Uwe Wesel

»Die Ausweisung ist reiner Populismus«

Zuletzt hatte sich sogar das Auswärtige Amt in den Fall eingemischt - die von der bayerischen Landesregierung verlangten und für die Abschiebung des 14jährigen "Mehmet" notwendigen Dokumente wollte es nicht ausstellen. Doch nach über sieben Monaten juristischer Auseinandersetzung setzte das Bundesverwaltungsgericht dem Streit um die Abschiebung des in Deutschland geborenen, von den Medien als "Serien"- und "Intensiv"-Täter abgestempelten Türken am vergangenen Donnerstag ein Ende: Es lehnte den von "Mehmets" Anwalt gestellten Antrag auf Erlaß einer Einstweiligen Anordnung gegen die Abschiebung ab. Daraufhin schob die bayerische Landesregierung den Jugendlichen am Samstag vom Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen nach Istanbul ab. Uwe Wesel ist Jura-Professor an der Freien Universität Berlin.

Bayerns Innenminister Beckstein hat sich nach der Abschiebung "Mehmets" hochzufrieden gezeigt. Hat die CSU damit ihr Ziel erreicht?

Das denke ich schon. In ihrer Signalwirkung für diejenigen, die hier eine "Rausländerpolitik" machen, ist die Entscheidung sehr wichtig. Und leider Gottes sind ja die Umfragezahlen so, daß Herr Beckstein mit der Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung rechnen kann.

Gegen das Urteil des Münchner Verwaltungsgerichts hat es im Sommer erhebliche Einwände gegeben, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hob den ersten Abschiebebeschluß später wieder auf. Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht Ende letzter Woche die Entscheidung, "Mehmets" Aufenthaltsgenehmigung nicht zu verlängern, genehmigt. Bleiben die rechtlichen Einwände gegen die Entscheidung bestehen?

Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts wird mit Sicherheit weiter umstritten bleiben, weil er sich nur darauf beruft, daß der Anwalt bestimmte formale Fehler begangen hat. Die Richter haben selbst gesagt: Dies ist nur eine vorläufige Entscheidung; wie über eine mögliche Verfassungsbeschwerde gerichtet wird, wissen wir heute noch nicht. Ich sehe da eher optimistisch in die Zukunft.

Dennoch haben die Richter die Abschiebung de facto abgesegnet - "Mehmet" muß den Fortgang des Verfahrens nun aus der Türkei verfolgen.

Das ist mir auch unverständlich. Der formale Ausweg, den sie gewählt haben, entspricht aber in gewisser Weise der bisherigen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Erschöpfung des Rechtswegs -, und da hat der Anwalt in der Tat einen Fehler gemacht. Möglicherweise hat in den Hinterköpfen der Richter aber auch eine Rolle gespielt, daß dieser Rowdy nun mal gefälligst das Land verlassen soll - leider.

Wie erklären Sie sich, daß die bayerische Landesregierung den Fall derart aufgebauscht hat?

Das hat rein populistische Gründe und ist natürlich ein Triumph für die Herren Beckstein und Stoiber. Leider Gottes haben in diesem Fall die Ausländerfeinde gesiegt, wenn auch juristisch noch nicht die letzte Entscheidung gefällt ist.

Die beiden Herren haben damit ihren Bayern gezeigt, daß sie gegen ausländische Verbrecher, auch wenn sie noch so jung sind, hart vorgehen. Das erhöht ihre Popularität: Harte Ausländerpolitik macht sich in Bayern bezahlt - und ist auch auf Bundesebene etwas, womit man sich Sporen verdienen kann. Es gibt bei keiner der großen Parteien eine Tendenz dahin, die Bürger aufzuklären. Anstelle dessen wird ganz allgemein eine versteckte ausländerfeindliche Politik gemacht.

Der Umgang mit "Mehmet" steht ja durchaus exemplarisch für den Umgang mit anderen "Kriminellen", seien es nun "illegale" Einwanderer, Drogenabhängige oder Sexualstraftäter - sie werden weggesperrt. Ist in der Kriminalpolitik eine Verschärfung dieser Tendenz erkennbar?

