Dschungelbuch

Apokalypse mit Glam

Die Snuff-Gesellschaft gibt sich den letzten Kick. Bret Easton Ellis betreibt Kulturkritik als physische Erfahrung.

Wollte man die Entwicklung des Werks von Bret Easton Ellis mit drei Sätzen zusammenfassen, würde sich das so anhören: In "Unter Null" und "Einfach unwiderstehlich" wurden Aspekte der spätkapitalistischen amerikanischen Gesellschaft noch auf eine Weise porträtiert, die es zynischen Junglesern möglich machte, sie als Form von - wenn auch kranker - Coolness zu verstehen.

In "American Psycho" ging Ellis dann dazu über, in jeglicher Form von Coolness selbst einen Teil allgemeiner kultureller Krankheit zu sehen. Und in "Glamorama" ist "cool" das Lieblingswort seines Antihelden, und alles und alle sind total krank.

Kapitel 1, der Count-down läuft, wir befinden uns in New York: Would-be-Topmodel und Would-be-Schauspieler Victor Ward beginnt und zerstört eine Clubgeschäftsführer-Karriere, zerstört seine Beziehung zum Supermodel Chlo' Byrnes, wird zusammengeschlagen und ist insgesamt ziemlich am Ende. Da erhält er, vermittelt über eine mysteriöse Figur namens Palakon, den Auftrag, eine Ex-Freundin namens Jamie Fields in Europa zu suchen. Nebenbei hat Ward - recht detailliert beschriebenen - Sex mit zwei Frauen, die nicht seine Freundinnen sind, und ziemlich viele Figuren nehmen ziemlich viel Alkohol, Joints, Koks und Beruhigungstabletten zu sich. Die Namen von zirka 150 Celebrities fallen.

Kapitel 2, ein neuer Count-down läuft: Ward befindet sich auf Luxusliner-Überfahrt nach Europa, lernt eine Frau kennen, die sich als Parttime-Model ausgibt, und ein britisches Ehepaar, das angeblich Restaurants eröffnet. Bei einem Abendessen wollen alle drei nicht fotografiert werden - aha: Konspiration!

Ward nimmt ziemlich viel Alkohol, Joints, kein Koks, aber jede Menge Beruhigungsmittel zu sich. Von dem Parttime-Model läßt sich Ward einen blasen, scheinbar, doch tatsächlich handelt es sich bei seiner Sexualpartnerin, wie später deutlich wird, um ein männliches ehemaliges Topmodel namens Bobby Hughes, das inzwischen Anführer einer Topmodel-Terrorgruppe ist, die in Paris ein Institut für Politikwissenschaften, das Café Flore, das Hotel Ritz und ein Flugzeug (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge) explodieren lässt - und in deren Fänge Ward im Folgenden gerät.

Der Rest in Stichworten: Es fallen die Namen von weiteren zirka 300 (500? 1 000?) Celebrities; ziemlich viele Leute - und Victor Ward sowieso - nehmen ziemlich viel Alkohol, Joints, Koks, Beruhigungstabletten sowie etwas Heroin und Halcion zu sich; Ward hat Sex mit Jamie Fields und Bobby Hughes, wodurch die präzise beschriebenen, aber seltenen Sexszenen um diverse M/M/F-Positionen bereichert werden.

Der Sohn des koreanischen Botschafters und die französischen Premierministersöhne, sowie männliche und weibliche Models werden ˆ la Snuff-Movie ermordet (ziemlich eklig); verschiedene Teams filmen das Geschehen und einander; Palakon entpuppt sich als Geheimagent, Doppelagent, Mehrfachagent, und hinter allem steckt Wards Vater - ein amerikanischer Senator und Präsidentschaftskandidat - und/ oder die Japaner und/oder die Leute, die einige oder gar ziemlich viele Menschen gegen Doppelgänger-Klons ausgetauscht haben - ein Schicksal, das Victor Ward schließlich endgültig ereilt: sic!

Versteht man das Ganze nun als Satire, Anklage oder als paranoiden Science-fiction - ginge es um die Story als Story, wäre "Glamorama" kaum zu goutieren, selbst unter Trash-Gesichtspunkten nicht. Ein Roman, in dem Sätze wie "Sie müssen aber vorsichtig sein ... Alles wird abgehört. Alles ist verkabelt. Alles wird gefilmt" fallen, dürfte nur in Groschenheftform als Krimi oder Psychothriller durchgehen. Als Genreparodie funktioniert das Buch aber auch nicht. Zudem beginnt der Ellis eigentümliche Stil der Zuspitzung, Übertreibung - das nennt man wohl Entstellung zur Kenntlichkeit - und Wiederholung, ein wenig manieriert zu werden. Jede zweite Zeile schreit: Das hier ist ellisesk!

