»The Future Has No Limits«

Gefährliche Orte LV: Am Tauentzien wurde mit dem ersten Niketown in Europa eine Kathedrale extra für Turnschuhe eröffnet

Nike ist nicht nur eine Marke, Nike ist eine Religion. Bisher konnte man nur die Schuhe tragen, wenn man sich ihr zugehörig zeigen wollte, und die frohe Botschaft wurde in Werbespots verkündet. Doch seit vergangenem Wochenende hat auch Europa einen Tempel. In Berlin eröffnete das erste Niketown.

Verkaufte Nike bisher in Europa einfach nur Schuhe, sonstige Sportartikel und ein Image, hat sich das nun geändert: In Niketown werden die großen Glaubensfragen des späten zwanzigsten Jahrhunderts verhandelt: Drei Streifen oder der Nike-Swoosh? Hier geht es um die Zukunft des Kapitalismus, Abteilung Konsumgesellschaft.

Wem das jetzt alles übertrieben vorkommt, der irrt. Niketown ist tatsächlich aufgebaut wie eine Kirche. Man tritt ein und steht in einem Kirchenschiff, das sich bis zu einer Videoleinwand erstreckt, welche dem Altar entspricht; der ganze Raum ist zweistöckig und verfügt somit über eine Galerie. Links ist eine kleine Kapelle. Sie geht über beide Stockwerke und ist mit hellem Holz ausgekleidet, etwa in der Farbe des Neuberliner Terrakotta vom Potsdamer Platz: Die "Hall of Fame". Sie ist den Heiligen der Siegesgöttin gewidmet, den "fünf größten Athleten der Welt", den Nike-Werbeträgern.

Andächtige Stille herrscht, leise hört man Radiomitschnitte von den großen Wettkämpfen der Großen Fünf. Michael Jordan, Ronaldo, Pete Sampras, Michael Johnson und Marion Jones. Jedem ist eine kleine Vitrine gewidmet, vor die man sich eigentlich nur hinstellen und sie anbeten kann. "Ein Aberglaube. Ein Ritual", ist hier in die Wand gemeißelt, und die Rede ist von Schuhen. "Real oder eingebildet, Rituale geben Athleten einen psychologischen Vorteil", lautet die Inschrift im ersten Stock dieses Andachtsraumes, die man sieht, wenn man die Treppe heraufgestiegen ist und von einem Balkon aus in ihn hineinschaut.

Bei genauem Hinsehen entdeckt man überall in Niketown Sinnsprüche, die mal über Bildschirme flackern, mal an die Wände geschrieben sind. "Wettkämpfe werden im Kopf entschieden" etwa oder "Das Herz ist der einzige Muskel, der immer arbeitet". Zu guter Letzt sind das alles Paraphrasen des Nike-Slogans "Just Do It", der ein so weites Anspielungsfeld aufreißt, daß von einfacher Spontaneität bis zu Übung-macht-den-Meister alles abgedeckt werden kann. "Muskeln wiegen mehr als Fett", "Spiel auf Sieg", "Wer sich bewegt, bewegt andere".

Es gibt auch Slogans, die bestimmten Sportarten zugeordnet sind. "Halt Dich fest oder friß Pflaster", heißt es etwa über dem Bild eines Skateboarders. Und in der Fußball-Abteilung: "Mach keinen Fehler. Nicht einen" und "Herrschen, Treffen, Siegen". Hier bindet sich Darwin noch selbst die Schnürsenkel zu. "The future has no limits" - was auch immer das heißen mag.

Vom Mittelschiff und von der Galerie gehen die verschiedenen Abteilungen ab. Fußball, Golf ("Die Wissenschaft vom Schwung"), Tennis ("Aufschlag für die Zukunft"), Basketball, Laufen, Outdoor-Aktivitäten, Rollerblades und Bergsteigen ("Ein falscher Schritt ist ein langer Weg in den Abgrund").

Bei den meisten Sportarten sind die Herren- und die Damenabteilung voneinander getrennt. Und alles ist von einer Firma. Alles Nike. Schuhe, Sweatshirts, Trainingshosen, noch mehr Schuhe, Brillen, Uhren ("Alles geben. Zeit nehmen"), alle möglichen Schläger von Tennis bis Golf, Sporttaschen, Bälle von Fuß- bis Basketball, Schuhe, Uhren, T-Shirts, Mützen - und überall das Nikezeichen.

