Bericht aus einer autonomen Galaxie

Während Gouverneur Albores Guillen höhnt: "Nach Sitten und Gebräuchen zu regieren, ist primitiv", nehmen die mexikanischen Tzeltal-Indianer ihr Leben in die Hand.

In den meisten Gegenden Chiapas herrscht der Kriegszustand, obwohl die mexikanische Regierung ihn nie erklärt hat. Gesetze sind nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem sie stehen. Die Reise nach Morelia, dem Sitz der Verwaltung des Autonomen Landkreises "17. November", ist daher beschwerlich und trotz möglicher Überfälle nachts sicherer, da die meisten Kontrollen durch Militär und Polizei tagsüber stattfinden. Nach einer vierstündigen Busfahrt inklusive einmaligem Umsteigen bleibt noch ein Fußmarsch von nahezu drei Stunden.

Am Ortseingang von Morelia empfängt einen ein ohrenbetäubender Lärm: Schon um sieben Uhr morgens sind Anhänger der regierenden Partei der Institutionalisierten Revolution Mexikos (PRI) mit Motorsägen dabei, die Bäume der umliegenden Berghänge zu fällen, obwohl der Autonome Landkreis dies verboten hat. Abel, Verantwortlicher des Landkreises "17. November" für den Bereich Produktion, erklärt später: "Wir wollen unseren Wald verteidigen, doch die Regierung kauft die Menschen mit Geld, und viele Leute sind schwach und akzeptieren das."

Zweimal versuchten Dorfbewohner, die abfahrenden Lkws mit Holz aufzuhalten, doch die PRIisten erstatteten Meldung beim Militär. Die Zapatisten aus Morelia greifen nun nicht mehr ein, sie befürchten, daß die Anhänger der PRI eine bewaffnete Konfrontation provozieren wollen, um dann wiederum einen Armee-Einsatz zu rechtfertigen. Die Edelhölzer werden von ihnen weit unter den offiziell festgelegten Mindestpreisen verkauft, und obwohl Rodung und Handel von und mit Edelhölzern illegal sind, schreitet der Staat nicht ein.

Das "Abkommen von San Andres über indianische Rechte und Kultur", das vor nun fast drei Jahren von der mexikanischen Regierung unterzeichnet wurde, spricht den indianischen Gemeinden explizit ein "Recht auf Selbstbestimmung" zu. Doch die Regierung weigert sich bis heute, das Abkommen auch umzusetzen. Die Autonomen Landkreise, die die Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung (EZLN) mit ihrer Kampagne "Frieden mit Gerechtigkeit und Würde für die indianischen Völker" initiiert hatte, sind ständigen Angriffen ausgesetzt. So verkündete etwa der von der Zentralregierung in Chiapas eingesetzte Interimsgouverneur Albores Guillen: "Nach Sitten und Gebräuchen zu regieren, ist primitiv." Während der vergangenen zehn Monate waren die Versuche der Selbstorganisierung der zapatistischen Basis einer der entscheidenden Konfliktpunkte in dem südmexikanischen Bundesstaat.

Der Autonome Landkreis "17. November", zu dem sich die "Landkreishauptstadt" Morelia und weitere 53 Gemeinden zusammengeschlossen haben, gehört zwar nicht zu den am besten organisierten Zapatisten-Gemeinden, jedoch durchaus zu den besser funktionierenden. Udiel, der Präsident des Landkreises, berichtet nicht ohne sichtlichen Stolz von der Entstehung: "Alle Gemeinden aus den drei Regionen der Gegend wurden zusammengerufen, und wir hielten eine Versammlung ab, wie der Aufbau des Autonomen Landkreises aussehen sollte, danach fanden Versammlungen statt, und so wurde die Struktur aufgebaut. Diese besteht aus lokalen Räten in allen Gemeinden, die haben sich versammelt und Regionalparlamente gebildet. Diese haben dann das Parlament des Autonomen Landkreises '17. November' und seine Kommissionen gebildet: Ältestenrat, Rechtsprechung, Erziehung, Gesundheit, Finanzen, Arbeit, Frauen, Produktion, Land und Territorium, Jugend, Baumaßnahmen, Menschenrechte."

