Friedhofsruhe mit Mobilfunk

Nach sechs Tagen, die den Iran erschütterten, hat das Mullah-Regime die Proteste vorläufig gestoppt.

Wenigstens das Klingeln der Handys stört seit Samstag wieder die Friedhofsruhe im Gottesstaat Iran. Um zu verhindern, daß die bis Mitte vergangener Woche protestierenden Studenten Informationen in andere Städte oder gar ins Ausland weitergeben, war die zentrale Satellitenanlage für den Mobilfunk in Teheran während der Proteste abgeschaltet worden.

Seit die iranische Doppelspitze - Staatspräsident Mohammad Khatami und das religiöse Oberhaupt Ali Khamenei - vereint das staatliche Gewaltmonopol mittels Repression durchgesetzt hat, sorgen neben den Handys zur Zeit nur noch halbstaatliche paramilitärische Gotteskrieger und die staatlichen Sicherheitskräfte für Krach.

Doch auch sie sollen, wenn es nach dem Willen des Nationalen Sicherheitsrats geht, endlich Ruhe geben. Der Vorsitzende des Rates, Mohammad Khatami, forderte seine Angestellten am Wochenende auf, nicht weiter gewalttätig gegen "Banditen, Saboteure und Provokateure" vorzugehen. Zuletzt hatten am Samstag Angehörige verschiedener islamistischer Jugendorganisationen vor einem Wohnheim der Teheraner Universität die Bewohner zu provozieren versucht. Die Studenten ließen sich aber nicht auf Auseinandersetzungen mit den Nachwuchs-Mullahs auf Motorrädern ein.

Somit gehören wenigstens diese Studenten nicht zu den mehr als 1 400 Menschen, die nach Angaben von Studenten der Universität Teheran seit dem Beginn der Proteste festgenommen wurden. Auch seien mehr als zehn Kommilitonen getötet und mehrere Hundert bei Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften zum Teil schwer verletzt worden. Die meisten Verletzten würden auf einen Krankenhausbesuch verzichten, da nach der medizinischen Behandlung schon die Polizei auf den Patienten warte.

Die iranische Exil-Organisation Mudjahedin Chalk spricht sogar von mehr als 10 000 Menschen, die während und nach den Demonstrationen sowie bei Razzien in allen größeren Städten des Iran verhaftet worden seien. Ihnen drohen nun Folter, langjährige Gefängnisstrafen oder die Hinrichtung - wegen "konterrevolutionärer Aktivitäten".

Dafür macht, wie die amtliche iranische Nachrichtenagentur Irna am Wochenende berichtete, die Staatsführung hauptsächlich "ausländische Mächte" verantwortlich. Zusammen mit Exil-Oppositionsgruppen hätten sie die iranischen Studenten "aufgewiegelt". Nur dank der Unterstützung der Bevölkerung bei den Großdemonstrationen der Regierungstreuen am Donnerstag sei ein Komplott gegen die Staatsführung vereitelt worden.

Zwischen 50 000 und 100 000 Anhänger hatten die Basisorganisationen der geistlichen Führung des Landes innerhalb weniger Tage zu Großdemonstrationen nach Teheran mobilisieren können. "Das Volk hat mit revolutionärer Geduld reagiert. Wenn die verantwortlichen Instanzen nicht Einhalt geboten hätten, hätten unsere stolzen, revolutionären und islamischen Jugendlichen diese Elemente in Stücke zerrissen", versuchte Hassan Rohani, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, seinen Jubelpersern eine Beteiligung am Sieg über die Konterrevolutionäre einzureden.

Doch viel mehr als der kurze Auftritt der Gotteskriegerbasis hat das gute Zusammenspiel des neuen Dream-Teams Khatami/Khamenei zum vorläufigen Sieg über die Demonstranten beigetragen. Khatami und Khamenei sind so eng zusammengerückt wie nie zuvor. Wo Khamenei, der verharmlosend immer wieder als "konservativ" bezeichnet wird, die reaktionärsten Teile des Teheraner Mobs zu mobilisieren vermag, unterscheidet der im Westen als liberal geltende Khatami säuberlich zwischen friedlichen Studenten und gewalttätigen Elementen, die bestraft werden müßten.

Nachdem Khatami anfangs die Übergriffe von Polizisten auf ein Teheraner Studentenwohnheim verurteilt und zwei Beamte der mittleren Leitungsebene suspendiert hatte, suchte er bereits Anfang letzter Woche das Bündnis mit der geistlichen Führung. In einem Fernsehinterview erklärte er, daß die Aufstände sich "gegen die Interessen des Landes, des Volkes und der staatlichen Politik" richteten.

Khatami forderte "ernsthaften Widerstand gegen die Übeltäter", da die Proteste nach zwei Tagen vom richtigen Wege abgewichen seien: "Zum Glück haben die Studenten ihre Reinheit bewiesen und sich von den Aktivitäten distanziert. Denn was geschehen ist, paßt nicht zu unseren Prinzipien. Außerdem ist klar geworden, daß ein Teil der Verhafteten keine Studenten sind und sicherlich die Lage für ihre Aktionen nutzen wollten." Khatami schaffte es so, die ohnehin bestehenden Differenzen innerhalb der Protestbewegung zu einer Spaltung werden zu lassen.

