Ozeanische Gefühle

»Kunstwelten im Dialog: Von Gauguin zur globalen Gegenwart« im Kölner Museum Ludwig verklärt den Künstler zum Wandler zwischen den Welten und meidet den politisch-ästhetischen Konflikt.

Als der brasilianische Schriftsteller Oswald de Andrade 1928 sein »Anthropophagisches Manifest« veröffentlichte, pries er den Kannibalismus als Methode des Kultur-Transfers und bleckte dabei mächtig die Zähne - ganz nach Art jener bösen Wilden, die die Angstlust-Phantasien der Europäer bevölkerten. Ob Goethe oder Rousseau, Montaigne oder Shakespeare: Je nach Geschmack zubereiten und einverleiben, so die Devise des Südamerikaners. Nach Jahrhunderten der kulturellen Abhängigkeit von den Metropolen war das eine fröhliche Vision, aber auch eine existenzielle Frage. In Anspielung an die Sprache der Tup'nambá-Indianer aus dem brasilianischen Nordosten lautet einer der einprägsamsten Sätze des Manifests: »Tup', or not tup': that is the question.«

In einer Ausstellung, die sich derzeit im Kölner Museum Ludwig mit einem ganz ähnlichen Sujet befasst wie Oswald de Andrade, nämlich mit den Beziehungen, die sich im 20. Jahrhundert zwischen den Künsten Europas und denen der übrigen Kontinente entsponnen haben, ist von der Dramatik eines »Tup', or not tup'« wenig zu spüren. »Kunstwelten im Dialog: Von Gauguin zur globalen Gegenwart« wurde als Auftakt der Ausstellungsserie »Global Art Rheinland 2000« und damit auch als Beitrag zur Kunst-Standortsicherung nach dem Regierungsumzug konzipiert. Schon der Titel der in ihren Ausmaßen überwältigenden Schau (nicht weniger als 450 Exponate von 126 Künstlern werden gezeigt) gibt vor, worum es den Kuratoren unter Leitung von Marc Scheps zu tun ist: um einen Austausch der Künste, nicht um Konflikt.

Begonnen habe dieser Austausch 1891, als Paul Gauguin zum ersten Mal gen Südsee reiste; in der Gegenwart, so die These, werde Dialog zwischen den Künsten vielstimmig und nahezu gleichberechtigt geführt. In diesem Szenario wird das Hybride zum Synonym für »Harmonie«, und der Künstler erscheint wie geschaffen für die Rolle des Global Players: Ob in Teheran oder New York, Guatemala Stadt oder London, Tokio oder der Pine Ridge Reservation in North Dakota - er ist überall zu Hause, flexibel, fähig, sich mit den kulturellen Codes der anderen anzufreunden und mit den eigenen spielerisch-dekonstruierend umzugehen.

Fünf grob chronologisch geordnete Abteilungen umfasst die Schau: Die erste, »Europas Entdeckungen«, zeigt in beeindruckender Materialfülle, wie sich die europäische Avantgarde ihre Anregungen von der so genannten Stammeskunst geholt hat. Von Gauguin über Picasso, Matisse und Mir- bis hin zu Dubuffet ist in dem labyrinthisch angelegten Ausstellungsparcours fast jeder vertreten, der Rang und Namen hat in der klassischen Moderne. Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies spielt eine große Rolle; vor allem für Gauguin war die Suche nach ozeanischen Gefühlen ein entscheidendes Motiv für den Aufbruch. Kurz nach seinem Tod 1903 folgten andere seinem Beispiel, wie Max Pechstein und Emil Nolde, wieder andere Künstler ließen sich von völkerkundlichen Schauen inspirieren - und auch von Gauguins Îuvre.

Für Picasso wurde der Besuch des Pariser Musée du Trocadéro im Jahre 1907 zu einem Schlüsselerlebnis, in der Kölner Ausstellung erinnert seine »Femme nue en pied« von 1907, eine Vorstudie zu den »Demoiselles d'Avignon«, daran. Grundelemente der modernen Malerei - etwa die Fragmentierung der Wahrnehmung und der Körper - basieren auf Formen der so genannten primitiven Kunst; diese eigentümliche Dialektik von Avantgarde und Primitivismus wird im Museum Ludwig deutlich - in der Collagen-Serie »Aus einem ethnographischen Museum« beispielsweise, die Hannah Höch zwischen 1925 und 1929 anfertigte, oder in Fernand Légers Bühnenmodell »La Création du monde« (1923), dessen Figuren zugleich Züge von Automaten und afrikanischen Skulpturen aufweisen.