Pablo, der Bürgermeister von Morelia, sitzt neben ihm und nickt. Als die Frage aufkommt, warum der Name des Landkreises "17. November" lautet, antwortet er zunächst ausweichend, es handele sich um "ein wichtiges Datum". Auf weiteres Nachfragen erklärt er schließlich lächelnd: "Der Name lautet '17. November', weil das das Gründungsdatum der EZLN ist."

Morelia ist auch einer der fünf Orte, in denen das weltweit von der EZLN einberufene "Intergalaktische Treffen gegen Neoliberalismus" im Jahr 1996 stattfand. Eigens dafür wurde in jeder der fünf Gemeinden ein Aguascalientes, ein Versammlungszentrum, von der Dorfbevölkerung gebaut. Heute werden die Aguascalientes genutzt, um Seminare und Kurse abzuhalten. Besonders an Wochenenden herrscht reges Treiben. Leicht kommen dort einige Hundert Indianer und Indianerinnen, teilweise auch aus weit abgelegenen Gemeinden, zusammen, um gemeinsam Seminare zu Heilpflanzen, Frauengesundheit oder Gemüseanbau zu besuchen.

Direkt hinter dem Aguascalientes befindet sich eines der Gemüsefelder der Frauenkooperative. Jeden morgen um sieben laufen über zwanzig Frauen zwischen 16 und 60 Jahren mit Hacken dorthin und beginnen zu arbeiten. Insgesamt beteiligen sich 68 Frauen und Mädchen an dem Frauenkollektiv. "Wir arbeiten im Gemüseanbau, zwei Gruppen backen Brot, und vor kurzem haben wir auch einen Frauen-Kooperativen-Laden eröffnet", erzählt die etwa 30jährige Juana, während sie barfüßig mit der Hacke in der Hand neben dem schlammigen Feld steht.

"Wir haben als Frauen schon vor 1994 angefangen, uns zu organisieren, wir Frauen haben im Kollektiv gearbeitet, aber es hat fast nicht funktioniert und so haben wir für zwei Monate aufgehört. Aber jetzt haben wir wieder angefangen und es geht voran." Der Erfolg ist sichtbar, das Geld, das die Brotkollektive erwirtschaftet haben, wurde in den Laden und den Gemüseanbau gesteckt. Der kleine Laden, in dem die Auswahl äußerst begrenzt ist, läuft mittlerweile, und aus den Einnahmen werden nun eine Kaninchen- und eine Hühnerzucht aufgebaut.

Es war für die Frauen nicht leicht, sich durchzusetzen. Maria, die seit ihren Mädchenjahren als Katechetin aktiv war und in ihren Aktivitäten als Zapatistin nur die logische Fortsetzung davon sieht, berichtet: "Wir haben früher sehr gelitten in den Dörfern, wir hatten keinen Strom und kein Wasser, nichts. Wir haben gedacht, daß wir mit unseren Kindern nicht so leben können und haben begonnen, uns als Frauen zu organisieren und zu sehen, was für Arbeiten wir machen können. Unsere Männer haben gesagt, daß wir Frauen nicht reden können, kein Recht dazu haben und auch kein Recht, bestimmte Sachen zu tun. Nur die Männer könnten Ämter übernehmen, und die Frauen sollten im Haus eingeschlossen bleiben. Wir wollten aber nicht zu Hause bleiben und haben angefangen rauszugehen, die anderen Frauen zu besuchen und uns zu organisieren."

Maria und ihre Genossinnen sind - wie sie immer wieder betont - nun "der Sache", die "ihre Sache" ist, verschrieben: "Wir laufen in jede Gemeinde. Immer mit zwei oder drei Frauen. Wenn sie sehr weit weg sind, dann laufen wir manchmal um sechs Uhr morgens los und kommen um zwei Uhr mittags an. Aber wir sind jetzt viele, die ein wenig Ahnung haben und so gehen zwei dahin und drei dahin usw. In den Gemeinden, in die wir gehen, gefällt es den Frauen, was wir erzählen. So wie wir hier Kollektive haben, gibt es jetzt in allen Gemeinden Kollektive."

