Die Insel, auf die man flüchtet

Jetzt wird sie eingestellt, »Mallorca«, der »tägliche Trip in den Süden«, die einzige deutsche Soap von Format.

Deutschland ist ein Land, aus dem man flüchtet. Das wissen alle, wir hier drinnen, sonst würden wir unseren Zeitungen keine Titel in englischer Sprache geben, aber auch die anderen da draußen, sonst wären die Deutschen nicht Reiseweltmeister. Dass Deutschland so ist, wie es ist, liegt - neben dem Wetter und den hässlichen Häusern - vor allem an seinen Bewohnern. Niemand kann sie ausstehen, und sie selber können sich selbst am wenigsten leiden. Sie haben keinen Geschmack, selten wirklich Spaß und sparen immer am falschen Ende, um an noch falscheren Ecken dann unglaublich viel Geld auszugeben. Weil das so ist, wie es ist, gab es »Mallorca«, eine Daily Soap auf Pro Sieben. Weil das so ist, wie es ist, erlebt »Mallorca« am kommenden Freitag auch seine letzte Folge, wird dann eingestellt und liefert somit einen weiteren Grund, sich mit den Verhältnissen kritisch auseinanderzusetzen.

»Mallorca« war angetreten als Qualitäts-Daily-Soap. Etwas teurer produziert als die Serien der Konkurrenz und somit etwas besser durchdacht, etwas aufwendiger gefilmt, mit Außenaufnahmen und Bezug zu einem Ort, den es wirklich gibt, der spanischen Insel nämlich, die nicht nur in den deutschen Medien, sondern auch in den real existierenden Urlaubszeiten Fluchtpunkt für alle ist, die es zu Hause nicht mehr aushalten. Mallorca sollte nicht nur Metapher für etwas sein, was sich eigentlich in den Münchner Studios abspielt, sondern tatsächliche Kulisse.

Und so ist es auch. Es gab zwei Orte, an denen das Leben in »Mallorca« hauptsächlich tobte - das Hotel »Sonvent« und die »Finca« - sowie eine Reihe von Nebenschauplätzen wie die Strandbar oder die Disco, die Straßen oder die Yacht oder manchmal die Dörfer im Landesinneren. Eigentlich drehte sich jedoch alles um das Hotel »Sonvent»; fast alle Protagonisten arbeiteten hier, wohnten hier oder hatten sonst irgendwie mit dem Hotel zu tun.

Und im Unterschied zu allen anderen deutschen Seifenopern - egal, ob sie täglich oder wöchentlich laufen - machte diese Konzentration auf einen Ort Sinn. Denn ob im »Marienhof« oder in der »Lindenstraße« - normalerweise ist es höchst fragwürdig und läuft allen Erfahrungen zuwider, dass man sich ausgerechnet mit den Leuten gut verträgt oder gar mit ihnen befreundet ist, mit denen man auch zusammenwohnt, sei es in einer Straße oder in einem Wohnkomplex. So ist es nicht. Im eigenen Haus hat man keine Freunde. Die eigenen Nachbarn beschweren sich über Lärm, haben Hunde und meckern, wenn man sein Altglas nicht in den richtigen Container schmeißt.

Sollte man trotzdem Freunde als Nachbarn haben, dann war man schon vorher mit ihnen befreundet und hat ihnen deshalb die Wohnung vermittelt. Meistens hat man mit den anderen Bewohnern seiner Straße und seines Hauses aber nichts zu tun. Über das gemeinsame Wohnen eine gemeinsame Erlebniswelt zu generieren ist also Unfug. Im echten Leben und in der Soap.

Anders in »Mallorca«. Hier mussten alle zusammenrücken, denn man befand sich im Exil. Da draußen, da, wo alle Protagonisten herkommen, und da, wo wir Zuschauer sitzen, dahin wollte niemand zurück. Das war der kleinste gemeinsame Nenner. Und bevor irgendjemandem in »Mallorca« tatsächlich zugemutet wurde, die Serie Richtung Deutschland verlassen zu müssen, musste er sich schon einiges zu Schulden kommen lassen.

Tim etwa. Er zog lieber zu den Eltern von Fel'pe, als nach Deutschland zurückzukehren. Dabei hatte ihn Julia gerade rausgeworfen, weil sie Fel'pe wollte und nicht mehr Tim. Der Einzige, der in einer gemeinsamen Aktion aller von der Insel vertrieben wurde - Michael -, war dann auch ein ausgewiesener Psychopath, der erst in einige Zimmer einbrechen und Mädchen erschrecken musste, bis ihm die Exilantengemeinde die Solidarität aufkündigte. Im Zweifelsfall bekam jeder einen Kellnerjob im »Sonvent« und kam irgendwo unter.

