Sehnsucht nach Großalbanien

In Albanien erhofft man sich von einem Nato-Schlag vor allem, das Kosovo von Jugoslawien abzutrennen

Albanien ist bereit. Im stillen wartet man auf einen Militärschlag der Nato gegen Jugoslawien. Die Infrastruktur hat Tirana der Allianz längst angeboten: Flughäfen und Luftraum des Landes stünden für einen Luftangriff gegen die jugoslawische Armee ohne Einschränkung zur Verfügung.

Am vergangenen Donnerstag gerade erst vom Parlament bestätigt, kündigte der neue albanische Ministerpräsident Pandelj Majko in seiner Regierungserklärung an, Albanien werde "alle Initiativen der internationalen Gemeinschaft und der Nato unterstützen". Schon jetzt agiert die albanische Armee - rechtlich voll gedeckt - als indirekte Fluchthelferin der in Bedrängnis geratenen Kosovo Befreiungsarmee (UCK): In der vergangenen Woche kam es zu mindestens einem Grenzzwischenfall, als jugoslawische Einheiten eine Gruppe flüchtender UCK-Kämpfer bis auf albanisches Staatsgebiet verfolgten und dort auf die Armee ihres Nachbarstaates trafen. Nach Angaben der OSZE in Tirana befinden sich die albanischen Streitkräfte seit Tagen in höchstem Alarmzustand. Außerdem sprechen Verteidigungsministerium in Tirana sowie Beobachter der OSZE von Truppenbewegungen in Richtung auf die Grenze zum Kosovo.

Dem ehemaligen Präsidenten und jetzigen Oppositionsführer Sali Berisha müßte das eigentlich gut gefallen, er selbst gebärdet sich schließlich bei jedem seiner öffentlichen Auftritte als offensiver Vertreter albanischer Großmannsucht. Von Ministerpräsident Majko, der die Nachfolge des Ende September zurückgetretenen Fatos Nano antritt, ist Berisha aber überhaupt nicht begeistert: "Majko ist geistig nicht zurechnungsfähig. Es ist verantwortungslos, als Regierungschef eine Person zu nominieren, die für ihre eigenen Taten nicht verantwortlich gemacht werden kann."

Diese Diagnose begründete Berisha, einst der Leibarzt von Albaniens Staatschef Enver Hoxha, mit dem Abbruch des Jurastudiums Majkos - angeblich wegen psychischer Probleme. Gegen den "kranken Majko" als Regierungschef will Berisha nun erneut seine Anhänger mobilisieren. In den Progandaschriften seiner Demokratischen Partei forderte er bereits, die Clique des ehemaligen Ministerpräsidenten Nano müsse "endgültig zerschlagen" werden. Im vergangenen Monat hatten Berishas Gefolgsleute versucht, durch Unruhen und die Besetzung öffentlicher Gebäude den albanischen Staat zu destabilisieren und damit Nano aus dem Amt gejagt.

Erst Ende September hatte daraufhin eine Delegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) versucht, den notorischen Parlamentsverweigerer Berisha zu überzeugen, wieder den demokratischen Weg einzuschlagen. Als vergangenen Donnerstag Majko im Parlament von Tirana zur Abstimmung stand, versäumten Berisha und seine 28 Parlamentarier diese Zeremonie allerdings, weil sie wie gewohnt die Parlamentssitzungen boykottierten.

Dennoch hofft Time Iles, Sprecher der OSZE-Mission in Tirana, den nationalistischen Berufsrevoluzzer Berisha zur Vernunft bringen zu können: "Er muß einfach merken, daß man mit Revolutionsaufrufen keine Wahlen gewinnen kann und sich in Albanien nur etwas ändert, wenn das Parlament das will." Doch Berisha benötigt weder Wahlen noch das Parlament. Im Gegenteil: Die Orientierung an demokratischen Spielregeln würde den Mythos Berisha zerstören. Den einmal eingeschlagenen Weg muß er also unbedingt fortsetzen, schließlich kann er nur in seiner Rolle als Aufständischer jene von weiten Teilen der albanischen Bevölkerung vertretene Forderung nach einer großen albanischen Nation befriedigen. Denn, so muß selbst der um Ruhe bemühte Iles zugeben: "Die Sehnsüchte nach einem Großalbanien ziehen sich quer durch alle Parteien und Bevölkerungsschichten."

Die Situation im Kosovo bestärkt diese Entwicklung, denn bei der Bevölkerung und dem albanischen Establishment herrscht große Sympathie für die Kosovo-Kämpfer der UCK jenseits der offiziellen Grenze. Das Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Kosovo-Albanern wird zusätzlich durch die Fluchtbewegung vor den jugoslawischen Einheiten genährt. Nicht umsonst gibt es im Norden Albaniens, dem Revier Berishas, keinerlei Probleme mit der Integration der Kosovo-Flüchtlinge. Sie werden in den Häusern entfernter Verwandter in der Regel problemlos aufgenommen, bisher etwa 25 000.

Der angedrohte Nato-Schlag gegen die jugoslawische Armee und die Bemühungen des Westens um eine Beilegung der Krise wirken noch als Katalysator dieser Entwicklung.

Denn unter einer Lösung der Krise versteht die UCK ausschließlich die Unabhängigkeit des Kosovo - ganz im Gegensatz zum Westen, der mit dem Nato-Einsatz nur eine weitreichende Autonomie innerhalb Jugoslawiens erreichen möchte. Eine von der Nato im Kosovo installierte Beobachtertruppe wird also auch die UCK in die Schranken weisen müssen. Was die Separatisten wiederum dazu bewegen wird, sich verstärkt ihres Rückzuggebietes im Norden Albaniens zu bedienen.

Berisha wird diese weitere Entwicklung sicher zu nutzen wissen. Denn allen nationalistischen Äußerungen der Regierung Majko zum Trotz ist Berisha als Man out of Law der glaubwürdigere Interessensvertreter großalbanischer Träumer.