Die Planung der Frauenkollektive wird ebenso in die regionale Produktionsplanung miteinbezogen wie alle anderen. Abel, Verantwortlicher für Produktion, berichtet, wie für die Planung der gesamte autonome Landkreis in drei Regionen und diese zusätzlich in viele Mikroregionen aufgeteilt wurden. "Wir sehen eine Notwendigkeit darin, die Produktion selbst zu gestalten, es ist auch ein Teil des Widerstandes. Für uns ist es die oberste Notwendigkeit, die wir sehen, und deshalb haben wir seit 1994 angefangen, die Arbeit so zu organisieren." Seit Einrichtung der Kommission für Produktion ist der Anbau im Autonomen Landkreis "17. November" stark diversifiziert worden. "Es hängt vom Ort und dem Boden ab, was angebaut wird", erzählt Abel. "Wir schauen, ob der Ort geeignet ist für Mais oder Viehzucht. Wir entscheiden je nach Ort und Klima, was wir unterstützen. Wir arbeiten vorwiegend organisch, nicht mit Chemie, unser Ziel ist, alles so anzubauen. Wir wollen das jetzt auch mit Mais versuchen", sagt Abel.

Auf die Frage, ob es denn nicht schwer sei, die Bauern zur Umstellung auf organische Landwirtschaft zu bewegen, nachdem jahrzehntelang der massive Kunstdüngereinsatz gepredigt wurde, entgegnet er: "Ja, es wird oft gesagt, es sei schwer zu ändern und man könne das nicht machen. Deshalb haben wir beim Aguascalientes ein Versuchsfeld eingerichtet. Dort bauen wir Mais an, ohne chemische Dünger zu benutzen. Es ist nur ein kleines Stück, aber ich glaube, wenn wir das so machen, dann verstehen die Genossen das besser."

Auch hier steht wieder die Gemeinschaft im Mittelpunkt: "Wir arbeiten in Kollektiven. Alles, was ich dir erzählt habe, läuft kollektiv", betont Abel. "Die ganze Arbeit wird in Gruppen organisiert. Wir haben z. B. eine Gruppe von zehn bis elf Personen, die Zuckerrohr anbauen. Wir haben alles aus eigener Kraft getan, einen geeigneten Ort gesucht, Zuckerrohr gesät, alles gesäubert, Arbeitswerkzeug zusammengesucht, alles aus eigener Kraft. Wir akzeptieren keine Hilfe von der Regierung. Die Regierung gibt ein wenig Unterstützung, aber verlangt dafür von den Leuten, in die Regierungspartei einzutreten oder nimmt ihnen die Wahlbescheinigungen ab."

Während der vergangenen zehn Monate waren die Versuche der Selbstorganisierung der zapatistischen Basis einer der entscheidenden Konfliktpunkte in dem südmexikanischen Bundesstaat. Nach einer breiten Kampagne der chiapanekischen Regierung gegen die Autonomen Landkreise, in der immer wieder auf ihre "Illegalität" und die Notwendigkeit, "den Rechtsstaat wiederherzustellen", hingewiesen wurde, gingen die Ordnungskräfte in die Offensive und räumten vier Landkreise. Darunter auch einen, in dem sich der zur Oppositionspartei PRD gehörende und offiziell gewählte Gemeinderat im nachhinein zu einem Autonomen Landkreis erklärt hatte. Seitdem ist die Lage in den zapatistischen Basis-Gemeinden angespannt.

"Seit 1994/1995 ist die Maisernte stark zurückgegangen, weil wir wegen der Repression der Regierung oft nicht richtig arbeiten", berichtet Abel, der über jede Ernte genauestens Buch führt. "Als die Soldaten im Januar 1994 ins Dorf kamen, haben sie uns mißhandelt. Deshalb vertrauen wir der Regierung nicht, wir müssen die ganze Zeit auf der Hut sein. Manchmal geht die Produktion verloren, weil wir tagelang nicht arbeiten können." Besonders tief sitzt in Morelia der Schock über die Ermordung der drei Dorfältesten durch die Armee am 7. Januar 1994. Sie wurden von Soldaten verschleppt und später mit Folterspuren tot aufgefunden.

