Vergeßt Banküberfälle!

Von Ivo Bozic

Reich wird man nur im Drogenhandel, beweist die Autobiographie des Großdealers Howard Marks

Sind Biographien in der Regel uninteressant, so sind Autobiographien vor allem eine Ausgeburt der Eitelkeit; eine verlogene, geglättete, beschönigende Version. Immerhin: Hinter einem vergleichsweise tristen Leben kann immer noch ein interessanter Mensch stecken. Scheiß auf die Story, auf den Standpunkt kommt es schließlich an. (Klar, eine gute Story macht das Ganze natürlich reizvoller. )

Howard Marks hat seine Geschichte aufgeschrieben, eitel und selbstverliebt. Aber die Geschichte, die dieser Mann auf der Pfanne hat, ist dermaßen unglaublich, daß man darüber gerne hinwegschaut. Außerdem ist Marks ein Held. Einer, dem man rund um die Uhr alles Gute wünscht, dem man die Daumen drückt, und natürlich möchte man auch mal so wichtig sein wie der und so viele Frauen abschleppen. Nicht Jesus, kein Robin Hood oder Che, eher ein Typ wie Mick Jagger.

Wer Roadmovies mag und ab und zu einen kifft, sollte sich diese Autobiographie, dieses "Drehbuch" über einen der größten Cannabis-Dealer der siebziger und achtziger Jahre zu Gemüt führen. In diesem Film ist alles dabei: Sex, Drogen und Rock'n'Roll bis zum Umfallen, die IRA, der britische Geheimdienst, CIA und Mafia, afghanische Rebellen, Bud-dhismus, Oxford, Jean-Paul Belmondo, Roman Polanski, die Hell's Angels, Elizabeth Marcos, jede Menge Flugzeuge, schnelle Autos voller Dope, falsche Pässe, richtige Heiratsschwindler, amerikanische Knäste, Revoluzzer, Hippies, Ibiza, Huren, thailändisches Gras und pakistanische Diplomaten - und ein wirklich gutaussehender Hauptdarsteller, ein Frauenschwarm, ein Charmeur par excellence.

Er kann Klavier spielen, singen, ist Oxford-Schüler und trotzdem ein Rebell, er schwimmt in Kohle, bleibt dabei irgendwie Idealist, wird Großbritanniens meistgesuchter Dealer, verbringt sieben Jahre in Amerikas härtestem Knast - "Sie werden ihn mögen", wirbt der Verlag für die jetzt erschienene Übersetzung.

In England wurden bereits über 200 000 Bücher verkauft. Und in der Tat hat das Buch das Zeug zum Kult. Zumal eine Verfilmung sicher nicht lange auf sich warten lassen wird. Man kann sich dafür eigentlich keinen anderen Hauptdarsteller vorstellen als Howard Marks selbst, der sicher nur durch Zufall kein Rolling Stone geworden ist. Er ist einfach Mr. Nice, und so heißt auch das Buch.

Don Nice ist eine von 43 verschiedenen Identitäten, die Marks in den Achtzigern benutzte. Er besaß zudem rund um den Erdball 89 Telefonanschlüsse und 25 Tarnfirmen. Zeitweise kontrollierte Marks 10 bis 15 Prozent des weltweiten Cannabishandels - sagt jedenfalls die DEA, die US-amerikanische Drogenpolizei, die Marks über all die Jahre immer auf den Fersen war. Wer in den achtziger Jahren Kiffer war, hat das eine oder andere Stück Dope mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit Marks' umtriebigem Handel zu verdanken.

Aber nicht nur ihm. Der Drogenhandel ist kein Ein-Mann-Unternehmen. Es handelt sich um organisierte Kriminalität. Doch in der Geschichte von Marks werden aus den dunklen Gestalten, den Schatten, den kaltblütigen Pistoleros, dem Feindbild Nummer eins der Sicherheitsstrategen einfache Menschen, die ihre ganz persönlichen Gründe für die Wahl der Branche haben, die ihr eigenes Schicksal und eben auch ihr eigenes Geschäft haben. Daß über zwei Dutzend Personen aus den verschiedensten Ecken der Welt plötzlich als das "Marks-Kartell" bezeichnet wurden, liegt nur daran, daß die DEA und die Medien sich nicht vorstellen können oder wollen, daß der Drogenmarkt genauso funktioniert wie jedes andere Im- und Exportgeschäft auch.

