Die Seilschaft und der Bergführer

Welche Organisationen haben den Aufstieg des Nationalisten Christoph Blocher begleitet? Die Recherchen von Peter Niggli und Jürg Frischknecht ergeben ein Who's who des Schweizer Rechtsextremismus.

Seit seinem Durchbruch bei den Schweizer Bundesratswahlen vor drei Wochen ist der Name Christoph Blocher auch außerhalb der Schweiz zu einem Synonym für Rechtsextremismus geworden. Wer dem Erfolgsrezept des häufig mit Haider verglichenen Chefs der Schweizer Volkspartei (SVP) auf die Spur kommen will, wird in einem Buch über die rechte Szene der Schweiz fündig, das unter dem Titel "Rechte Seilschaften - Wie die unheimlichen Patrioten den Zusammenbruch des Kommunismus meisterten" beim Zürcher Rotpunktverlag erschienen ist.

Die Autoren Peter Niggli und Jürg Frischknecht, die sich seit Jahren mit dem rechtsradikalen und faschistischen Milieu in der Schweiz beschäftigen und sich mit ihren Recherchen auch immer wieder Ärger eingehandelt haben, spielen mit dem Titel ihrer aktuellen Publikation auf ihr 1987 erschienenes Buch "Unheimliche

Patrioten" an, in dem sie die Hitler-freundliche Haltung maßgeblicher Schweizer Wirtschafts- und Akademikerkreise in den dreißiger und vierziger Jahren untersuchen. "Rechte Seilschaften" hingegen widmet sich der Umstrukturierung des rechten Spektrums seit 1989.

Das heterogene rechte Milieu der Schweiz wird in dem Buch ausführlich vorgestellt, namentlich rechte Verschwörungstheoretiker wie der ehemalige Punkmusiker und Hausbesetzer Jan van Helsing, gewandelte Alt-68er wie Ahmed Huber oder Altnazis wie der Deutsch-Schweizer Artur Voigt, der selbst bei der FDP-nahen Thomas-Dehler-Stiftung einen Holocaust-leugnenden Vortrag halten konnte, sowie die Schweizer Holocaust-Leugner Jürgen Graf, Gerhard Förster und Andreas Studer, die auch über gute Kontakte ins Ausland verfügen. Mit einem umfangreichen bibliografischen Teil, ausführlichem Anmerkungsapparat und Personen- und Organisationsregister eignet sich das Buch hervorragend als Nachschlagewerk.

Niggli und Frischknecht beschreiben die Funktion des antisemitischen Diskurses, der in den letzten Jahren auch in der Schweiz wieder gesellschaftsfähig wurde. So wurde der linkssozialdemokratische Parlamentarier und Autor Jean Ziegler im vergangenen Jahr von einem Kreis ultrarechter Baseler Großbürger bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, weil er mit seinem Buch "Die Schweiz, das Geld und die Toten" "gegen die Sicherheit der Schweiz gerichtete ausländische Unternehmungen und Bestrebungen" begünstigt habe. Auch in der Schweiz ist

der Antisemitismus nicht auf die Rechte beschränkt, wie die bis heute unaufgeklärten Kontakte belegen, die der bekennende Nationalsozialist und Holocaust-Leugner Fran ç ois Genoud zu dem "antizionistischen" Guerillero Carlos unterhalten hat. Wenn die Autoren auch die Politik dieser teilweise obskuren Gruppen und Personen genau analysieren, ist

es doch ihre große Stärke, die rechte Gefahr nicht bei diesen Randgruppen, sondern in der Mitte der Gesellschaft zu verorten.

Deshalb liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf der unter Führung Blochers innerhalb eines Jahrzehnts vollzogenen Umwandlung der bieder-konservativen, im bäuerlichen Milieu verankerten SVP in eine rechtspopulistische Führerpartei mit aggressiv nationalkonservativer Ausrichtung und starker Sogwirkung auf die rechtsradikale und neonazistische Szene.

Dass der Wegfall der Blockkonfrontation ausgerechnet in der neutralen Schweiz solche Auswirkungen haben konnte, wie der Untertitel des Buches suggeriert, vermögen die Autoren nicht stringent zu begründen. Dagegen widmen sich Frischknecht/Niggli vor allem den entscheidenden innenpolitischen Debatten, die den Aufstieg von Blocher in den neunziger Jahren markierten. 1991 trat Blocher das erste Mal als Verteidiger der "alten" Werte an die Schweizer Öffentlichkeit, zu einem Zeitpunkt, als ein groß angelegter Abhörskandal aufgedeckt wurde, von dem vor allem Künstler betroffen waren, u.a. Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Während daraufhin viele Intellektuelle die im gleichen Jahr anstehenden 700-Jahr-Feiern der Schweiz boykottierten und Komitees mit dem Titel "700 Jahre CH sind genug" gründeten und selbst im gemäßigten bürgerlichen Parteienspektrum leise Selbstkritik geäußert wurde, präsentierte sich die SVP als die von keinerlei Skrupeln geplagte Partei der Nation.