"Es kamen etwa 1 000 Soldaten mit Schützenpanzern und Maschinengewehren hier ins Dorf, sie haben alle Männer aus den Häusern geholt, uns hier in der Mitte des zusammengetrieben, alle gefoltert und drei Männer ermordet. Die Regierung behauptet, sie sei es nicht gewesen, die Soldaten seien nie hierher gekommen. Aber das ganze Volk ist Zeuge", berichtet Abel erregt. Doch obwohl der Fall mittlerweile sogar vom Obersten Menschenrechtsgerichtshof untersucht wird, streitet die mexikanische Armee ihre Beteiligung immer noch vehement ab, Anfang Januar in Morelia gewesen zu sein.

Es ist kein Zufall, daß ausgerechnet Morelia als Sitz der autonomen Gemeinde ausgewählt wurde. Bereits in den zwanziger Jahren gegründet, ist Morelia das älteste Dorf des Tales. Vor über 30 Jahren kamen zwei katholische Pfarrer dorthin und lehrten die Tzeltales, feste Dächer und Häuser zu bauen, und organisierten mit ihnen wieder kollektive Arbeitsstrukturen, die unter den dortigen Tzeltales bereits in Vergessenheit geraten waren. In Morelia ausgebildete Laienprediger begannen, "das Wort Gottes" der Befreiungstheologen und das neuerworbene Wissen um Selbstorganisierung, Landwirtschaft und Häuserbau in die entlegeneren Gemeinden zu tragen. Für die Indianer der Region wurde Morelia zum kulturellen und politischen Zentrum, bereits einmal versuchten sie vor etwa 25 Jahren, den Sitz des offiziellen Landkreises von Altamirano nach Morelia zu holen.

So war die Entscheidung, Morelia zum Sitz des Autonomen Landkreises zu ernennen, auch unumstritten. Dabei sieht das ländliche Morelia mit seinen Wegen aus grünem Rasen und festgetretener Erde, die der Regen regelmäßig in Schlammgruben verwandelt, gar nicht aus wie ein Zentrum eifriger Aktivitäten. Nur etwa 120 Familien, was hier weit über 1 000 Einwohner sind, leben in dem idyllischen Dorf. Doch die Ruhe trügt, das Dorf ist gespalten, etwa 60 Prozent der Familien gehören zur Basis der EZLN, die anderen nicht oder nicht mehr. Einige haben die Organisation verlassen, weil dem ständigen Verfolgungsdruck nicht standgehalten haben.

"Es gibt Brüder, die nicht richtig klarsehen und sich dann mit 200 Peso oder einem Versprechen auf ein Haus zufrieden geben", erklärt Abel. "Die Regierung versucht, die Organisation zu zerstören, aber wir glauben nicht, daß es gelingen wird." Im Dorf sind die regierungstreuen Familien leicht zu erkennen, sie haben kleine Steinhügel vor ihren Häusern aufgehäuft und warten nun seit Monaten darauf, daß die Regierung ihr Versprechen einlöst, ihnen die weiteren benötigten Materialien für ein neues Haus zu spenden. Mittlerweile wenden sich auch Regierungsanhänger an die autonomen Instanzen.

Udiel, der Präsident des Landkreises, erklärt das so: "Wir haben gesehen, daß die Regierungsbehörden nicht gerecht sind. Sie lösen deine Probleme nicht, sie wollen einfach nur viel Geld haben. Selbst wenn du nichts getan hast, dann suchen sie einen falschen Zeugen, um dich übers Ohr zu hauen." Bei den autonomen Instanzen sei dies anders, "es kommen auch PRI-Anhänger zu uns und bitten uns, Recht zu sprechen, denn unsere Gesetze sind für alle gleich, egal welcher Partei oder Religion sie angehören".