Alleine kann man nun mal nicht das Gras anbauen, das Hasch zubereiten, die Platten geruchssicher verpacken, zum Schiff oder Flugplatz transportieren, die Angestellten dort bestechen, das Zeug auf der anderen Seite des Ozeans wieder aus dem Flug- oder Schiffshafen herausschmuggeln und schließlich an die zigtausend KonsumentInnen verticken. Dazu müssen viele Leute zusammenarbeiten, die alle etwas von dem - allerdings enormen - Profit abbekommen müssen. Weil jedoch fast jeder Deal auf unterschiedlichen Wegen und daher über unterschiedliche Kontakte zustande kommt, ist so etwas wie eine starre Organisation kaum möglich. Außerdem hängt viel vom Zufall ab.

Zufällig ist, wie die meisten Dealer, auch Howard Marks zum Geschäft gekommen. Seine Hippie-Studentenbude in Oxford war Ende der Sechziger wohl der erste große Kiffertreffpunkt. Alle Freaks der Gegend hingen dort ab. Cannabis war zu jenem Zeitpunkt noch legal, kurze Zeit später nicht mehr. Wer viel kifft, hat viel Dope und verkauft schon mal ein wenig weiter. Als Marks' Dealer in den Knast wandert, wird er von dessen pakistanischem Geschäfts-partner gefragt, ob er ihn nicht vertreten wolle. So beginnt 1970 eine Karriere, die aus dem walisischen Hippie einen millionenschweren Großdealer machen wird.

Die ersten eigenen Geschäfte tätigte Marks mit Hilfe des leicht wahnsinnigen IRA-Mitglieds Jim McCann, weshalb ihn später ein ehemaliger Oxford-Kommilitone für den Geheimdienst MI 6 anwirbt. Allerdings bedient sich der MI 6 schließlich nicht Marks', denn der IRA-Waffenschmuggler sorgt für eine undichte Stelle in einem irischen Flughafen, ehemalige Mitstudenten von Marks transportieren das Dope in Autos und per Fähre nach England. Die Ausrede, Agent des MI 6 zu sein, rettet Marks schließlich 1981 den Kopf, als er zum ersten Mal vor Gericht treten muß. 1973 versucht Marks erstmals, eine große Ladung Dope in die USA zu schmuggeln - in Lautsprechern einer extra gegründeten Rockband namens Laughing Grass. Das Geschäft geht allerdings schief. Später findet er bessere Wege in die Staaten, wo das Dope den dreifachen Preis bringt. Einmal hilft sogar der CIA, der extra ein Flugzeug zum Drogentransport nach Pakistan schickt.

Wer immer schon mal wissen wollte, auf welchen verschlungenen Pfaden sein Dope in die eigenen Hände gelangt ist, sollte dieses Buch lesen. Die abstrakten Landkarten aus den Tageszeitungen, auf denen dünne und dicke Pfeile aus Asien und Südamerika nach Europa und auf die USA weisen, erklären gar nichts. Allerdings hat sich das Drogengeschäft heutzutage geändert. Dealer wie Marks, die gleichzeitig Überzeugungskiffer sind und daher ausschließlich Cannabis schmuggeln, sind vermutlich Relikte der Pionierzeit.

Das Geld lockt natürlich auch recht brutale Geschäftsleute an. Wer irgendwann eine kriminelle Laufbahn beschließt und dabei richtig reich werden möchte - also richtig reich! -, der sollte gar nicht erst über Banküberfälle nachdenken. Nur das Drogengeschäft ermöglicht es, sich fast nur noch von Kaviar zu ernähren, eine Rolex zu tragen, die teuersten Autos zu fahren und jeden Tag in einer anderen Weltmetropole im nobelsten Hotel abzusteigen.

Im Grunde ist es der kapitalistische Traum, der hier geträumt wird. Er hat nur deshalb etwas Rebellisches, weil Drogen illegal sind. Und weil der exzentrische "Mr. Nice" selbst ein Kiffer vor dem Herrn ist. Man nimmt ihm, trotz aller Dekadenz, in der er sich verliert, ab, daß es ihm wichtig war, die Kiffer dieser Welt mit ordentlichem Stoff zu versorgen. Marks selbst raucht pro Tag rund zwanzig Joints - auch öffentlich in Talkshows. Und hat nach seiner Haftentlassung im letzten Jahr eine Partei gegründet: "The Legalize Cannabis Party".

Howard Marks: Mr. Nice. grow! publishing, Darmstadt 1998,
465 S., DM 24,80