Dass Bruchstücke möglicher Interpretationsansätze, auch die sogenannten kulturkritischen, die Ellis selbst in Interviews gibt, einzelnen Protagonisten in den Mund gelegt werden, ist weniger komplexes Spiel als vielmehr Strategie zur Unangreifbarkeit und Ausdruck totaler Ratlosigkeit. Und schließlich dürfte die Subtilität der von Ellis gewählten Metaphern in "Glamorama" ihren endgültigen Tiefpunkt erreicht haben: In allen Celebrity-Treffpunkten ist es so kalt, dass man den Atem sieht, überall fliegt Konfetti herrum, und es stinkt nach Scheiße. Was hat das wohl zu bedeuten?

Eine literarische Strategie mit kulturkritischen Ambitionen nach der Art von Ellis ist immer in der Gefahr, unter der Maske einer gewissermaßen klinischen Analyse ein zynisches Spiel zu treiben - und diese Gefahr liegt weniger in der Haltung des Autors als vielmehr in der Essenz seines literarischen Stils. Sie ist eine Möglichkeit dessen, was genau die Großartigkeit von Ellis' Schreiben ausmacht - seiner formalen Anverwandlung an die Kultur, die es denunziert, wie der inhaltlichen Aufnahme ihrer Elemente: von der Besessenheit von Markennamen und Prominenten, die bei ihm in der ständig wiederholten ausufernden Auflistung ihrer Aura beraubt werden - offensichtlich eine Überdrehung des Spiels der Medien selbst - bis zu den Snuff-Sequenzen, die auch in "Glamorama" wieder auf das Grausamst-Detaillierteste auftauchen.

Gerade das Problem dieser Folter- und Sex-Szenen - die quantitativ keines der Bücher von Ellis dominieren - macht die intendierte Ambivalenz besonders deutlich. Einerseits hat ihre Skandalträchtigkeit bereits im Fall von "American Psycho" nicht unerheblich zum Verkaufserfolg beigetragen. Andererseits lässt sich ihre Bedeutung nicht auf eine Skandal- und PR-Strategie und gewiß nicht auf eine persönliche Obsession des Autors reduzieren. Ellis zerrt mit ihnen vielmehr etwas ans Licht, das für ihn, der ganzen Logik seines Schreibens nach, Symbolcharakter haben muss. Zeigt sich doch an diesem Beispiel das Zusammenspiel einer allgemeinen kulturellen Besessenheit von Sex, Gewalt und medialer Dokumentation in seiner ekelhaftesten Gestalt.

Seit "Unter Null" ziehen sich denn auch Abtrennungen von Gliedmaßen, Verstümmelungen von Genitalien und Vergewaltigungen von Zwölfjährigen bei Videoaufnahme durch Ellis' Werk wie ein Trauma durch eine Lebensgeschichte. "Glamorama" ist - wenn es auch vielleicht hinter den genialen Miniaturen von "Die Informanten" wie der kühlen Durchkonstruiertheit von "American Psycho" zurückbleibt - ein sehr gutes Buch.

Sein Wert liegt freilich nicht in einer sich bei der Lektüre sowohl aufdrängenden wie von ihr durchkreuzten intellektuellen Kulturkritik mit Leitsätzen wie: "Oberflächlichkeit ist nicht nur das Signum unserer Epoche, sie ist auch der Weg zu sozialem und individuellem Ruin. Distinktionsstrategien machen die Gesellschaft zu einem Schlachtfest der Langeweile. Ruhm und Reichtum machen nicht glücklich. Alkohol-, Drogen- und Tablettennehmen zerrütten psychisch und halten die ganze Scheiße am Laufen. Wer sie jedoch nicht nimmt, ist wahrscheinlich ein Doppelgängerklon (was auch immer das sein mag)."

Diese Kulturkritik ist nicht nur kaum weniger seicht als ihr Gegenstand, sie ist auch, sehen wir einmal vom letzten Punkt ab, so originell wie etwa das Fahren eines VW-Golf. Die Größe von "Glamorama" - wie überhaupt die Singularität des Werkes von Ellis - liegt vielmehr in der beinah physischen Lektüre-Erfahrung, die der Text dem Leser ermöglicht: Nach "Glamorama" ist man so gelangweilt und angeekelt von den Obsessionen dieser Gesellschaft und ihrer medialen Verstärkung, dass man versucht sein könnte, sich im Waschbecken zu ertränken.

Bret Easton Ellis: Glamorama. Aus dem Amerikanischen von Joachim Kalka. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999, 679 S., DM 49,90