In fast jeder indianischen Gemeinde befindet sich ein betonierter Basketballplatz. Dabei wird in Morelia eigentlich Fußball großgeschrieben. Im Juli veranstaltete die PRI sogar ein großes Wahlkampffest im Dorf und führte ein Fußballturnier durch. Die Teams aus Morelia und "7 de Enero" belegten den ersten und zweiten Platz. Die PRI-Anhänger verließen daraufhin wütend das Fest und der PRI-Kandidat mußte die mitgebrachten Preise zähneknirschend den Zapatisten übergeben und seine vorbereitete Rede vor wenigen Dutzend Zuhörern halten. Den Fußballplatz haben die Dorfbewohner selbst hergerichtet, der Basketballplatz wurde hingegen - wie in allen anderen Gemeinden Chiapas - im Rahmen eines nationalen Programms zur Entwicklung benachteiligter Regionen gebaut. Keine der Gemeinden hat fließendes Wasser, nahezu keine verfügt über feste Straßen, und nur in einigen wurde Strom verlegt, doch ein Basketballplatz findet sich überall.

Die Marginalisierung drückt sich nicht nur in der fehlenden Infrastruktur sowie in der unzureichender Ernährung und Gesundheitsversorgung aus, sondern auch in der fehlenden schulischen Bildung: 53 Prozent der indianischen Bevölkerung Chiapas gelten als Analphabeten. "Wenn du mehr lernen willst, dann macht die Regierung dir das schwer", berichtet Udiel, "sie sagt, daß es nicht gut sei, die Indianer auszubilden, es sei besser, sie lebten weiter so wie bisher. Deshalb werden wir jetzt im Bereich Erziehung viele junge Männer und Frauen ausbilden, damit sie die offiziellen Lehrer ersetzen können. Das ist die Wurzel der Autonomie."

Schulen mit Lehrern, die in den eigenen Sprachen lehren, sind neben der Produktion ein zentraler Bestandteil der Vorhaben der Autonomen Gemeinden. Und hier scheinen mehrere Zeitalter nebeneinander zu existieren: In einigen wenigen größeren indianischen Gemeinden haben die zapatistischen Autoritäten mit internationaler Unterstützung sogar Computerschulen aufgebaut. Ebenfalls breit angelegt verläuft der Aufbau eines eigenen Gesundheitssystems, in Kursen und Seminaren werden Krankenpfleger und Laienärzte ausgebildet.

Zwischen Mai und Juni 1998 ließ die chiapanekische Regierung vier Autonome Landkreise mit einem großen Polizeiaufgebot besetzen und die lokalen Autoritäten inhaftieren. Die vorerst letzte Aktion traf am 10. Juni 1998 El Bosque, dabei kamen acht Dorfbewohner und zwei Polizisten ums Leben.

Die Bedrohung durch die Armee ist ständig präsent, über den zapatistischen Gemeinden finden mehrmals täglich Überwachungsflüge mit Hubschraubern und Militärflugzeugen statt: "Die Helikopter und Flugzeuge kommen jeden Tag und jede Nacht und patrouillieren über dem Dorf. Sie fliegen ganz niedrig über dem Aguascalientes. Früher hatten wir große Angst, aber jetzt nicht mehr. Wir rennen raus und verhindern, daß sie auf den Feldern landen, wir nehmen lange Holzstangen mit, damit sie nicht landen können", erzählt Juana, denn "immer wenn die Soldaten kommen, dann müssen alle Männer weg und flüchten in die Berge", fügt Maria hinzu.