Vorherrschend indes sind solche Werke, die vom Traum der europäischen Künstler künden, dass es, gleich ob in Afrika oder Ozeanien, ein den Schrecken der Moderne abgewandtes Idyll zu entdecken gebe. Auf »Europas Entdeckungen« folgen eher kurze, in der jeweiligen Auswahl leicht willkürliche Abstecher nach Lateinamerika, in die USA und nach Asien. Und es sind die unter dem Titel »Globale Gegenwart« versammelten Exponate, die »Kunstwelten im Dialog« sehenswert machen. Hier endlich wird - zumindest stellenweise - deutlich, was Oswald de Andrade in seinem »Anthropophagischen Manifest« beschrieb: Interkulturelle Begegnungen vollziehen sich nicht losgelöst von Macht und Abhängigkeit, auch ein Künstler agiert mit der Last des kolonialen Erbes auf den Schultern. Der in New York lebende Fred Wilson erinnert daran mit seiner Installation »Colonial Collection« (1990): Die Trophäen kolonialer Sammlerleidenschaft - Masken, Käfer, Schmetterlinge - ruhen in zwei Vitrinen, was eine für die gesamte Ausstellung zentrale Frage aufwirft: War die so genannte primitive Kunst in den völkerkundlichen Ausstellungen des frühen 20. Jahrhunderts Beutekunst? Waren die Masken und die Fetische, von denen Picasso, Brancusi, Giacometti usw. beeinflusst waren, Objekte eines Jahrhunderte währenden Raubzugs?

Die hässliche Fratze des Kolonialismus schimmert aber nicht nur hinter den Leinwänden des frühen 20. Jahrhunderts auf. Dass es auch heute um die Chancen nichteuropäischer Künstler auf dem globalisierten Kunstmarkt alles andere als gut bestellt ist, beschäftigt den Kongolesen Chéri Samba. Sein im Foyer des Museums ausgestelltes Triptychon »Quel Avenir pour notre art?« (1997) zeigt ein Alter Ego des Künstlers neben Picasso, beide zeichnen eine afrikanische Maske, doch nur Picassos Arbeit wird im Pariser Centre Pompidou akzeptiert: Von einem gleichberechtigten Dialog zwischen Zentrum und Peripherie - oder gar von einer Auflösung dieses Gegensatzes - kann, sobald man den Standpunkt der Peripherie einnimmt, keine Rede sein.

Einen kritischen Blick auf den propagierten interkulturellen Dialog wirft auch die Südafrikanerin Candice Breitz. In ihrer Fotoarbeit »Rainbow Series« (1990) schneidet sie ethnografische und pornografische Bilder hart aneinander; dabei entstehen disproportionale, aus schwarzen und weißen Gliedmaßen zusammenmontierte Frauenkörper, die sich im Kontext der Kölner Ausstellung als zorniger Kommentar auf die Nacktheitsvisionen der Südseemaler lesen lassen. Eine direkte Konfrontation jedoch vermeiden die Ausstellungsmacher: Folgt man dem Rundgang, hängen die »Rainbow Series« weit weg von den barbusigen Südseeinsulanerinnen eines Max Pechstein oder eines Emil Nolde - zu weit, als dass deren Werke in Verdacht gerieten, exotisch-erotische Reverien zu bedienen.

Nicht nur durch solche Auseinander-Hängung vermeidet man im Museum Ludwig den Konflikt. »Le Thé‰tre du monde« (1993/94), eine Installation des chinesischen Künstlers Huang Yong Ping, war mit Skorpionen, Tausendfüßlern, Grillen und Schaben bestückt. Wie die sich gegenseitig auffraßen, konnten die Besucher der Ausstellung allerdings nur kurz erleben. Zwei Tage nach der Eröffnung wurden die Tiere aus ihrem Gehege, einer Konstruktion aus Holz und Draht in Form einer - ironischerweise Harmonie symbolisierenden - Schildkröte, entfernt. Das sei von Anfang an so geplant gewesen, sagt eine Museumssprecherin auf Anfrage. Der Museumswärter, der auf die nunmehr leere Installation aufpasst, hat eine andere Erklärung: Proteste von Tierschützern hätten dafür gesorgt, dass die gefräßigen Tiere aus dem Museum geschafft wurden.