Metall-Tarifkonflikt

Goldene Zeiten

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Bald könnte es wieder soweit sein. In aller Herrgottsfrühe stehen die Metaller, in dekorative rote Plastiksäckchen gekleidet, kämpferisch vor den Toren ihrer schwäbischen oder bayerischen Betriebe. Sollte der letzte Schlichtungsversuch unter der Leitung des Mehrzweckfunktionärs Hans-Jochen Vogel (SPD) scheitern, beginnt vermutlich einer der letzten Arbeitskämpfe des Jahrzehnts. Doch wie immer der Konflikt auch ausgeht, das "Goldene Zeitalter" (Eric Hobsbawm) des Kapitalismus, die sozialdemokratische Integration durch Sozial-leistungen und steigende Löhne, ist vorbei.

Schon seit Jahren hat die Vereinigung der Proleten und Angestellten nicht mehr viel zu melden. Allein seit 1993 sind die Nettoeinkommen um rund sieben Prozent gesunken. Hingegen kletterten die Unternehmensgewinne allein in diesem Jahr um 21 Prozent in die Höhe. Tendenz: weiter steigend - von 16 Milliarden Mark (1997) auf 31 Milliarden Mark im Jahr 2000.

Hinzu kommt die Auflösung der Tarifstrukturen. In Ostdeutschland sind gerade noch 20 Prozent der Beschäftigten vertraglich eingebunden; Gehälter, die oft nur knapp über der Arbeitslosenhilfe liegen, gelten als normal. Und wer einen neuen Job gefunden hat, pfeift in der Regel auf die Gewerkschaft. Die neuen "Selbständigen" und prekär Beschäftigten treten, wenn überhaupt, nur noch der Krankenkasse bei. Streik ist für sie ein Wort aus einem anderen Leben.

Die Nachfrage nach der Ware Arbeit(skraft) sinkt auch in anderen europäischen Ländern. In Großbritannien versuchen die trade unions mühsam, wenigstens die sozialen Mindeststandards einzuklagen, die einmal vor zwanzig oder dreißig Jahren galten. In Frankreich ist der Organisationsgrad der syndicats einer der niedrigsten im westlichen Europa.

Noch drastischer ist die Situation in den zukünftigen östlichen EU-Beitrittsländern. In Mitteleuropa werden rund 60 Prozent der Einkommen in informellen Beschäftigungsverhältnissen erzielt. In den ökonomischen Musterländern Polen und Ungarn kostet die Arbeitsstunde rund fünf Mark - und erreicht damit nicht einmal die Hälfte des Niveaus von Portugal.

Es ist der reine Hohn: Von Lissabon bis Warschau gilt es heute schon als verwegen, ein Gehalt zu fordern, das keinen realen Lohnverlust bedeutet - und die kontinuierliche Verschlechterung nicht als ein quasi übergesellschaftliches Phänomen zu akzeptieren. Statt dessen gilt es zunehmend als natürlich, die Antwort in nationalistischen Parolen zu suchen.

Mehr als ein Jahrzehnt wurden die Standortparolen eingetrichtert - und mit Verständnis aufgenommen. Wer über seine Verhältnisse lebt, der wird eben mit Verlust des Arbeitsplatzes bestraft. Deutsche Arbeiter müssen, so heißt es, fleißiger sein als die anderen, um auf dem gemeinsamen Markt bestehen zu können.

Ähnlich argumentiert jetzt auch der Chef des Argeitgeberverbandes Gesamtmetall, Werner Stumpfe. Oder Monsieur Euro, Wim Duisenberg, Chef der Europäischen Zentralbank: Wegen der "drohenden Rezessionsgefahr aus den Emerging Markets" (Financial Times) seien hohe Lohnabschlüsse nicht sinnvoll, sagte Duisenberg letzte Woche. Auch der ideelle Gesamtdeutsche, Bundeskanzler Gerhard Schröder, pflichtet bei: Ein Streik sei wegen der Konjunkturentwicklung nicht mehr zu vertreten.

Der Arbeitskampf im ökonomisch stärksten Land der EU ist tatsächlich für die gesamte Union von Bedeutung. Es ist kein Zufall, daß der Tarif-Konflikt seinen Schwerpunkt im fetten Süden hat, im Schwabenland und in Bayern. Dort ist die IG Metall traditionell stark, sind die Streikkassen voll, die Unternehmen auf dem Weltmarkt erfolgreich. Wenigstens dort, in einer der reichsten Regionen Europa, will die IG Metall die Talfahrt der Löhne stoppen.

Wenn das selbst dort nicht gelingt, wird es in anderen Regionen erst recht nicht möglich sein. Dann sind die "goldenen Zeiten" endgültig vorbei.