Lassie kehrt heim

Zwischenzeitlich nur noch virtuell, jetzt wieder richtig und demnächst gar nicht mehr - die Lassie Singers

Retrophänomene in den Neunzigern: Die Umschlagzeiten verkürzen sich zusehends, und es ist schon atemberaubend, mit welch bürokratischer Impertinenz derzeit die ohnehin beschissenen Achtziger durch alle Kanäle gepumpt werden. Anlaß genug, jetzt schon mal einen sentimentalen Rücklick auf die frühen Neunziger zu werfen, bevor sich die professionellen Zweitverwerter der Sache annehmen und alles zuschleimen.

Ganz so jung waren wir auch nicht mehr, und hatten schon gelernt zwischen gutem und bösem Deutschpop zu unterscheiden. Wenn wir schon von Lebensgefühl sprachen, dann bitte schön in den Kategorien: "Leben in der Bar / Schlafen kann ich / Wenn ich tot bin / verliebt bin ich sowieso / Ich sag: Mikrokosmos haa-llo / Ja, Ja, Yippieeyippieyeaa!" Das waren Verse wie in porösen Basalt gehauen, die die Eckpfeiler, will sagen: Bettpfosten einer - meiner, unserer - späten Jugend markierten. Gesungen haben sie die Lassie Singers, eine Band, deren Name Jugendlichen, die nie einen anderen Kanzler als Gerhard Schröder gekannt haben, heute wohl schon nichts mehr sagt.

Die Lassie Singers gibt es in wechselnder Besetzung seit zehn Jahren, zwischenzeitlich nur noch virtuell, jetzt wieder richtig und demnächst gar nicht mehr.

Fälschlicherweise wurde die Gruppe sie oft unter dem Rubrum "Hamburg" abgelegt, was daran liegen dürfte, daß viele Songs von Hamburg handeln und Hamburg für die Lassie Singers immer eher "ein Zustand" denn ein bloßer Gig war, wie die Lassie-Frontfrauen Christiane Rösinger und Almut Klotz, Exilbadenserinnen und seit 13 Jahren Wahlberlinerinnnen, durchaus abwertend zu Protokoll geben.

Nicht ganz so fälschlicherweise wurden sie oft unter dem Rubrum "Frauenband" abgelegt, was daran liegen dürfte, daß die beiden Rösinger und Klotz mehr im Mittelpunkt standen als die unzähligen männlichen Musiker, die sie, angefangen mit Funny van Dannen, im Laufe der Jahre verschlissen haben. Und natürlich an den Texten, die sich nicht selten um den Mikrokosmos Beziehung und deren männlicherseits induziertes Scheitern im Vorfeld drehen: "Ich kann ja nichts dafür / Und dich trifft keine Schuld / Es ist eine allergische Reaktion / (...) daß ich jedesmal wenn ich das Wort Freiheit / aus einem Männermund höre kotzen muß."

Wollten sie bei ihren Freundinnen Nachmittage auf dem Bett vertrödeln, kamen "männliche Mitmenschen" nicht umhin, sich das anzuhören. Bei den Freundinnen kamen die angenervten Texte und der rappelkistige Sound dagegen ganz hervoragend an, und obendrein waren die Lassie Singers absolut Cocooning-kompatibel. Das waren auch die frühen Neunziger: Cocooning. Das Lebensgefühl "urtierhafte Faulheit" und "pathologische Willensschwäche" findet sich wohl nirgendwo besser niedergelegt als in den Songs der Lassie Singers.

Dennoch haben sie es auf geheimnisvolle Weise nie bis MTV geschafft. Die Trends und zum Schluß die Plattenfirma Sony meinten es zwischenzeitlich nicht gerade gut mit der Band, die für Funpop immer zu intellektuell und für Diskurspop immer zu humorig war. Irgendwann kann schließlich ein im Vollrausch gefundener Bandname zu einem Hindernis werden. Zu den Konzerten kamen nicht mehr so viele Leute, und irgendwann verfing selbst der Ausredenkatalog für unterwegs, "wenn wir nicht wahrhaben wollten, daß unser Stern am Sinken war" ("Jahreszeit", "strukturschwaches Gebiet", "Phil Collins im Nachbardorf") nicht mehr so recht. Sony ließ die CDs einstampfen, behielt aber die Lizenzen, und die Lassie Singers mußten gewärtigen, daß es mit dem Projekt "Unbekümmert-Popstars-Werden" wohl vorerst vorbei war.

Es folgte das übliche: Drogen, Streit, Soloprojekte, bürgerliche Existenzsicherung, bis man sich in diesem Jahr anläßlich des formalen zehnjährigen Bestehens daran erinnerte, wie deprimierend das letzte Konzert in Basel gewesen war, und zu dem Entschluß kam, es dabei nun doch nicht bewenden zu lassen. Nostalgie soll auch mit im Spiel gewesen sein. Und aus der Idee, ein Abschiedskonzert zu machen, wurde schnell eine ganze Tournee, aus der projektierten Single ein eigenes Label: "Flittchen Records", auf dem neben der längst fälligen "Best of ..." auch eine "Rest of ..."-CD erschienen ist. Diese dokumentiert neben fröhlichen Homerecording-Sessions, auf denen u.a. Rösingers Wellensittich zu hören ist, in einem Booklet die Highlights und Einbrüche der Bandgeschichte.

Uns, die wir die frühen Neunziger noch bewußt miterlebt haben, ein unverhoffter Anlaß zu sentimentaler Retro- und Introspektion; Jüngeren, die heute Popstars werden wollen, ein lehrreiches Exempel, wie man es anstellt und doch wieder nicht.

Die Lassies machen Schluß, stilvoll, rechtzeitig und aus gutem Grund. Nostalgie ist eben doch nur sehr wohldosiert verkraftbar und vor allem keine Geschäftsgrundlage für eine Band. Wer in der vergangenen Woche auf dem geheimen Abschiedskonzert in der ebenfalls von Bandmitgliedern bewirtschafteten "Flittchen Bar" am Berliner Ostbahnhof die Reaktionen der Besucher verfolgt hat, konnte das mitbekommen. Rösinger und Klotz, der Rest of Lassie Singers, können ja nichts dafür, und auch die Anwesenden trifft keine Schuld. Es ist schlicht eine allergische Reaktion der beiden, daß sie jedesmal kotzen könnten, wenn sie das Wort "Gänsehaut" aus dem Mund eines Konzertbesuchers hören.

Lassie Singers: Best of ...; Lassie Singers: Rest of ..., beide Flittchen Records; Lassie Singers auf Tour vom 3. bis 18. November