"Wenn die Armee kommt, dann werden die Kinder krank, bekommen Fieber, Durchfall oder Schmerzen. Daher müssen wir die Soldaten vertreiben, wenn sie kommen." Die Frauen haben auch in der Verteidigung der Dörfer eine entscheidende Rolle übernommen, sie sind mittlerweile hervorragend organisiert und verhindern immer wieder mit bloßen Händen, Stöcken und Steinen das Eindringen der Armee. "Am 8. Januar kamen sie mit zehn Lastwagen", berichtet Juana, "sie stellten sie an der Straße ab und liefen hier ins Dorf. Wir sahen die Soldaten und rannten aus unseren Häusern, um sie rauszuschmeißen, und sagten ihnen, daß wir sie hier nicht wollten. Sie sagen, sie kämen, um soziale Dienste zu leisten und Vorräte zu bringen, aber wir glauben das nicht, denn sie kommen mit Waffen, und deshalb sagen wir ihnen wir wollen das nicht. Wir brauchen keine sozialen Dienste und Vorräte von der Armee. Wir brauchen keine Armee."

Das Beispiel von Morelia hatte wieder einmal Vorbildcharakter, wie die junge Zapatistin Ana erzählt: "Nicht nur hier schmeißen die Frauen die Soldaten raus, sondern überall. Das ist in allen Gemeinden so organisiert, denn wir als Indianer brauchen keine Soldaten und daher müssen wir uns selbst verteidigen. Das haben auch die armen Genossinnen in Diez de Abril getan, sie gingen zur Straße, um den Soldaten den Weg zu versperren. Aber die Soldaten haben mit Gas geschossen, manche konnte nicht mehr aufstehen, andere wurden ins Gesicht geschlagen."

Wie lange diese Situation des nicht erklärten Krieges für die indianischen Gemeinden noch auszuhalten ist, bleibt offen. Viele Gemeinden glaubten, mit dem Aufstand von 1994 ihre Situation bald verbessern zu können, sie schenkten auch den Worten der Regierung über Verhandlungen Vertrauen und votierten deswegen schließlich für einen Waffenstillstand. Doch fast fünf Jahre später hat sich ihre Situation lediglich verschlechtert und auch die Verhandlungen wurden ohne Ergebnis abgebrochen.

"Die Regierung sagt, sie erfüllt die Verträge von San Andres, aber das einzige, was sie erfüllt, ist, die indianischen Genossen zu ermorden, sie einzusperren, sie verschwinden zu lassen", erzählt Pablo verbittert. "Die Regierung akzeptiert uns nicht, sie will uns nicht anerkennen. Sie will nur fünf Autonome Landkreise anerkennen. Damit sind wir aber nicht einverstanden. Aber sie greifen uns auch an, mit Flugzeugen, Hubschraubern, Armee, Polizei, das ist das, was die Regierung macht. Es ist hart, die Regierung erzählt eine Sache, aber macht eine andere, die Soldaten versuchen immer, in unsere Gegend zu kommen. Aber wir werden das nicht zulassen und uns auch nicht ergeben." Mittlerweile wird auch in der Nähe Morelias der Aufbau von regierungstreuen paramilitärischen Gruppierungen vermutet. Einmal die Woche, so heißt es, schaue ein Armeeangehöriger vorbei, der sich als Ingenieur ausgebe und sich mit einigen PRI-Anhängern treffe.

Ökonomische Benachteiligung, Inhaftierungen, Vertreibungen, Paramilitärs - die Liste scheint endlos. Die mexikanische und die chiapanekische Regierung versuchen mit allen Mitteln, Druck auf die Autonomen Landkreise auszuüben. Zuletzt wurde dem Dorf "Moisés Gandhi", dem Sitz des Autonomen Landkreises "Ernesto Che Guevara", die vom Landwirtschaftsministerium bereits vor drei Jahren zugesagte Übergabe von 6 800 Hektar Agrarland verweigert: Der Autonome Landkreis solle sich zuerst selbst auflösen.

Gelingt es den Zapatisten mit der anvisierten Volksbefragung zu der verfassungsrechtlichen Verankerung der indianischen Rechte nicht, wieder eine Dynamik zu erzeugenund erneut ein nationales Interesse an der Situation in Chiapas zu erwecken, so spricht die Situation stark dafür, daß sich der auf Krieg setzende Flügel der mexikanischen Regierung durchsetzen könnte. Dabei könnten allerdings auch jene Militärstrategen, die auf ein schnelles Zerschlagen der Zapatisten setzen, eine Überraschung erleben.