Hans-Georg Wiek

»Keine Union zwischen Moskau und Minsk«

In dieser Woche endet eigentlich die fünfjährige Amtszeit des belorussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko. Doch den läßt das kalt: Zumindest bis zu den nächsten Präsidentenwahlen im Jahr 2001 möchte er - ausgestattet mit autoritären Vollmachten - weiterregieren. Bislang hat es die Opposition in Minsk nicht geschafft, das Regime des als unberechenbar geltenden Autokraten ins Wanken zu bringen. Das hat auch damit zu tun, daß die wenigen oppositionellen Zeitungen schon bei der leisesten Kritik am Machthaber geschlossen werden können. Weil die belorussische Bevölkerung also die Existenz der Opposition kaum wahrgenommen hat, unterstützt sie den Präsidenten fast bedingungslos: Mehr als 60 Prozent der Belorussen vertrauen dem Landesvater, gleichzeitig glauben aber nur 27 Prozent, daß Belorußland eine Demokratie sei.

In letzter Zeit begibt sich Lukaschenko verstärkt auf Jobsuche: Gemeinsam mit Rußland möchte Belorußland eine Union bilden, und der Präsident in Minsk hat schon seinen Anspruch auf den Posten des Unionspräsidenten angemeldet. Allerdings gibt es noch einen zweiten Bewerber für diesen Job: Auch Rußlands Präsident Boris Jelzin versucht einen Pensionsschock nach dem Ablauf seiner Amtszeit im Jahr 2000 durch die Übernahme des Postens in der noch nicht verwirklichten Union zu vermeiden. Vom 14. bis 19. Juli besuchte eine Parlamentarierdelegation der OSZE die belorussische Hauptstadt Minsk und konnte angeblich Lukaschenko dazu überreden, die straffen Zügel zu lockern.

Hans-Georg Wiek ist Botschafter der OSZE in Minsk.

Erklärtes Ziel der OSZE ist es ja , die demokratische Opposition gegen den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu unterstützen. Wieso spricht man dann überhaupt noch mit dem Präsidenten? Seine Amtszeit ist abgelaufen, der Mann müßte eigentlich zurücktreten.

Es steht in jedem politischen Lehrbuch, daß Staaten sich gegenseitig anerkennen. Und diese Anerkennung souveräner Staaten ist daran gebunden, daß jemand die Territorialherrschaft ausübt - das nennt man dann Regierung. Die Regierungen dieser anerkannten Staaten wiederum pflegen Beziehungen zueinander, das heißt, sie unterhalten offizielle Verbindungen. Wenn nun ein Land wie Weißrußland in einen bestimmten Club hereinwill, in die EU etwa, oder bereits Teil eines Clubs wie der OSZE ist, verpflichtet es sich dazu, Transformationsprozesse durchzuführen. Lukaschenko aber tut das nicht. Um ihn dazu zu bewegen, es doch zu tun, gibt es verschiedene Mittel. Per Sanktionen, wie manche meinen, oder über Kompromisse. Und die erreicht man eben nur diplomatisch: Für die OSZE-Staaten gibt es deshalb keinen Grund, die offiziellen Beziehungen zu Weißrußland aufzuheben.

Mit Jugoslawien springt der Westen anders um. Die europäischen Staaten weigern sich, mit der Belgrader Regierung in Kontakt zu treten, solange Slobodan Milosevic nicht zurücktritt.

Das stimmt nicht, schließlich wurden die Verhandlungen über den serbischen Truppenrückzug aus dem Kosovo mit jugoslawischen Regierungsvertretern geführt. Auch in Dayton hat der Westen mit Milosevic verhandelt. Wenn sie Verhandlungen oder Nicht-Verhandlungen vom autoritären Grad der Herrschaft abhängig machen, würden auf der Welt ja nur noch Teilbereiche miteinander zu tun haben.

Aber was sagt die OSZE denn zu Lukaschenkos Absicht, nun doch nicht zurückzutreten?

Die OSZE ist eine Versammlung von 54 Staaten. Ich werde ihnen deshalb keine Erklärung dazu abgeben - das werden die Regierungen der Einzelstaaten tun, wenn die Frist am 21. Juli abläuft.

Weshalb schafft es die weißrussische Opposition nicht, den nicht zuletzt von Ihrer Organisation unterstützten demokratischen Wechsel einzuleiten?

Die Oppositionellen haben sich bisher darauf konzentriert, die Wiederherstellung der Verfassung von 1994 zu erreichen. Das ist eine sehr weitgehende Forderung. Es geht um die Grundlagen des Staates - schließlich sind die demokratischen Parteien seit ihrem Ausschluß 1994 nicht mehr im Parlament vertreten. Darüber hinaus geht es natürlich um die Rückkehr zur Pressefreiheit.

