Riots in Saddam City

Der Low level-Krieg im und über dem Irak wird zum Dauerzustand

Haben sie, oder haben sie nicht? Und: Können sie überhaupt, oder können sie nicht? Stolz meldete die irakische Flugabwehr jedenfalls am Samstagmorgen, sie hätte über der südlichen Flugverbotszone ein "westliches Militärflugzeug beschossen und getroffen". Nur ob der Flieger auch abgestürzt sei, das wußten die irakischen Militärs nicht so genau.

Das Dementi aus Washington folgte schnell, sicher und ebenso stolz: "Der Bericht ist falsch. Alle Morgenflüge waren ereignislos", erklärte Pentagon-Sprecher Mike Byers. Auch die britische Seite meldete, keines ihrer Kampfflugzeuge zur Überwachung der Flugverbotszonen sei getroffen worden. Der Irak spiele sich nur auf. Bereits Anfang der Woche hatte der irakische Präsident Saddam Hussein gedroht: "Wir können die feindlichen Fliegerbasen angreifen." Damit waren insbesondere die Nachbarstaaten Saudi-Arabien und Kuwait gemeint. Denn von dort aus würden von US- und britischen Jets immer wieder Objekte im Süden des Irak angegriffen, allein am Montag seien in den Provinzen Dhi Kar, Missan und Basra fünf Menschen getötet und mehr als 20 verletzt worden.

"Wir vermögen mit der Hilfe Gottes und der Unterstützung der Söhne der ruhmreichen arabischen Nation, besonders der national gesinnten Leute in Kuwait und Saudi-Arabien, die feindlichen Angreifer samt ihren Mitteln zu zerschlagen", hatte Hussein bereits am 14. Februar getönt. Einer seiner Vizepräsidenten durfte am nächsten Tag konkretisieren, was geschehen würde, wenn sich die metaphysischen und die national gesinnten Kräfte wider Erwarten doch nicht als Iraker zu erkennen gäben: Dann nämlich würde "der Irak sich selbst darum kümmern".

Doch diese Drohung, die auf einen möglichen Einsatz irakischer Mittel- und Langstreckenraketen anspielt, rief nur Gelächter hervor: Warum "solche Waffen, falls Saddam sie denn hat, nicht schon in früheren, bedrohlicheren Zwangslagen" eingesetzt worden seien, fragte beispielsweise schnippisch die Neue Zürcher Zeitung. Und auch in US-Regierungskreisen sei man "very amused" gewesen, legte die Washington Post nach. Dabei ist sich die US-Regierung sicher, daß der hartnäckige Gegner Irak in der Wüste noch mehrere Scud-Raketenstationen verborgen hält und diese einsetzen könnte. Aber eine Gefahr gehe von diesen wegen der in Kuwait und Saudi-Arabien stationierten Patriot-Luftabwehr-Raketen noch lange nicht aus.

Sicherheitshalber wurden im Januar auch in der Türkei Patriot-Waffen stationiert. Der Irak gibt sich dennoch großkotzig wie immer: Vizepräsident Taha Jassin Ramadan erklärte vergangene Woche im irakischen Fernsehen, Bagdad sei durchaus in der Lage, "die Lasterhöhlen des Bösen auch in der Türkei auszuräuchern".

Immerhin bezeichnet man im Pentagon die kleinen Scharmützel mit dem Irak mittlerweile als "low-level war", bei dem "kein Ende in Sicht" sei. "Bombe. Rakete. Bombe. Hey, es sieht nach einem Krieg aus", hatte auch die US-Tageszeitung New York Times bereits einen Tag vor den Treffer- und Fehlermeldungen aus Bagdad und Washington festgestellt. "Noch gar nicht lange ist es her, da beschwerten sich Air-force-Piloten (...), daß ihre Mission zur Routine geworden sei: Monoton in der Flugverbotszone Loopings drehen und dabei auf Feindseligkeiten warten, die niemals kommen." Aber seit der vergangenen Woche sei es wieder spannend geworden. Die Piloten müßten nun "Iraks aggressiver Luftabwehr ausweichen und mit Strafschlägen ihrerseits antworten".

