzte Woche an: "Damit das klar ist: Thaqi steht für die UCK, nicht für die Regierung." Der Machtanspruch der selbsternannten Thaqi-Regierung, bis zu den Wahlen im nächsten Frühjahr die politischen Geschicke der weiter aus Serbien herausstrebenden Provinz in UCK-Händen zu belassen, wird von der Uno zumindest bestritten. Auch wenn sie die Ad-hoc-Ernennung von 25 Bürgermeistern durch die UCK in der letzten Woche nicht verhindern konnte.

Gut möglich, daß die Uno nun mit der Umsetzung dessen beginnt, was die USA im März als ihre Wunschoption für eine Kosovo-Regierung präsentierten. Um die verfeindeten Rugova und Thaqi zu einer gemeinsamen Linie zu bringen, schlug Außenministerin Madeleine Albright die Bildung eines Nationalen Sicherheitsrates vor, in dem keine der beiden Fraktionen die Mehrheit haben sollte. Dritter Vertreter der Kosovo-Albaner wäre nach den Vorstellungen Washingtons Rexhep Qosja, Führer einer Abspaltung von Rugovas Demokratischer Liga.

Doch wer den Posten des Präsidenten, Ministerpräsidenten oder Agrarministers am Ende ergattert, ist vielleicht nicht so wichtig. Denn bereits seit Beginn der jugoslawischen Sezessionskriege 1991 lag der Schlüssel zur Macht bei den bewaffneten Polizeikräften. Bis heute sind es in Bosnien die Polizeichefs der muslimisch-kroatischen Föderation und der Republika Srpska, die die Ergebnisse der ethnisch definierten Vertreibungspolitik zementieren. Anders dürfte es auch im Kosovo nicht ausgehen. Mit freundlicher Unterstützung der "internationalen Gemeinschaft": Den Kern der künftigen Kosovo-Polizeitruppe, das ist bei allen Streitereien klar, stellt die UCK. Da dürfte es Rugova wenig nutzen, daß er sich nach Jahren des gewaltfreien Widerstandes von seinem roten Schal getrennt hat.