Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Jupp Derwall ist ehemaliger Bundestrainer

Auf der Bank. Mit gemischten Gefühlen - wer verliert schon gern gegen die DDR? Wer verliert überhaupt gern? Erst im nachhinein hat sich herausgestellt, daß sie uns der liebste Gegner gewesen war. Wegen dieses Spiels brauchten wir in der nächsten Runde nicht gegen Holland und Brasilien anzutreten.

Aber daran hat damals keiner gedacht. Nach dem Sparwasser-Tor wurden bei der Mannschaft der DDR neue Kräfte frei. So ein hartnäckiger Gegner! Da hatten wir keine Chance mehr, zu gewinnen. Netzer saß das erste Mal auf der Bank. Er und Overath waren Konkurrenten. Beide zusammen konnten sie ja nicht auf den Platz. Dachte man wenigstens. Denn Müller und Seeler hatte man ja 1970 auch zusammen spielen lassen. Ob Netzer gegen die DDR von Beginn an besser gewesen wäre? Ja, wer kann das heute sagen.

Es war eine schwere Zeit. Fast wie heute: In der Vorbereitungsphase gibt es immer Probleme, einen anderen Rhythmus, vielleicht ein anderes Klima Ö Und dann kommen Gegner, die sich darauf freuen, einem ein Bein zu stellen. Wir sind heute im Umbruch, man muß neue Spieler suchen. Deswegen war es gut, daß die Florida-Reise gemacht wurde. So kann man rauskriegen, wer überhaupt in Frage kommt.

Zurück zu 1974. Ich bin zusammen mit Helmut Schön ein paar hundert Meter zur Pressekonferenz gegangen. Wir haben nicht miteinander gesprochen. Ich konnte aber fühlen, was er dachte. Er ging dorthin wie zu seiner eigenen Hinrichtung. Er hat dann das Beste aus der Pressekonferenz gemacht. Die Aussprache mit der Mannschaft in der Sportschule Malente - da waren wir im Trainingslager, weil wir ja zwei Spiele in Hamburg hatten - hat die ganze Nacht gedauert. Wir haben auch das eine oder andere Glas Bier getrunken. Am nächsten Morgen war ich froh, daß ich nach Kaiserau fahren konnte. Dort mußte ich Quartier machen, wir spielten ja dann in Düsseldorf gegen Schweden. Auf der Autobahn bin ich zu schnell gefahren, so fürchterliche Gedanken hatte ich wegen der Niederlage. Von der Polizei bekam ich deswegen ein Protokoll. Denen habe ich dann geschrieben, ich hätte mir so schreckliche Gedanken gemacht, der Grund sei ja bekannt. Die hatten ein Einsehen mit mir. Ich mußte nichts bezahlen. Ein Glück!

Die Mannschaft kam am übernächsten Tag. Ich bin nicht stolz auf das, was ich jetzt zu sagen habe. Als Assistent trainierte ich damals die Mannschaft. Und die habe ich eine dreiviertel Stunde laufen lassen, in Dreierreihen immer um den Platz rum. Ich habe mit keinem ein Wort gesprochen - Trainer sind manchmal grausame Menschen. Aber davon wurden die Köpfe wieder frei. Gemault hat nur Wolfgang Overath. Der lief nicht gern im Training, sondern lieber auf dem Platz, das fand er effektiver. "Unmöglich!" hat der gemosert. Dann ordnete ich aber ein kleines Spielchen an, und siehe da, die Laune wurde besser. Overath lieferte dann ein fantastisches Spiel gegen Schweden.

Ja, das Sparwasser-Tor war schon eine bittere Pille. Gegen die DDR-Auswahl hatten wir nie gespielt. Die DDR schlägt uns? Das war so unwahrscheinlich, daß von uns nie jemand nach drüben gefahren war, um die Mannschaft zu beobachten! Dem Trainer der DDR, Buschner, bin ich später auf Lehrgängen der Uefa begegnet. Naja, in die Arme gefallen sind wir uns nicht gerade. Und Sparwasser? Das war schon ein toller Kerl. Das ist er heute noch.