In der Tat läßt sich die Protestbewegung in Reformanhänger und Systemgegner unterscheiden. "Meinungsfreiheit paßt nicht zum Bart im Gesicht", schallte Anfang vergangener Woche ein Sprechchor bei einer Demonstration durch Teheran. In einem Land, wo Männer nur Männer sind, wenn sie Gesichtswolle tragen, gilt dies als fundamentaler Angriff auf die Grundlagen der islamistischen Gesellschaft.

Andere Sprechchöre gaben sich bescheidener: "Meinungsfreiheit für immer, für immer". Die restlichen Parolen reichten vom Klassiker "Freiheit für die politischen Gefangenen" über Forderungen nach Pressefreiheit bis hin zum verhaltenen Ruf nach raschen Verhandlungen mit den Machthabern.

So unterschiedlich die Forderungen, so heterogen waren die Teilnehmer der Demonstrationen: Studenten, Angestellte der Universitäten, Journalisten, Arbeiter, Arbeitslose, besonders aber Frauen und Jugendliche gingen auf die Straße. Insgesamt beteiligten sich zeitweise mehrere 10 000 Menschen an den Demonstrationen, die bis zum späten Dienstagabend in 14 iranischen Städten, darunter auch die Großstädte Maschhad, Isfahan und Täbris, durchgeführt wurden.

Neben Anhängern Khatamis fanden sich linke Revolutionäre, bürgerliche Nationalisten und - wenn man der exilierten Sozialdemokratischen Partei des Iran glauben darf - natürlich auch Sozialisten. Besonders aktiv beteiligten sich Anhänger von Dariusch Foruhar, dem ehemaligen Vorsitzenden der verbotenen nationaldemokratischen Mellat-Partei - obwohl bereits zu Beginn der Proteste drei hohe Mellat-Funktionäre verhaftet worden waren. Foruhar war im letzten Dezember von Mitgliedern des iranischen Geheimdienstes ermordet worden. Zuvor hatte er sich in einem Interview für die Trennung von Staat und Religion eingesetzt.

An dieser Forderung orientierten sich auch große Teile der neu entstandenen Vereinten Studentischen Front. Sie setzten sich für einen demokratischen Staat nach westlichem Vorbild ein und kritisierten Khatami-nahe Studentengruppen wie die Kargosaran Sasandeghi (Diener des Aufbaus), Mudjahedine Eslami (Islamische Mudjahedin) und Madjmae Rohaniate Mobares (Kämpfende Geistlichkeit). Diese sogenannten linksislamistischen Organisationen hätten sich auf das Integrationsangebot Khatamis eingelassen und mit den staatlichen Instanzen verhandelt.

Und schließlich waren bei den Demonstrationen auch noch die "Männer mit den schwarzen Hosen und den weißen Hemden. In den Händen trugen sie Stöcke und Schaufeln", beschrieb sie der iranische Schriftsteller Huschang Golschiri in einem Gastbeitrag für die FAZ. Für ihn ist klar, daß es Männer des Regimes waren, die in Teheran für Szenen wie aus den Zeiten der Anti-Schah-Demonstrationen sorgten: brennende Autos, geplünderte Läden und Banken, Tränengasnebel und Schüsse.

Andere Augenzeugen wollen zwar die gleichen Personen gesehen haben, ordnen sie aber je nach Gusto ein: Das Geheimdienstministerium, berichtete Irna, sichtete "Eindringlinge, die an konterrevolutionären Treffen in den USA, Europa und der Türkei" teilgenommen hätten. Islamistische Studentenverbände beschwerten sich über die Provokateure aus den Reihen des säkularen Nationalen Studentenbundes, die mit solchen Angriffen "das ganze System in Frage stellen" würden.

Angehörige dieser Organisation wiederum wollen unter den Militanten der letzten Woche islamistische Glaubenskrieger der Ansar-e Hezbollah oder der freiwilligen paramilitärischen Milizen (Bassiji) erkannt haben, die durch gewalttätige Aktionen ein Eingreifen der Polizei provozieren und so für die Wiederherstellung der staatlichen Ordnung hätten sorgen wollen.

Für die Khatami-nahen Volksmudjahedin reichten die Gerüchte, wer wen zu was provoziert hatte, nicht aus. Die Gefahr eines Staatsstreiches mußte her, als sich abzeichnete, daß nach der gewaltsamen Auflösung der Demonstrationen große Teile der Protestbewegung nicht länger hinter Khatami standen: Zuerst hätten "gesteuerte Unruhen" dafür gesorgt, daß Khatamis "Reformkurs behindert" wird, nun würde die geistige Führung um Ali Khamenei einen Putsch gegen Khatami vorbereiten, hieß es in einer Erklärung.

Doch zu diesem Zeitpunkt hatte die staatliche Arbeitsteilung zur Niederschlagung der Proteste schon längst funktioniert. Abschließend bedankte sich Khatami bei den iranischen Medien, die die Aufstände verurteilt hatten, und entschuldigte sich noch einmal bei der Bevölkerung der Stadt Teheran. Denn deren Ruhe sei, wie Irna Khatami zitierte, in einigen Teilen der Stadt in letzter Zeit "gestört worden".