Partnership ohne Partner

Auf der Konferenz des UN-Weltbevölkerungsfonds in Den Haag wurde eine neue Harmonie zwischen NGO und Regierung zelebriert

"Doomsday scenarios are passé" - der Weltuntergang findet doch nicht statt. Journalisten sollten, statt von "Überbevölkerung" und "Bevölkerungskontrolle" zu schreiben, besser neue Worte wie "Stabilisierung oder Verlangsamung des Bevölkerungswachstums" benutzen. Das empfiehlt jedenfalls die Pressemappe für das erste Nachfolgetreffen der UNO nach der Weltbevölkerungskonferenz von 1994 in Kairo.

Auf einer NGO- und einer Regierungskonferenz vom 6. bis 12. Februar in Den Haag bemühte sich der UN-Weltbevölkerungsfonds (UNFPA) mit Erfolg, die Beiträge des weitverzweigten Population Establishments sowie der anwesenden Frauengesundheitsorganisationen zu einem Konsens zu führen.

Der Eindruck eines Treffens besorgter Weltbürger entstand, die sich gemeinsam um die "Bevölkerungsfrage" und um die "reproduktive Gesundheit" von Frauen bemühen, deren Hände aber durch mangelnde Finanzmittel gebunden sind.

Grundlage dieser Harmonie ist der "Konsens von Kairo". Der war 1994 auf der Weltbevölkerungskonferenz in einem Aktionsprogramm zu Papier gebracht worden und wurde nun in Den Haag auch inhaltlich nicht mehr zur Debatte gestellt. In einer strategischen Allianz hatte damals die Lobby der Bevölkerungskontrolle weiter gefaßte Kriterien für eine reproduktive Gesundheitsversorgung unterschrieben, als sie der bisherige Familienplanungsansatz beinhaltet hatte, und sie verpflichtete sich dem Prinzip der reproduktiven Rechte, d.h. der Entscheidungsfreiheit von Frauen über ihre Fruchtbarkeit. Im Gegenzug stellte ein Teil der internationalen Frauengesundheitsbewegung eine grundsätzliche Kritik am Rahmen der Bevölkerungspolitik zurück, um sich in der Zusammenarbeit mit der Bevölkerungslobby ihre Frauengesundheitsprogramme finanzieren zu lassen.

Auf der Seite der Bevölkerungslobby wurde das strategische Moment dieser Allianz in Den Haag offen formuliert. So läßt sich die Rede des niederländischen Nato-Botschafters Nicolaas Biegman, der wegen seines Verhandlungsgeschicks als UN-Vizepräsident auf der Konferenz in Kairo den Spitznamen "Mr. Population" trägt, wie folgt zusammenfassen: Mit dem Ziel der "reproduktiven Gesundheit" verzichte man auf einige bevölkerungspolitische Ziele, um andere bevölkerungspolitische Ziele besser erreichen zu können.

Dementsprechend ließ es sich die UNFPA auch in Den Haag nicht nehmen, die Erfolge von Kairo in Zahlen zu bemessen: Die durchschnittliche globale Fruchtbarkeitsrate sei seit 1994 von 3,0 auf 2,8 Kinder pro Frau reduziert worden. Auch das klassische optische Element fehlte nicht: In einer riesigen Papp-Sechs gefolgt von neun großen Nullen zeigte eine Weltbevölkerungsuhr zwischen vier und fünf Geburten pro Sekunde an und wies darauf hin, daß die Geburt des sechs-milliardsten Weltbürgers bedrohlich nahe sei.

Während sich das Population Establishment offensiv zum strategischen Moment der Allianz bekannte, präsentierte sich die andere Seite eher messianisch als strategisch. Auf den Plenarsitzungen des NGO-Forums präsentierte sich unter dem Namen Hera eine Gruppe von bereits langjährig auf dem bevölkerungspolitischen Feld aktiven feministischen Expertinnen als Repräsentantin der Frauengesundheitsbewegung. Sie zelebrierten den Begriff der "partnership" zwischen NGO und Regierungen als Schlüssel ihrer Strategie, ohne diese jedoch mit Inhalt zu füllen. Die national sehr unterschiedlichen Erfahrungen im Machtspiel zwischen staatlicher Gesundheitspolitik, privaten Familienplanungsorganisationen und der Frauenbewegung besprachen sie nicht.

Statt dessen wurde die tatsächlich erstaunliche rhetorische Flexibilität der Bevölkerungslobby, der Begriffe wie "reproduktive und sexuelle Gesundheit" inzwischen fließend über die Lippen gehen, gefeiert. Die Hera-Sprecherin Rachel Kyte stellte klar, daß der Konsens von Kairo auch bei noch so vielen Schwierigkeiten in der Praxis nicht in Frage gestellt werden dürfe: Kairo sei ein Kind, das man auch lieben müsse, wenn es sich schlecht benehme.

