Prager Parteilichkeiten

Der Antiziganismus interessiert tschechische Gerichte weniger als die Verfolgung von AntifaschistInnen

Politisch motivierte Gewalt ist in der tschechischen Rechtsprechung ein dehnbarer Begriff. Weil er sich in einer nordtschechischen Kleinstadt gegen Neonazis verteidigte, die Morddrohungen gegen ihn auf Häuserwände gesprüht und seine Mutter angegriffen hatten, ist David Korcak der politisch motivierten Gewalt angeklagt.

Vergangene Woche begann der Prozeß gegen den 19jährigen. Dabei hatte Korcak noch Glück, denn er blieb bis zu Prozeßbeginn auf freiem Fuß. In Prag sitzt Michal Patera, der sich ebenfalls gegen einen Nazi-Angriff verteidigte, seit November 1998 in Untersuchungshaft. Nach der Lesart der Anklagebehörde hat Patera "aus linksextremistischen Motiven eine Gruppe unauffälliger junger Männer angegriffen". Neben Patera und Korcak werden in nächster Zeit noch neun weitere AntifaschistInnen vor Gericht stehen.

Die Anklagen stützen sich auf ein Gesetz, das sowohl politisch motivierte Gewalt als auch "Aufruf zum Klassenkampf" unter Strafe stellt. Danach kann der Aufruf zum Widerstand gegen einen faschistischen Aufmarsch mit dem gleichen Strafmaß geahndet werden wie die Hetze gegen Juden oder Roma.

In der Praxis aber basteln viele Richter an aberwitzigen Konstruktionen, um rassistische Täter freizusprechen. Zwei spektakuläre Fälle aus dem letzten Jahr machte die Internationale Roma-Union bekannt. In Hradec Kralove waren mehrere Skinheads angeklagt, die versucht hatten, eine Gruppe Roma-Kinder aus einem fahrenden Zug zu werfen. Der Richter sprach sie mit der Begründung frei, es könne sich bei der Aktion nicht um eine rassistische Tat gehandelt haben, weil Tschechen der gleichen "indogermanischen Völkerfamilie" wie die Roma angehören würden und ein Angriff auf eine "fremde Rasse" somit nicht gegeben sei.

Noch abstruser wurde es bei einem Verfahren in einer südtschechischen Stadt. Dort standen mehrere Skinheads vor Gericht, die ein Wohnhaus von Roma gestürmt hatten und einen Mann erschlugen. Weil sich dieser mit einem Beil zur Wehr gesetzt hatte, sei die tödliche Skin-Aktion Notwehr gewesen, befand der Richter.

Auch wenn die Täter verurteilt werden, können sie häufig mit der Milde ihrer Richter rechnen: Zwei Männer, die eine 26jährige Roma in Vrchlabi von einer Brücke in den Tod gestürzt hatten, erhielten relativ geringe Strafen von sechseinhalb und achteinhalb Jahren. Und das, obwohl sie ihre Tat vor der Polizei mit den Worten erklärten: "Ihre Haut war zu schmutzig, und sie brauchte eine Wäsche."

Es scheint, als habe die große Mehrheit der tschechischen Gesellschaft an solchen Urteilssprüchen wenig auszusetzen. Rassismus gegenüber den rund 300 000 Roma ist in Tschechien weitgehend gesellschaftsfähig. So wollte der Bürgermeister von Usti nad Labem, Ladislav Hruska, letztes Jahr die Häuser der Roma mit einer hohen Mauer von der übrigen Bevölkerung abtrennen. Damit würde eine gewisse Ordnung eingeführt, versuchte sich Hruska nach Kritik aus dem Ausland zu rechtfertigen.

Seit 1989 haben Skins in der ehemaligen Tschechoslowakei 31 Roma umgebracht. Der alltägliche Rassismus veranlaßte im Sommer 1997 Tausende Roma in der Hoffnung auf einfache Einwanderungsbedingungen, eine kanadische Fluggesellschaft zu belagern. Mehrere Gemeindevertretungen schürten die Auswanderungswelle, indem sie Roma-Familien Zuschüsse für den Flug bewilligten. Bedingung: Diese hatten sich per Unterschrift zu verpflichten, ihre Wohnorte für immer zu verlassen.

Kritisiert wurde dieses Vorgehen vor allem mit dem Hinweis, im Ausland werde ein schlechtes Bild von Tschechien erzeugt, wenn es die eigenen BürgerInnen zur Ausreise ermutige.

Bei soviel etabliertem Rassismus in Tschechien fällt es der extremen Rechten schwer, die bürgerlichen Parteien mit reaktionären Parolen zu übertrumpfen. Die Republikaner bekamen für ihre Losungen "Einführung der Todesstrafe" und "Keine Bevorzugung der Zigeuner" zwar im Wahlkampf viel Zustimmung, verfehlten aber den Wiedereinzug ins Parlament. Die Partei, die sich nebenbei gegen die Rückkehr der Sudetendeutschen wendet, hat sich seitdem in interne Machtkämpfe verstrickt. Militante Neonazi-Bewegungen wie die Patriotische Front und die Patriotische Liga sind hingegen im Aufwind und bemühen sich um internationale Kontakte.

In der tschechischen Provinz treffen sich bei Konzerten Nazi-Musikgruppen aus ganz Europa. Deutsche Neonazis haben die Produktion von Tonträgern, Anhängerzeitschriften, T-Hemden und rechtem Propagandamaterial zunehmend nach Tschechien verlagert. Die Regierung in Prag hat zwar wiederholt erklärt, daß sie schärfer gegen rechte Umtriebe vorgehen wolle. Doch außer einigen wenigen Festnahmen, die eher auf die Beruhigung des Auslandes gezielt schienen, ist bisher wenig geschehen.