Wir beobachten dies schon seit vielen Jahren, insbesondere im Strafrecht. Der Ruf nach härteren Strafen wird immer lauter, was kriminalpolitisch völlig unsinnig ist. Statt darauf mit Aufklärung zu antworten und zu sagen, höhere Strafen nützen überhaupt nichts, wir müssen das Übel an der Wurzel packen und eine vernünftige Kriminalpolitik machen, gibt die Politik der Mehrheit der Bürger nach - und unsere Gefängnisse werden immer voller.

Gegner der Abschiebung argumentieren, daß es nie zu der Zuspitzung gekommen wäre, hätte man "Mehmet" nur früh genug einen Sozialarbeiter zur Seite gestellt. Geht dieser Ansatz nicht auch an der eigentlichen Ursache des Problems vorbei?

Da bin ich mir nicht sicher. Es gibt ja auch unter Jugendlichen Fälle, die hoffnungslos sind, wo sich tatsächlich nichts mehr machen läßt. Ich bin selbst ein wenig ratlos, wie man der zunehmenden Gewalt unter Jugendlichen begegnen soll. Aber natürlich liegt das Problem in unserer Verantwortung - und nicht in der der Türkei. Ebenso bin ich der Überzeugung, daß hartes Zugreifen, das heißt beispielsweise die Einweisung in geschlossene Jugendanstalten, in den seltensten Fällen das Problem löst.

Hinter dem politischen Wunsch, "Mehmet" abzuschieben, steht ja auch das Prinzip der ethnisch homogenen Gemeinschaft. Setzt sich dies nun auch in der Rechtsprechung durch?

Das war die Tendenz der letzten Jahre, doch ich habe die Hoffnung, daß dies in Zukunft besser werden wird. Auch unter einem Innenminister Otto Schily, der sich zwar manchmal sehr martialisch äußert, aber letztlich ein Liberaler bleiben wird. Das hat er ja auch in der Frage der doppelten Staatsangehörigkeit unter Beweis gestellt.

Aber gerade was die Ausländerpolitik betrifft, steht er seinem Vorgänger Kanther doch in nichts nach. Und auch der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, der die Abschiebung "Mehmets" ebenfalls unterstützte, ist ein Sozialdemokrat.

Warten wir ab. Die SPD hat mit ihrer Politik vor der Wahl eine Klientel bedienen müssen, die besonders gefährdet ist, rechtsradikal zu wählen. Die SPD mußte diese Wähler ruhigstellen, um die Wahl gewinnen zu können ...

... und hat dabei in der Inneren Sicherheit die Programmatik der Rechten übernommen.

Das sehe ich nicht so. Otto Schily ist ein Liberaler, der von seiner Partei vorgeschickt wurde, die Drecksarbeit zu erledigen, die man Linken oder Linksliberalen immer zuschiebt: Ihr liberales Image soll dafür sorgen, daß man ihnen ihre Positionen gerade noch abnimmt.

Aber hinter dem Erscheinungsbild stehen doch Positionen, die sich von denen der Union nun wirklich nicht mehr unterscheiden lassen.

Dahinter stehen Zwänge einer Demokratie, in der Parteien gewählt werden wollen, und in der sie natürlich auch die Aufgabe haben, Aufklärung zu leisten. Nach 16 Jahren Kohl wäre es sicherlich sehr gefährlich gewesen, wenn man sich von vorneherein auf das Terrain einer liberalen Ausländerpolitik begeben hätte. Ich habe aber die Hoffnung nicht aufgegeben, daß die SPD das doch noch tun wird. Den Otto Schily nun immer mit dem Kanther zu vergleichen, das ist sehr ungerecht.

"Mehmet" ist nun dort, wo ihn die CSU und Teile der SPD von Anfang an hinhaben wollten - in der Türkei. Zeichnet sich da ein Modell für künftige "Mehmets" ab?

Nein. Das war ein Sonderfall, der sich so auch nicht wiederholen wird. Es gibt durchaus noch die Chance, daß "Mehmet" zurückkommt. Ich rechne sogar damit.