Dieses schlechte Benehmen wurde jedoch nicht im Plenarsaal, sondern nur in einigen kleinen Workshops verschiedener Frauennetzwerke wie Wedo und Dawn präsentiert: Im Vordergrund ihrer Veranstaltungen stand die Frage, wie eine Verbesserung der Gesundheit von Frauen überhaupt zu erreichen sei, wenn weltweit Strukturanpassungsprogamme und neoliberale Politik die Verarmung von Frauen und den Abbau bzw. die Privatisierung öffentlicher Gesundheitssysteme zur Folge hätten.

Drastisch stellte Oksana Kisselyova aus der Ukraine die Folgen des Abbaus des Gesundheitssystems für Frauen dar: Die Reduktion des Gesundheitsetats von 9,3 Prozent (1992) des staatlichen Haushaltes auf 2,1 Prozent (1999), von 1271 Krankenhausbetten pro 10 000 EinwohnerInnen (1992) auf nur 70 (1997) und die Entlassung von 97 000 Angestellten vor zwei Jahren habe zu einer Steigerung von Mütter- und Kindersterblichkeit und zu einer Verringerung der durchschnittlichen Lebenserwartung geführt.

Weiterhin belegten verschiedene Vertreterinnen, daß sich zwar die Titel der bevölkerungspolitischen Programmegeändert hätten, nicht aber deren Praxis. In vielen Ländern steht die Durchsetzung langfristiger Verhütungsmittel und Sterilisationen immer noch im Zentrum. So berichtete Nasreen Huq aus einer Frauenorganisation aus Bangladesh, daß die UNFPA nicht nur in Bangladesh, sondern auch in anderen südostasiatischen Ländern das Hormonimplantat Norplant massenhaft unter den NGO verteile und diese unter Druck setze, den Frauen das fünf Jahre wirksame Implantat nicht vor Ablauf der Zeit wieder herauszuoperieren - damit sich der Einsatz des teuren Medikamentes auch lohne.

Auch eine Studie der malayischen Frauenorganisation Arrow über acht südostasiatische Länder kam zum Schluß, daß sich in Ländern wie Indonesien, Fidji oder Malaysia nur die Titel, nicht aber die Inhalte der Programme geändert haben.

Die Länderbeiträge in den Workshops standen jedoch unvermittelt nebeneinander, ohne daß eine Strategie des Protestes auf der Konferenz ausgearbeitet wurde. Sowohl Dawn als auch Wedo scheinen den Schwerpunkt ihrer Arbeit eher auf die Ausarbeitung akademischer Studien über die Entwicklungen nach Kairo zu legen. Auch überwog die Frage, wie das Kairoer Programm doch genutzt werden könne, um eine breite Versorgung nicht nur mit Verhütungsmitteln, sondern auch die Betreuung von Schwangeren und Geburtshilfe im Rahmen einer allgemeinen Basisgesundheitsversorgung durchzusetzen - statt das Scheitern dieses breiteren Ansatzes zu analysieren.

Eine Kritik am neomalthusianischen Paradigma der Konferenz, die während der Kairoer Konferenz von verschiedenen feministischen Netzwerken noch lautstark vertreten worden war, formulierte nur noch das Women Global Network of Reproductive Rights auf einem kleinen Workshop am Rande. Die Vertreterinnen wiesen darauf hin, daß sich hinter dem instrumentell eingesetzten Begriff der reproduktiven Gesundheit oftmals nur klassische Praktiken wie z. B. die Sterilisationskampagne von 1996 bis 1998 in Peru verbergen.

Betsy Hartmann, Vertreterin des US-amerikanischen Committee on Women Population and Environment richtete die Aufmerksamkeit auf die Wiederkehr eines aggressiven Neomalthusianismus in den USA, in dem sich die Anliegen der Anti-Immigrationsbewegung und großer Teile der Umweltlobby mit neuen sicherheitspolitischen Szenarien der US-Militärs verbinden. Ein Bündnis von linken Umweltgruppen, Feministinnen und Antirassismusgruppen versucht zur Zeit, dieser Stimmung mit einem kritischen "Call for a New Approach" entgegenzutreten.

Welche Rolle die öffentliche Meinung und die private Bevölkerungslobby in den USA weiterhin für das internationale Szenario spielt, zeigen die finanziellen Relationen: Während die ganze UNFPA-Konferenz darauf angelegt war, die Finanzen der industriellen Geberländer für Bevölkerungspolitik von zur Zeit rund zwei Milliarden US-Dollar jährlich in Richtung auf die in Kairo versprochenen 5, 7 Milliarden zu heben, kündigte Microsofthersteller William Gates zu Beginn der Konferenz an, 2,2 Milliarden US-Dollar für Bevölkerungsprogramme bereitzustellen - die wohl historisch größte Summe in der Welt der privaten Spenden überhaupt. Das Geld soll in Absprache mit der UNFPA von der William H. Gates Foundation investiert werden.