Die Charaktere in »Mallorca« waren dann auch so weit realistisch, wie es das Soap-Format und seine kurzen Dramaturgiebögen zulassen. Jeder hatte irgendein Geheimnis, einen dunklen Punkt in seiner Vergangenheit, der ihn aus Deutschland hatte fliehen lassen, irgendeine Leiche in deutschen Kellern.

Sei es Rolf Stein, der Strippenzieher und Oberbösewicht der Serie, Besitzer des »Sonvent« und Pate von Mallorca, der in Deutschland wegen betrügerischer Immobilienspekulation per Haftbefehl gesucht wird und der jedem, der es hören will, immer wieder sagt, in Deutschland werde erfolgreichen Geschäftsleuten aus reiner Missgunst und purem Neid ein Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine geworfen. Sei es Julia, ehemalige Richterin, jetzt Tauchbrillen-Verkäuferin, die in Deutschland noch Julius hieß und versucht, ihr Geschlecht und alles, was damit zu tun hat, hinter sich zu lassen. Oder Lena, die einen Ehemann in der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg verließ, sich für tot erklärte und eine neue Identität angenommen hat, um in Mallorca noch einmal von vorne anzufangen. Oder Thomas, der in Deutschland als Callboy gearbeitet hatte und nun in Mallorca sein Glück als Geschäftsmann versuchte.

Für alle war Deutschland Synonym für den Terror der Identität, Chiffre für das, was einen auf etwas festlegen möchte, das man eigentlich gar nicht ist oder zumindest nicht sein möchte. All diese überraschenden Geschichten waren natürlich auch dem Format geschuldet, das immer wieder unbekannte Details aus der Vergangenheit benötigt, um überraschende Wendungen zu nehmen. Aber in »Mallorca« hatten die zumindest Rudimente von Plausibilität.

Deutschland ist ein Land, aus dem man flüchtet, und Mallorca hat hier eine ähnliche Funktion wie Florida für die USA. Das Wetter ist immer gut. Ein Umstand, den man gar nicht genug hervorheben kann, gerade in einer Jahreszeit wie dieser, wo man sein Fernsehprogramm nicht zuletzt von den Temperaturen, die im Film gerade herrschen, abhängig macht.

Auch das Design der Darsteller war prima. Zwar waren die Figuren mitunter etwas zu sehr vom body-shaping gezeichnet, wie etwa Marc und Thomas, aber dass die Skipper auf der Yacht des Paten der Insel so aussehen, war dann doch nicht so unrealistisch. Die Gesichter waren nicht ganz so glatt wie in »Gute Zeiten, schlechte Zeiten«, aber auch nicht ganz so gewöhnlich wie in »Marienhof«. Stefanie etwa war so überzeugend als Millionärs-Töchterchen und Zicke vom Dienst, dass sie ihren gelben Sportwagen und die Tüten aus Designerboutiquen eigentlich gar nicht brauchte, um zu vermitteln, dass sie sich sogar zu fein ist, sich das Badewasser selbst einlaufen zu lassen. Oder Fel'pe. Selten hatte er mehr an als eine Latzhose, und noch seltener brauchte es mehr. Oder Kim, die Ehefrau von Rolf Stein, die so überzeugend schwanger war, dass man nur den Rückschluss ziehen kann, dass die Schauspielerin wohl wirklich ein Kind bekam. Und sie verkörperte überzeugend das trophy chick mit Verantwortungsgefühl.

Während in »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« die Wohnungs- und Bar-Einrichtungen tatsächlich noch Chromverblendungen haben und in den Farbtönen von Intercity-Restaurants der frühen Achtziger gehalten sind, nähert sich »Mallorca« dem westeuropäischen Standard von ästhetischem Empfinden zumindest an.

Ein Problem hat »Mallorca« allerdings: die Spanier, bzw. ihre Darstellung. Alle Schlüsselpositionen der Insel - seien es Ärzte, Immobilienmakler oder Bankiers - sind von Deutschen besetzt. Spanier sind entweder Hausangestellte oder korrupte Beamte oder bessere Menschen oder tot. Nun ja. Nichts ist perfekt. Auch keine Soap-Opera. Und »Mallorca« handelt von Flucht, von politischer Korrektheit war nie die Rede. Zu guter Letzt ist es dann eben doch eine deutsche Produktion. War.