Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Marianne Gschwandtner arbeitet als Pädagogin in München

In einer Disco, vielleicht bekam ich sogar in diesem Moment meinen ersten Kuß. Jedenfalls war die Fußball-WM der Beginn meiner Befreiung. Ich hatte einen sehr strengen Vater und durfte bis dahin überhaupt nichts, obwohl ich schon fast 17 Jahre alt war. Erlaubt war: Zur Schule gehen, im Haushalt helfen, Ballettstunden nehmen, Freundinnen besuchen - alles andere war verboten.

Einen Freund zu haben war da natürlich undenkbar, wie auch? Alles wurde kontrolliert, meine Post, meine Telefonate, manchmal rief mein Vater sogar bei Freundinnen an, um nachzuprüfen, ob ich auch wirklich dort war. Ich traute mich bis zu Beginn dieses Sommers 1974 nie, dagegen aufzubegehren.

In diesem Sommer dann aber änderte sich alles. Vielleicht kam ich ein bißchen später in die Pubertät als andere. Ich saß notorisch schlecht gelaunt zu Hause herum, meckerte und motzte über jede Kleinigkeit und war wohl unausstehlich. Und plötzlich wurde ich irgendwann nicht mehr gefragt, wohin ich ging, durfte am Wochenende sogar abends bis halb zehn in die "Ratsschänke", die örtliche Diskothek, und wurde immer weniger kontrolliert.

Warum? Ich weiß es nicht. Vielleicht hatte meine Mutter mit meinem Vater gesprochen und ihn dazu überreden können, mir mehr Freiheiten zu geben. Vielleicht aber, und das kommt mir viel wahrscheinlicher vor, wollte er auch einfach nur seine Ruhe haben - beim Fußballgucken, mein Vater war ein fanatischer Fan der BRD-Elf. Sich auf ein Spiel zu konzentrieren, während im Hintergrund ein mies gelaunter Teenie den Aufstand probt, war wohl zuviel für ihn.

Ich habe ihn allerdings nie danach gefragt, woher dieser Umschwung damals wirklich kam. Am Anfang hatte ich Angst, daß er sich dadurch wieder an seine ursprünglichen strengen Erziehungsmaßnahmen erinnern und alle Freiheiten zurücknehmen würde, später dachte ich nicht mehr oft daran zurück. Denn da hatte ich meine erste große Liebe, er hieß Ralph, in einem sehr mutigen Akt schon zu Hause vorgestellt.

Mein Vater mochte ihn übrigens auf Anhieb, die beiden hatten mehrere gemeinsame Interessen - das hätte mich warnen müssen. Ralph war nämlich im Grunde ein total spießiger Idiot, aber das lernte ich erst später.