Kein Freundschaftspreis

Für den Fall des Atomausstiegs drohen Regreßforderungen von Energiekonzernen und Entsorgern

"Qu'est-ce qu'il fait, ce Fischer?" wird sich vorletzte Woche die französische Regierung gefragt haben. Ein etwas verunsicherter Unterton dürfte dabei kaum zu überhören gewesen sein, denn beim Zusammentreffen der französischen Regierung mit dem deutschen Außenminister Joseph Fischer wurde auch die Wiederaufarbeitung deutschen Atommülls im normannischen La Hague debattiert. Für Frankreichs Regierung ein drängendes Anliegen, verfolgt man in Paris doch mit Unbehagen die Atomausstiegsszenarien des Nachbarstaates.

Sollte sich das rot-grüne Kabinett tatsächlich dazu entschließen, auszusteigen und keinen weiteren Atommüll zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich zu schicken, wäre dies nicht nur ein Vertragsbruch - der Erhalt der ganzen Wiederaufbereitungsanlage wäre gefährdet. Bei den Gesprächen hat daher "die französische Seite ihr Interesse an der Einhaltung der Verträge bekundet", wie ein Regierungssprecher mitteilte. Widrigenfalls drohen Deutschland Vertragsstrafen von maximal 5,1 Milliarden Mark. Da werden Fischer, Trittin und Schröder noch des längeren über das Verhältnis von politischem und finanziellem Preis nachdenken.

Immerhin eine Fraktion der französischen Mitte-Links-Regierung hofft, aus den deutschen Ausstiegsplänen Kapital schlagen zu können: die Grünen. Deren Umweltministerin Dominique Voynet sagt: "Wenn der Atomausstieg zur Politik unseres wichtigsten Partners wird, kann man entsprechende Thesen der französischen Grünen nicht mehr als archaisch und marginal abtun."

In Hinblick auf das atomare Abfallrecycling stehen ähnliche Probleme auch mit der britischen Regierung ins Haus. Bis ins Jahr 2009 laufen Verträge über die Wiederaufarbeitung deutschen Atommülls in der WAA Sellafield. Ein Vertragsbruch würde auch hier ein vorzeitiges Ende der Anlage bedeuten. Ein Sellafield-Sprecher reagierte prompt und erklärte: "Die Verträge sind absolut wasserdicht. Falls unsere deutschen Kunden kündigen wollen, müssen sie dafür bezahlen." Neben einer Milliardenklage müßte sich Rot-Grün bei einem Vertragsbruch auch darauf gefaßt machen, daß unbehandelter Atommüll nach Deutschland zurückgeschickt wird.

Da die Londoner Regierung eine Privatisierung der staatlichen Atomindustrie plant, kommen ihr solche Spekulationen sehr ungelegen. Nicht ein Unternehmen wird künftig in die Branche investieren, steht doch ein - sich unter Umständen über Jahre hinziehender - Rechtsstreit mit der deutschen Regierung bevor. Die Wiederaufarbeitung war jedoch beim Zusammentreffen von Blair und Schröder Anfang November kein Thema. Dies schien vor allem in Schröders Interesse zu liegen, denn seine Koalitionsvereinbarung mit den Grünen konterkariert die Verträge mit Sellafield. So ist in der Koalitionsvereinbarung von einer "Beschränkung der Entsorgung auf die direkte Endlagerung" die Rede. Bei konsequenter Umsetzung würde dies das Ende der Wiederaufarbeitung in Sellafield ebenso wie in La Hague bedeuten.

Diese Entsorgungsbeschränkung ist im Koalitionsvertrag Bestandteil eines Maßnahmenbündels - überschrieben mit "Änderung des Atomgesetzes" -, das den ersten Schritt der rot-grünen Regierung bei der Prozedur des Atomausstiegs bildet. Vergangene Woche ließ Umweltminister Trittin verlauten, er wolle schon bis Weihnachten diese Maßnahmen umsetzen. Die Atomgesetz-Änderung sieht unter anderem eine Streichung des Förderzwecks, die Einführung einer Verpflichtung zur Sicherheitsüberprüfung der Atomkraftwerke sowie eine Erhöhung der Haftsummen für die Betreiber vor.

Wenig Zukunft haben Trittin zufolge auch das Zwischenlager Gorleben und das Atommüllager Schacht Konrad für schwach- und mittelradioaktive Abfälle bei Salzgitter. Gorleben sei sowohl fachlich wie auch politisch eine Fehlentscheidung gewesen. Mit Blick auf mögliche Schadenersatzforderungen der Kraftwerksbetreiber äußerte Trittin die Ansicht, eine unbefristete Genehmigung im juristischen Sinne gebe keine Garantie für endlose Laufzeiten.

Die Energieunternehmen sind derweil längst von der völligen Ablehnung der Ausstiegspläne abgerückt. In den vergangenen zwei Wochen meldeten sich die Vorsitzenden sowohl der RWE, Dietmar Kuhnt, wie auch der Bayernwerk AG, Otto Majewski, zu Wort. Kuhnt sprach sich für eine "parteiübergreifende Verständigung" ohne "ideologische Vorgaben" aus.

Gleichzeitig versuchte er aber auch Stimmung zu machen gegen Rot-Grün und schloß milliardenschwere Entschädigungsforderungen - "zu Lasten des Steuerzahlers" - nicht aus. Auch Majewski drohte vergangene Woche mit Regreßforderungen. Für ihn sei vor allem die Stillegung von Schacht Konrad problematisch, da hier schon zwei Milliarden Mark investiert worden seien. Einem Aus für das Endlagerprojekt in Gorleben stehe nach Beendigung der Forschungsarbeiten jedoch nichts entgegen.

Möglicherweise werden sich die Grünen aber, ähnlich wie ihre französische Schwesterpartei, bei den Verhandlungen mit den Atomkraftwerksbetreibern auf einen Tausch nach dem Muster Kraftwerk A gegen Kraftwerk B einlassen. Von der Forderung nach sofortigem Ausstieg aus der Atomkraft jedenfalls sind die Grünen längst abgekommen.