In Anbetracht der Beliebtheit von Nike-Sneakers unter den Internetgewinnlern und Kunstschnepfen von Berlin-Mitte wundert es fast, daß es keine Nike-Grafikprogramme oder Installationen gibt. Die braucht aber auch niemand, denn hier ist alles echt und ohne doppelten Boden. Will man etwas haben, gibt der Mitarbeiter es in einen Rechner ein und der gewünschte Schuh kommt mit einem gläsernen Fahrstuhl aus dem Keller heraufgefahren. Der Fußtest-Computer in der Fitneß-Abteilung sieht aus wie ein katholischer Opferstock. Schließlich und endlich hinten, am Ende des Raums noch ein extra Altar: eine ganze Wand nur für Carl Lewis und seine zahllosen Triumphe.

Ursprünglich war zum Eröffnungsempfang ja Michael Jordan angekündigt gewesen - nicht nur der größte amerikanische Sportstar, sondern auch derjenige, der als Webeträger für die Nike-Air-Schuhe wahrscheinlich mehr als irgendwer sonst für den Erfolg des Unternehmens gesorgt hatte. Für den mußte jedoch eben jener Carl Lewis einspringen. "Berlin, make some noise!" rief er und alle, die vorher noch Michael Schumacher oder den Kapitän von Borussia Dortmund eher ignoriert hatten, riefen "Bravo". "Berlin is great. The people are great. I'm having a good time", sagte er noch, und dann war er auch schon wieder weg. Solche einsilbigen Supermänner braucht Nike.

Wo Firmen wie adidas, trotz ihrer Stellung als weltweit operierende Konzerne, immer noch eine mittelständisch geprägte Vorstellung von Qualität haben, die sie ihren Kunden verkaufen - und diese Kunden vor allem als Profi- oder Amateursportler gedacht werden -, ist Nike eben schon ein paar Schritte weiter. Hier werden die Sportler in den Rang von Halbgöttern erhoben und mit allen Attributen von Vollkommenheit versehen, die gesellschaftsübergreifend wirken. Ein Spruch wie "I can accept failure, but what I can't accept is not trying" - am Ende eines Spots eingeblendet und Michael Jordan zugeschrieben - könnte genauso auch auf einem autonomen Antifaplakat stehen oder über dem Sessel des Vorstandsvorsitzenden eines Großkonzerns.

Nike stattet nicht wie adidas gleich fast eine ganze Bundesliga aus, sondern beschränkt sich auf vier Vereine in Europa. Das reicht aber auch, denn es sind Arsenal London, FC Barcelona, Inter Mailand und Borussia Dortmund. Jeder dieser Vereine hat auch ein eigenes Schild in Niketown. Auf die anderen wird verzichtet.

Nun hatte sich Nike ja schon vergangenes Jahr fast die Fußball-Weltmeisterschaft unter den Nagel gerissen, die ja nicht zuletzt deshalb in den USA stattfand, weil der Sportschuh-Markt dort so dermaßen gesättigt ist, daß nur die Einführung und Popularisierung neuer Sportarten den Absatz noch ankurbeln kann. Offizieller Sponsor war zwar adidas, aber Ronaldo und die brasilianische Mannschaft trugen Nike.

Das Berliner Niketown ist das drittgrößte der Welt, nach New York und Chicago, das zwölfte Niketown überhaupt und das erste außerhalb der USA. Und warum Berlin? Warum ist es ausgerechnet die neue deutsche Hauptstadt, in der das erste europäische Niketown eröffnet? Wegen der Nähe von Kultur und Subkultur natürlich, wegen der Loveparade und "weil sich hier 180 Nationalitäten tummeln", erläutert der Chef von Nike Europa. Und genauso sieht das Publikum der Eröffnungsveranstaltung auch aus. Von Berliner Szene-Halbgrößen, wie der HipHop-Gruppe Specialistz über die gesamten MTV-Moderatoren bis zu einem Dutzend afro-deutscher Kids, die aussehen wie die deutsche Jugendmannschaft der NBA-Auswahl, wurde alles zusammengeladen, was irgendwie die Attribute jung, dynamisch, kreativ, multi-, subkulturell und aufstrebend auf sich vereinigen läßt. HipHop statt Hertha.