Sind in letzter Zeit denn Zeitungen verboten worden?

Bis auf eine rechtsextreme Publikation nicht.

Welchen Einfluß will die OSZE auf die bürgerrechtlichen Prozesse in Weißrußland nehmen?

Darauf hinzuwirken, daß es endlich zu freien und fairen Wahlen unter internationaler Beobachtung kommt.

Und wenn Lukaschenko diesen Wahlen zustimmt, geht auch die Zusammenarbeit mit ihm weiter?

Es ist bekannt, daß er sich auf diese Forderung bereits eingelassen hat. Wir versuchen nun die Details auszuarbeiten, um die demokratische und marktwirtschaftliche Entwicklung weiter in die Gänge zu bringen.

Die Bevölkerung scheint daran nicht so richtig zu glauben. Umfragen zufolge halten lediglich 27 Prozent der Weißrussen ihr Land für demokratisch, 33 Prozent sprechen sich für Lukaschenko aus.

Mir sind andere Zahlen bekannt - aber aus Statistiken kann man alles herauslesen. Richtig ist, daß eine Mehrheit in der Bevölkerung meint, daß Lukaschenko der einzige ist, der die Probleme lösen kann. Aber dennoch wächst auch die Zustimmung zu allen Komponenten einer zivilen Gesellschaft: Eigentum, Schutz der individuellen Menschenrechte, demokratische Einrichtungen und Rechtssicherheit. Hierfür steht die Opposition.

Von Demonstrationen wie in Jugoslawien ist trotzdem nichts zu sehen.

Das Vertrauen in die Parteien fehlt. Die Opposition hat möglicherweise mit der Beschränkung auf die Verfassungsfrage nicht die Thematik getroffen, mit der sie in der Bevölkerung dieses Vertrauen gewinnen kann. Natürlich spielt aber auch der Kosovo-Krieg ein Rolle. Schließlich hat sich Lukaschenko in dieser Zeit an die Seite Jelzins und Milosevics gestellt, und so einmal mehr die belorussisch-russische Allianz betont. Da konnte die Opposition nicht mithalten.

Eine besonders erfolgreiche Bilanz ist das nicht.

Es geht doch erst einmal darum, daß die Opposition überhaupt eine gemeinsame Wahlplattform auf die Beine stellt. Ein alternatives Programm muß erst noch entwickelt werden - anders wird sie in der Öffentlichkeit doch gar nicht wahrgenommen. Die Zeitungen der Opposition erreichen gerade einmal 500 000 Leute, während die Lukaschenko-treuen Blätter von fünf Millionen gelesen werden. Und es gibt den Staatsfunk: Da wird jeden Morgen die offizielle Losung ausgegeben - im zentristischen Sinne. Das heißt, der Einfluß der Medien ist sehr groß, wenn sie so monopolistisch organisiert sind.

Lukaschenko setzt neben der autokratischen auch auf die nationalistische Karte. Für wie realistisch halten Sie denn seine Fusionspläne mit Rußland?

Ich glaube nicht, daß es zu einer Union zwischen den beiden Staaten kommen wird. Zusammenarbeit kann es nur in wirtschaftlichen Fragen geben. Moskau wird Minsk, weil es um Stabilität bemüht ist, weiterhin die subventionierten Preise für Öl und Gas einräumen. Die weißrussischen Produkte werden so auch auf dem russischen Markt konkurrenzfähig gehalten.

Aber wenn die ganzen Fusionspläne so unrealistisch sind, wie Sie meinen, wieso unterhalten sich die Herren Jelzin und Lukaschenko dann so realistisch darüber?

Vielleicht weil bei Lukaschenko der Gedanke aufgekommen war, mit Jelzin zusammen eine Präsidentschaft über die Union zu schaffen - um sich danach den Einfluß auf das gesamte Gebiet zu sichern. Dann aber ginge es ans Eingemachte: Es rührt am Selbstverständnis der Russischen Föderation.

Aber spricht in diesem Punkt die breite Unterstützung der Union durch die weißrussische Bevölkerung nicht für eine andere Einschätzung?

Die Zustimmung mag in letzter Zeit gestiegen sein, aber bis zum Frühjahr war nur eine Minderheit in Weißrußland für die Union. Die Begeisterung darüber ist in den letzten Jahren eher zurückgegangen. In Rußland ist das anders: Da sind 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung dafür.