Längst geht es aber nicht nur im Luftraum der Flugverbotszonen im Norden und Süden des Irak wild zu. Durch ein klassisches drive-by-shooting kamen am Freitag im südirakischen Najaf der schiitische Ayatollah Mohhammad Sadiq al-Sader und seine beiden Söhne ums Leben. Wie viele Oppositionsgruppierungen sogleich vermuteten: ein Anschlag im Auftrag der Regierung - auch wenn diese ihrerseits nicht näher bezeichneten "ausländischen Geheimdiensten" die Schuld zuschob.

Die irakische Regierung hatte al-Sader 1992 zwar selbst zum Obersten Ayatollah von Najaz ernannt - für die Schiiten eine heilige Stadt, weil dort der Schwiegersohn des Propheten Mohammed begraben liegt. In den vergangenen Monaten war aber al-Sader, dessen Cousin - auch ein Ayatollah - im April 1990 von der Regierung Hussein wegen seiner pro-iranischen, islamistischen Ausrichtung hingerichtet worden war, mit dem Regime aneinandergeraten: Nach Angaben des Irakischen Nationalkongresses (INC) hatte er sich geweigert, eine Fatwa auszusprechen oder den "Heiligen Krieg" gegen die USA auszurufen, und außerdem betont, es sei wichtiger, der islamischen Freitagspredigt in der Moschee zu lauschen als Regierungserklärungen in Radio und Fernsehen. Schon eine Woche vor dem Mord hätten Husseins Republikanische Garden und Spezielle Sicherheitstruppen mit Waffengewalt versucht, die Freitagspredigt von al-Sader in Najaz zu verhindern.

Die schiitische Mehrheit gilt in Bagdad nicht erst seit den Aufständen 1991 als Unsicherheitsfaktor. Am Dienstag vergangener Woche berichtete die Nachrichtenagentur AP zudem, in der iranischen Hauptstadt Teheran seien strategische Gespräche zwischen dem hauptsächlich aus südirakischen Schiiten bestehenden Obersten Rat für die Islamische Revolution im Irak und der Kommunistischen Partei Iraks aufgenommen worden, um das Regime in Bagdad zu stürzen. Der INC, ein loser Zusammenschluß vieler irakischer Oppositionsgruppen, bezeichnete al-Sader jedenfalls als "Märtyrer" und "neues Opfer für Islam und Irak".

Noch am selben Tag meldete der US-amerikanische Fernsehsender CNN Aufstände aus Najaf und Bagdad. Mit dem Ruf "Allah ist groß" seien aus der zentralen Moschee der Hauptstadt die Massen herausgestürmt und hätten sich mit den irakischen Sicherheitskräften angelegt. Der Bagdader Vorort Saddam City sei sogar komplett abgeriegelt worden. Der INC berichtete auch von anderen Stadtteilen, in denen besonders starke Kräfte der Republikanischen Garden und der Sicherheitstruppen aufgezogen seien und Schußwaffen gegen schiitische Proteste eingesetzt hätten. Allein in Bagdad sollen dabei am vergangenen Sonntag nach INC-Angaben 27 Menschen erschossen worden sein. Aus Teheran steuerte die islamistische Regierung Irans, die ebenfalls das Regime Husseins hinter dem Mord vermutet, Berichte über mehrere Hundert Verletzte bei.

Allein die irakischen Behörden wollten von den Unruhen nichts mitbekommen haben. Offiziell kämpft man nur auf der außenpolitischen Bühne. Am 14. März will Bagdad versuchen, die in Kairo tagenden Außenminister der Arabischen Liga für sich zu gewinnen. Und vorher leistet bereits Außenminister Mohammad Saed al-Sahhaf bei einer Tour durch acht arabische Staaten Überzeugungsarbeit. Aber nicht ohne Konkurrenz: Seit Sonntag ist auch General Henry Shelton vom Generalstab der US-Armee in der Golfregion unterwegs, um über Sicherheitsvorkehrungen gegen irakische Angriffe zu informieren.