Dschungelbuch

Der Mörder ist der Zombie

Ein Hoffnungsträger der US-Literatur entpuppt sich als hoffnungsloser Fall. Dale Pecks Galatea sieht aus, wie Europäer sich Kleinstädte vorstellen. Und wo bleibt der Trash-Appeal?

Dale Peck wird in den Vereinigten Staaten hoch gehandelt: Mit 25 Jahren veröffentlichte er seinen ersten Roman "Martin und John", über den die New York Times schreibt, er sei "fast übernatürlich" für ein Debüt; das war 1994. Damit nicht genug, rückte er zwei Jahre später mit dem zweiten Roman "Das Gesetz der Nähe" schon zur Hoffnung der amerikanischen Literatur überhaupt auf.

Und es scheint, als habe er sich für seinen dritten Roman vorgenommen, jetzt das endgültige Meisterwerk vorzulegen, den Roman, der die Epoche abbildet, inhaltlich wie formal, das Buch, das die Probleme des Landes auf den Punkt bringt: Sex, Gewalt, Rassismus, Immobilienspekulation, Halbwissen und alles dazwischen - kurz das, wovon Europäer (und Amerikaner anscheinend auch, denn Peck ist einer) glauben, dass Amerika daran kranke. Und, wie könnte es anders sein: Er scheitert.

Dabei fängt "Schwarz und Weiß" gar nicht einmal schlecht an. Schauplatz ist Galatea, eine Kleinstadt in Kansas. Eigentlich eher ein Dorf, aber ein besonderes. Denn es ist in zwei Hälften aufgeteilt: den älteren Teil, der ausschließlich von Schwarzen bewohnt wird, und den neueren Teil - Galatia - in dem nur Weiße leben. Dies ist schlicht und kompliziert dem Umstand geschuldet, dass die Weißen bis vor einem Jahrzehnt im Nachbardorf lebten, das aber einer Feuerkatastrophe zum Opfer fiel. Danach zogen alle nach Galatia und begründeten dort den neuen "weißen" Stadtteil. (Im Laufe der Geschichte stellt sich dann heraus, dass es ein Anschlag der Großgrundbesitzerin der Gegend war, die die Feuersbrunst inszenierte, um die Baugrundstücke teuer losschlagen zu können).

Die Geschichte beginnt damit, dass ein schwuler New Yorker Schriftsteller - Colin Nieman - und sein Liebhaber Justin, ein ehemaliger Strichjunge - New York verlassen, weil zu viele ihrer Freunde und Bekannten an Aids gestorben sind und sie das Leichenzählen nicht mehr ertragen können. Sie ziehen nach Galatea, wo Nieman ein Haus kauft. (Er nennt sich so, wegen des deutschen Worts "niemand"). Dort will er einen Roman schreiben. Und nun geht es los mit den Unglücken, es passieren einige Morde, eine Vergewaltigung, Justin wird zusammengeschlagen, unerfreuliche Dinge geschehen. Und alles wird Nieman in die Schuhe geschoben.

Peck mobilisiert all die Klischeebilder, die man sich von amerikanischen Kleinstädten macht. Alle Welt hat Geheimnisse, trotzdem weiß jeder alles über jeden. Schwarze können Weiße nicht leiden und umgekehrt. Kein Dorfbewohner kann Schwule leiden, aber keiner sagt es offen. Außerdem sind alle schwer neurotisch, können aber im Unterschied zu Stadtbewohnern damit nicht umgehen, weil ein Anschein von Rechtschaffenheit aufrecht erhalten werden muß.

Außerdem liegt ein dunkles Geheimnis über dieser Stadt. Vor einigen Jahren hat ein weißer Mob einen schwarzen Jungen gelyncht, dem vorgeworfen wurde, er habe ein weißes Mädchen angefaßt. Ob das überhaupt stimmte oder nicht, weiß man nicht, er wurde auf jeden Fall an den Daumen aufgehängt und totgeschlagen. (Um die Komplexität noch zu steigern: der Junge war ein Albino, also weiß). Alle, die an diesem Lynchmord beteiligt waren, haben nach und nach die Stadt verlassen und sind nie wiedergekommen. Gerade als Nieman und Justin in die Stadt ziehen, wird einer der Letzten tot aufgefunden. Und dann wird genau dieses Mädchen vergewaltigt und entführt, und der Verdacht fällt auf die beiden Neuen, genauer auf Nieman.

Das ist alles sehr kompliziert, und nach etwa der Hälfte des Buchs will man eigentlich nichts weiter, als die verschiedenen Handlungsstränge aufgelöst bekommen, zumal in der zweiten Hälfte des Buchs auch nicht mehr viel passiert. Da wird der eine oder andere Liebhaber gewechselt, Indizien werden verstreut, es wird sich unterhalten, Selbstmordversuche scheitern, aber das Buch kommt nicht mehr vom Fleck.

Und wenn man sich komplett verrennt, und überhaupt nicht mehr weiter weiß, lädt man am Besten alle Protagonisten zu einer Familienfeier und lässt ein Unglück geschehen. Genau das macht Peck auch, er inszeniert ein großes Dorffest und lässt das Festzelt abbrennen. Und so kompliziert und verknäult das alles verschlungen ist - Peck findet tatsächlich einen Ausweg, mit dem nicht mehr zu rechnen war: Er lässt den eigentlich ermordet vermuteten Jungen als halbtoten Zombie auftreten, der alle umgebracht hat, um Rache zu nehmen.

Was irgendwann einmal als Versuch einer schwulen Faulkner-Coverversion begann, mit Hang zum Toni-Morrison-haften, endet als versplattertes B-Movie ohne Trash-Appeal. Hier ist alles ernst gemeint, hier geht es um die Probleme Amerikas und nicht etwa

um das heitere Wildern in blutigen Fantasien.

Und "Schwarz und Weiß" kracht nicht nur ziemlich rasch unter der Last des überzogenen inhaltlichen Anspruchs zusammen. Es macht auch formal den Eindruck, als habe Peck es am Reißbrett entworfen, mit der Maßgabe, das Buch solle möglichst modern sein. Ohne dass er den Anspruch dieser Form begründen oder ihn gar einlösen könnte. Das Buch ist multiperspektivisch aufgebaut, jeder Protagonist hat seine eigene Stimme und nacheinander werden manchmal die gleichen Ereignisse aus verschiedenen Sichten geschildert. Doch die Stimmen unterscheiden sich recht wenig voneinander - mit Ausnahme der des schwarzen Strichjungen und dessen Slang wirkt reichlich manieriert - und dem Spannungsbogen ist es auch nicht förderlich.

Gute Schriftsteller schreiben mitunter schlechte Bücher, vielversprechende Autoren gehen des öfteren überambitioniert ans Werk - doch selten kommt es vor, dass ein Buch so komplett daneben geht wie "Schwarz und Weiß" von Dale Peck.

Dale Peck: Schwarz und Weiß. Luchterhand, Hamburg 1999, S. 569, DM 49,80