"Ein kraftvolles Bekenntnis zur Schweiz in orientierungslosen Zeiten" hieß die Botschaft gegen linke Nestbeschmutzer und bürgerliche Zauderer. Erstmals wurden in SVP-Organen wie dem Zürcher Boten und deren Umfeld wie dem Pressedienst der von Blocher geleiteten nationalkonservativen Bürgerinitiative Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz Töne angeschlagen, wie sie bislang nur in offen rechtsextremen Zirkeln laut geworden waren. 1991 hätten sich die "gesunden" von den "verwahrlosten" Teilen des Volkes getrennt, erklärte Blocher in einer Rede. Der Kulturkampf zielte auf "Künstler und Pseudokünstler", die lediglich fähig seien, "zu zerstören, zu provozieren und zu verneinen", insbesondere auf "die Kulturboykotteure", die "uns einreden, die Schweiz sei das Mieseste, was es auf Erden gebe".

Mit Parolen gegen die EU und dem 1992 durch eine Volksabstimmung verhinderten Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) hat sich Blocher endgültig von den übrigen bürgerlichen Parteien, der "verkommenen, selbstverliebten politischen Klasse", abgegrenzt. Der Kampf gegen die Einwanderer verhalf der SVP zur politischen Hegemonie im rechten Spektrum und gab ihr gleichzeitig ein Dauerthema an die Hand, mit dem sie die anderen Parteien vor sich her treiben konnte.

Der Kampf gegen Drogen und Kriminalität, "Folgen der 68er Kulturrevolution", wurde zu einem weiteren Propagandafeld von Blocher, der sich neuerdings auch als Kämpfer gegen den Abgaben- und Steuerstaat sowie als "Anwalt der Arbeitsamen und Tüchtigen" geriert. In der seit 1996 geführten Debatte um den Umgang der Schweizer Banken mit dem Vermögen der von den Nazis verfolgten oder ermordeten Juden, spielte Blochers SVP die Rolle des Verteidigers der Schweiz vor "amerikanisch-jüdischen Frechheiten", lancierte fein dosierte antisemitische Statements und betätigte sich so als Stichwortgeber für die offen Rechtsradikalen.

Wie bei Haider gehören gezielte Tabu-Brüche zu Blochers Erfolgsrezept. Deshalb ist es auch wenig verwunderlich, dass ihm seine wenige Tage vor der Wahl bekannt gewordene Lobeshymne auf ein Buch des zu einer hohen Haftstrafe verurteilten Holocaust-Leugners Jürgen Graf nicht schadeten. Bei Frischknecht/ Niggli ist nachzulesen, dass Jürgen Graf schon am 24. März 1993 gegenüber der Basellandschaftlichen Zeitung erklärte: "Der Blocher-Flügel der SVP und die Schweizer Demokraten entsprechen meiner Linie." Dem instrumentellen Verhältnis zwischen der Blocher-SVP und dem rechtsradikalen Milieu wird im Buch viel Platz eingeräumt. "Seit sich die Nationale Front abgemeldet hatte, war der Züricher SVP-Präsident erst recht zum Hoffnungsträger auch der rechtsextremen Szene geworden. In ihren Augen ist es unstrittig Blocher, der die nationale Sache vorantreibt, wenn auch leider zu wenig radikal. Blochers asylpolitische Paukenschläge interpretieren die gewalttätigen Rassisten als Bestätigung ihres Anliegens."

Parallel zu Blochers Aufstieg erstarkte der Terror militanter Neonazis. Ihr erstes Opfer war der brasilianische Musiker Jorge Gomes, der im Januar 1989 von betrunkenen Anhängern der Neuen Front erschlagen wurde. Einen Monat später rief die Nationale Koordination, ein Zusammenschluss verschiedener rechtsextremer Splittergruppen alle "patriotischen Kräfte" auf, sich der "Invasion der Schweiz durch Bevölkerungen der Dritten Welt mit aller Kraft entgegenzustemmen". In den folgenden zwei Jahren kam es zu Hunderten rassistischer Anschläge, die insgesamt sechs Todesopfer forderten. In Umfragen äußerten 27 Prozent der Schweizer Verständnis für den Naziterror.

Für Blocher eine neue Gelegenheit, die Dringlichkeit seines Notstandsprogramm gegen Asylbewerber zu begründen. "Wenn wir nicht handeln, werden jedes Jahr mehr Asylanten kommen, dann gerät die Lage außer Kontrolle. Dies führt zu ganz schlimmen Verhältnissen", erklärte er am Höhepunkt des Frontenterrors im Juni 1989 einer Illustrierten. "Die Notstandspolitiker benutzen die Gewalttaten als Argument, um die Dringlichkeit ihrer Forderungen zu unterstreichen", kommentiert Frischknecht eine auch aus der BRD bei der Abschaffung des Asylrechts bekannte Arbeitsteilung.

Peter Niggli /Jürg Frischknecht: Rechte Seilschaften. Wie die unheimlichen Patrioten den Zusammenbruch des Kommunismus meisterten. Rotpunktverlag, Zürich 1998, 780 S., DM 54