Winterpause für den Krieg

Die kosovo-albanische Separatistentruppe UCK kennt sich nicht nur mit Waffen aus. Justiz und Verwaltung heißen ihre neuen Fachgebiete

Der albanische Zoll machte im Hafen von Durres einen erstaunlichen Fund: In zwei Schiffscontainern befand sich Militärmaterial, das aus der Schweiz stammte und für die nach wie vor recht eifrigen Kämpfer der kosovo-albanischen Untergrundarmee UCK bestimmt war. Das war vor zwei Wochen.

In der Schweiz wurden daraufhin sechs Personen verhaftet und eine halbe Tonne Munition sowie Waffen im Wert von rund 250 000 Mark beschlagnahmt. Zwar dient die Schweiz den Freischärlern ansonsten weniger als Supermarkt für Waffen aller Art, doch hat die Alpenrepublik eine wichtige Funktion bei der Beschaffung des nötigen Kleingeldes.

Trotz der baldigen Ankunft von 2 000 Beobachtern der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und des vor fünf Wochen erzielten Abkommens mit dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic wird weiter für den Krieg gebunkert. Selbst der Oberkommandeur der Nato-Streitkräfte in Europa, Wesley Clark, mußte am vergangenen Freitag zugeben, daß sich die UCK derzeit intensiv für eine Wiederaufnahme der Kämpfe vorbereitet und aufrüstet.

Wichtig für die UCK-Bestrebungen scheint zunehmend wieder Nordalbanien zu werden, wo der albanische Ex-Präsident Sali Berisha ein Ausbildungslager für UCK-Kämpfer und Gegner der derzeit in Albanien regierenden Sozialisten unterhält. Dies hat ihm zumindest die albanische Zeitung Zeri i Poppulit vorletzte Woche vorgeworfen und außerdem gemutmaßt, Berisha wolle nun einen Putsch in Albanien vorbereiten.

Das Rückzugsgebiet Nordalbanien brauchen die Kämpfer der UCK aber eigentlich nicht mehr so dringend, seit das gesamte Kosovo langsam von Truppen der jugoslawischen Bundesarmee und serbischen Polizei-Einheiten verlassen wird. Damit die Provinz aber nicht ohne Autoritäten bleibt, versucht nun die UCK, das Machtvakuum auszufüllen und die Verantwortung für die örtliche Verwaltung sowie für "Recht und Ordnung" zu übernehmen. Schon jetzt bezeichnen sich die einstigen Kämpfer als Behörden und geben sich nicht mehr mit der Tätigkeit als "Freischärler" zufrieden, sondern mausern sich zu einer echten Administration für das Krisengebiet.

Erst vor drei Wochen gab die UCK auch ihr Debüt im Bereich der Justiz, indem sie drei Kosovo-Albaner hinrichtete, die in der Vergangenheit mit den Serben kooperiert hatten. Außerdem wurde einem unabhängigen Journalisten aus Serbien für einige Wochen eine "Haftstrafe" aufgebrummt, weil der ohne Erlaubnis kosovo-albanisches Gebiet betreten hatte.

Der Karrieresprung der UCK von der Guerilla-Armee zur offiziellen Ordnungsmacht ist eine Folge der Bemühungen der verschiedenen internationalen Institutionen, das Kosovo zu befrieden. Der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic mußte bei der mit Richard Holbrooke getroffenen Vereinbarung garantieren, daß alle jugoslawischen und serbischen Truppen abgezogen würden - die UCK wuchs an. Somit ist ein Effekt eingetreten, den niemand wollte. Der EU-Chefunterhändler für das Kosovo, Wolfgang Petritsch, gab noch vor drei Wochen gegenüber Jungle World zu, daß ein Nato-Militärschlag wohl die Separation des Kosovo beschleunigt habe. Doch auch der noch nicht richtig angelaufene OSZE-Einsatz beschleunigt nun die Verselbständigung der Provinz.

Damit einhergehend findet auch noch ein schleichender Autoritätsverlust von EU und Nato bei den Konfliktparteien statt: Noch bis vor kurzem hatte die UCK ihren Respekt zumindest damit bezeugt, daß sie Gespräche zwischen dem selbsternannten Präsidenten des Kosovo und Nato- sowie EU-Vertretern als Bemühungen verstand, eine politische Lösung für die Zukunft zu finden. Die in der vergangenen Woche erzielten Lösungen auf dieser Ebene zu einer weitgehenden Autonomie-Regelung kommentierte die UCK gegenüber der Zeitung Koha Ditore hingegen als Einmischung "unbefugter Einzelpersonen oder Gruppen".

Selbst der ansonsten recht optimistische OSZE-Vorsitzende und polnische Außenminister Bronislaw Geremek zeigt sich inzwischen besorgt über die Entwicklung. Bei einer Pressekonferenz in Wien zeichnete Geremek am vergangenen Donnerstag das Bild eines politischen Super-GAUs für die OSZE-Mission: Es sei möglich, daß die UCK im März kommenden Jahres militärisch losschlagen könne, nachdem sie den Winter zur Auffrischung der eigenen Kräfte genutzt habe.

Mittendrin im Kampfgeschehen wären dann die 2 000 OSZE-Beobachter, die bei einer solchen Situation erst Hilfe von den in Mazedonien stationierten Nato-Truppen anfordern müßten. Doch selbst die Stationierung dieser Truppen ist noch mit Fragezeichen versehen. Geremek meinte, es gebe zwar "viele Ideen", aber es mangele an "Taten". Unterdessen ist eine Voraustruppe der OSZE damit beschäftigt, im Kosovo die Infrastruktur für die eigenen Tätigkeiten aufzubauen. Neben den 2 000 Beobachtern sucht die Organisation auch 2500 Einheimische und 30 Stützpunkte in der ganzen Provinz. In Pristina halten Sprecher der OSZE aber auch am Feindbild Milosevic fest: Mans Nyberg, einer der Pressesprecher der Organisation, äußerte jüngst, die Sicherheit der Beobachter wäre garantiert, wenn Milosevic seine Truppen in den Kasernen lasse.

Gleiches von der UCK zu verlangen, scheint derzeit illusorisch. Schließlich hat sie sich auch militärisch mit modernstem Gerät eingedeckt. Militärbeobachter berichteten, die UCK sei mittlerweile im Besitz hocheffizienter Barret-Scharfschützengewehre. Da fällt es den ehemaligen Freischärlern natürlich leicht, Anspruch auf die ganze Macht im nicht existierenden Staat zu erheben. Weil die sog. internationale Staatengemeinschaft "dem serbischen Regime zu große Zugeständnisse auf Kosten des albanischen Volkes gemacht" habe, werde man keine Verhandlungslösungen mehr akzeptieren und denke an die Übernahme weiterer Verwaltungsaufgaben.