McCarthy im Nacken

Hollywood streitet um den Oscar für Elia Kazan, weil er in den Fünfzigern vor dem HUAC-Tribunal aussagte

Mit Filmen wie "Endstation Sehnsucht" (1951), "Die Faust im Nacken" (1954) und "Jenseits von Eden" (1955) hat sich Elia Kazan längst seinen Platz in der Filmgeschichte gesichert; Marlon Brando und James Dean, die Ikonen des von Lee Strasberg entwickelten "Method Acting", wurden durch die Filme Elia Kazans berühmt; seine filmischen Adaptionen zeitgenössischer amerikanischer Literatur beeinflußten das Gegenwartstheater nachhaltig: Als jedoch die Academy of Motion Picture Arts and Sciences Ende Januar dieses Jahres ihren Entschluß bekannt gab, Kazan mit einem Oscar für sein Lebenswerk auzuzeichnen, wurden kritische Stimmen laut, denn zum Lebenswerk Kazans gehöre eben auch die Denunziation seiner Kollegen.

Die Karriere Elia Kazans, der 1913 mit seinen Eltern in die USA eingewandert war, begann in den dreißiger Jahren am New Yorker Group Theater, einer explizit linken Bühne. Schnell wurde der zwischen 1934 und 1936 der Kommunistischen Partei angehörende Kazan zum renommierten Broadway-Regisseur, der die Stücke von Tennessee Williams und Arthur Miller zur Uraufführung brachte. Der Erfolg in Hollywood ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten. Für "Gentlemen's Agreement", eine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus, erhielt Kazan 1947 seinen ersten Oscar. In den fünfziger Jahren, auf dem Höhepunkt der Hexenjagd von Senator McCarthy gegen vermeintliche und echte Kommunisten, wurde Elia Kazan aufgefordert vor dem von McCarthy errichteten Tribunal, dem sogenannten House Committee on Unamerican Activities (HUAC) auszusagen. Jene, denen man "kommunistische Aktivitäten" nachwies oder auch nur nachsagte, fanden sich auf einer Schwarzen Liste wieder - Berufsverbot in Hollywood.

Kazan sagte aus und verriet acht Kollegen vom Group Theater, aber Kazan nannte nicht alle Namen, nicht die seiner Freunde, nicht John Garfield, nicht Nicholas Ray. Er nannte Namen, die Hollywood schon kannte und kontaktierte die acht vor seiner Aussage. Die Karrieren der Betroffenen, unter ihnen auch der Drehbuchautor Clifford Odetts und Paula Strasberg, waren damit zerstört.

Kazan arbeitete indes unbeirrt weiter. 1954 erhielt er für "Die Faust im Nacken" seinen zweiten Oscar für die beste Regie. In diesem mit insgesamt acht Oscars ausgezeichneten Film, in dem der von Marlon Brando dargestellte Protagonist gegen einen Gangsterboß aussagt, setzte sich Kazan auch mit seinem eigenen Verrat auseinander und rechtfertigte ihn. In einem Interview verglich er sich mit seiner Hauptfigur und bestätigte: "Einige dieser Dinge passierten mir. Ich wurde geschnitten, Leute, die ich gut kannte, sprachen nicht mehr mit mir."

Wenn Kazan, der beileibe kein Einzelfall ist, heute wieder im Zentrum der McCarthy-Debatte steht, hat dies auch damit zu tun, daß der Regisseur in den fünfziger Jahren als Symbolfigur der Linken galt und jene Hollywood-Linken repräsentierte, auf die es McCarthy abgesehen hatte. Mit seiner Aussage distanzierte Kazan sich nicht nur von seinen Freunden, er legitimierte zugleich das System der Ausschüsse und er rechtfertigte die Einrichtung der "Schwarzen Liste". "1952 war Kazan eine enorme kulturelle Autorität", schreibt Joe Hoberman in der Village Voice. "Er war der führende Regisseur am Broadway und ein mit dem Oscar gewürdigter Filmemacher. Wenn es einen Künstler in Amerika gab, der dem HUAC hätte widerstehen und die 'Schwarze Liste' öffentlich machen konnte, so wäre es Kazan gewesen."

In Inseraten in den wichtigsten Branchenblättern riefen nun ehemalige Opfer der McCarthy-Hetze das Publikum dazu auf, bei der Verleihung des Oscars an Kazan "auf den Händen zu sitzen" und nicht zu zu applaudieren. Zu den Initiatoren des Protestes gehören u.a. Abraham Polonsky, Regisseur von "The Force of Evil", und Drehbuchautor Bernhard Gordon, deren Namen auf der Schwarzen Liste gestanden hatten. Sie werfen Kazan nicht nur seine Aussage vor dem Ausschuß vor, sondern argumentieren, daß Kazan sich nie bei seinen Opfern entschuldigt habe, wie dies etwa der Schauspieler Sterling Hayden getan hatte.

Kazan dagegen hat sein Verhalten offensiv verteidigt; kurz nachdem er seine Aussage machte, ließ er in einem Inserat in der New York Times mitteilen, daß er den Kommunismus für eine "gefährliche und fremde Verschwörung" halte, und er forderte: "Liberals must speak out". Jahre später äußerte er sich in einem Interview vorsichtiger, ohne sich jedoch explizit zu distanzieren: "Vielleicht habe ich falsch gehandelt, wahrscheinlich sogar. Aber ich tat es aus keinem anderen Grund, als daß ich dachte, es sei richtig." Zu der aktuellen Debatte, die ihrerseits bisweilen Züge einer Hexenjagd annimmt, hat sich Kazan nicht geäußert. Village Voice hievte Kazan aufs Titelblatt und titelte: "Hollywoods Number One Rat".

Mit der personalisierten Diskussion um die Vergangenheit Hollywoods gerät einmal mehr in Vergessenheit, daß sich die Kommunistenhatz nicht auf die Filmindustrie beschränkte, sondern das gesamte System betraf; Lehrer, Beamte und Gewerkschafter verloren ob ihrer ehemaligen, aktuellen oder auch nur behaupteten Mitgliedschaft bei einer linken Organisation ihre Jobs. Die US-amerikanische Linke wurde systematisch zerschlagen. Aber vielleicht, so träumt Village Voice-Filmkritiker Joe Hoberman, werde Hollywood auch darüber noch einen Film machen. Und vielleicht gewinnt der dann sogar einen Oscar.