etoy gegen eToys

etoy gegen eToys

Die Cebit versprach allen einen knallbonbonfarbenen Volks-Mac, einen Online-Kühlschrank und ein Handy, das sprechen lernt.

Das gemeinsame Stau-Erlebnis von einigen Tausend Cebit-BesucherInnen, die genervt auf ein Weiterkommen warten, wird vom Klingeln eines Wap-Handys unterbrochen, das bald nicht nur SMS-Nachrichten und Netzzugang bietet, sondern auch sprechen lernt. Neben der Meldung vom Dax-Höchststand pünktlich zum ersten Tag der Computermesse wird es dann auch Werbung in bester PR-Poesie leise in dein Ohr säuseln: »Sich frei bewegen können, bedeutet Freiheit - Freiheit, Neues zu erleben, Schönes zu genießen und Spannendes zu entdecken.« Das wäre ein schöner Slogan für die Cebit, ist aber der Promotiontext für »Move«, das neue computergesteuerte Verkehrsleitsystem für die Expo 2000. Zur Cebit ging es zum ersten Mal in einen Testlauf, der am Eröffnungstag kläglich scheiterte: Lange Staus und ein Ausfall des Steuersystems der Straßenbahn ließen kurzfristig nervöse Agentur-Ticker heißlaufen.

Bald aber ist das böse Omen eines »Auftakts mit Stau« vergessen und die IT-Wirtschaft schwärmt von »der besten Cebit, die es je gab« und dem endgültigen finanziellen Durchbruch des Internet-basierten Global Business. Die Prophezeiungen der letzten Jahre vom Netz als Goldgrube und Innovationsmotor scheinen sich zu bestätigen. Und dieser Motor macht momentan mehr und mehr Umdrehungen. Es wird fusioniert. Nach dem Merger von AOL und Time Warner wird jetzt über eine Ehe von Bertelsmann und Seagram spekuliert. Ganze Konzerne richten ihre Aktivitäten auf die elektronischen Marktplätze aus. Die Hard- und Softwarefirmen überschlagen sich mit technologischen Heilsversprechen einer Alles-ist-online-Zukunft.

Bei uns zu Hause sieht die Welt dann so aus: Der Kühlschrank tätigt selbstständig Einkäufe beim nächstgelegenen Netzknotenpunkt. Der Toaster findet eine Nebenbeschäftigung als Sicherheitsagent und kontrolliert verdächtige Bewegungen vor der Haustür. Das vernetzte Klo untersucht die ankommenden Bioabfälle auf Krankheitsanzeichen.

Außer Haus unterstützt der persönliche digitale Assistent den modernen Menschen. Seine Bestandteile sind in die Kleidung verwoben, vom Massenspeicher in der Schuhsohle bis zum Input/ Output-Modul in der Sonnenbrille. Unvermittelt ausgesprochene Konsumwünsche können direkt an das Netz weitergereicht und befriedigt werden. Abgesehen von den allgegenwärtigen Mikrochips in Waschmaschinen und anderer Haushaltselektronik, ist Computertechnik heute in der Form des hässlich-schönen PCs noch deutlich erkennbar. In den nächsten Jahren wird die Verkleinerung und Vernetzung aller elektrischen Geräte zunehmen und die Computertechnik langsam unserer direkten Wahrnehmung entzogen.

Doch der Übergang des Internet zum größten Shopping Center der Welt verläuft nicht ganz so reibungslos wie erwünscht. Die Kunstgruppe etoy verteidigte z.B. in einer heftigen Auseinandersetzung den Anspruch auf ihren Domain-Namen. Hacks in die eToys-Seiten und die Image-Beschmutzung der Firma in Broker-Chatforen brachten den Spielzeughersteller dazu, seine Klage zurückzuziehen. Die distributed denial of service-Attacken, die vor kurzem zum Ausfall großer eBusiness-Server wie amazon.com führten (Jungle World, 8 und 9/00), sind ein weiteres Indiz für Widerstände gegen die Kolonialisierung des Internet. Ihre Erscheinung ist allerdings eher sporadisch. Sie sind ungezielte Netz-Riots, die ab und an die fortschreitende Kommerzialisierung unterbrechen. Hier stellt sich die Frage, ob virtuelle Sit-Ins und elektronische Attacken experimentelle neue Protestformen oder Rückzugsgefechte nichtkommerzieller Netizens darstellen. Festhalten kann man, dass - nachdem die Euphorie der Internet-Pioniere verflogen ist - netzaktivistische Konzepte, wie man kulturell und politisch auf die Entwicklung kritisch reagieren kann, fehlen.

Netzaktivismus wird immer wieder als Cyberterrorismus gelabelt, gegen den nicht nur die Hüter von Gesetz und Moral vorgehen, sondern auch die eBusiness-Konglomerate. Vor allem die Plattenindustrie hat in den letzten Monaten begonnen, gegen das Internet in seinem jetzigen Zustand zu Felde zu ziehen. Die einfachen Distributionsmöglichkeiten und effektiven Komprimierungstechniken wie MP3 haben sie hochgradig nervös gemacht. Als neueste Waffe hat die International Federation of the Phonographic Industries (IFPI) das Rights Protection System (RPS) vorgestellt. Das Internet soll in nationale Segmente zerteilt werden, in denen das jeweilige staatliche Recht gilt. Webseiten, die ihm nicht entsprechen, sollen blockiert werden. Während RPS noch in der Diskussion ist, scheint sich ein Verschlüsselungsstandard für Musikdateien, der freies Kopieren und Verteilen verhindert, durchzusetzen. Diese Konzepte werden zwar von sportlichen Crackern immer wieder ausgehebelt werden. Aber den Massen-Usern wird nichts anderes übrig bleiben, als die neuen Kontrollstandards aus Unwissenheit zu akzeptieren.

Dass Internetfirmen einen Zuwachs an symbolischer ökonomischer Macht bei gleichzeitigen starken materiellen Verlusten verzeichnen, dass sie klassische Medienkonzerne übernehmen oder mit ihnen zu Mediengiganten fusionieren, wäre nicht ohne die Entwicklungen im Aktienhandel denkbar, der mittlerweile zum Breitensport mutiert ist. Ob der gegenwärtige Aktienrausch wie die Sache mit den Kettenbriefen endet - nur die Ersten gewinnen und der Rest geht leer aus -, wird sich zeigen.

Immerhin werden selbst in Börsenkreisen und bürgerlichen Medien vermehrt kleine rote Fähnchen geschwenkt. Die Welt warnte vor kurzem vor einer gefährlichen neuen Machtelite aus Fondsmanagern und Aktien-Analysten. Das Handelsblatt kritisierte den Sharehopper, der mit dem schnellen An- und Verkauf von dot.com-Aktien Geld machen wolle. Und die Zeit wies darauf hin, dass der Softwareanbieter SAP zwar 29mal weniger Umsatz als DaimlerChrysler mache, trotzdem aber 20 Milliarden Euro höher im Börsenwert liege und hypothetisch eine feindliche Übernahme gewinnen könnte.

Die Zielrichtung ist klar: Wenn sich die Euphorie in Sachen eCommerce für die Firmen auszahlen soll, dann geht das am besten mit 99 Prozent Netzabdeckung. Das heißt, alle, die es sich leisten können, kriegen einen knallbonbonfarbenen Volks-Mac und einen Online-Kühlschrank. Und wenn das Netz früher oder später zu einem, sagen wir, 2 000 Kanäle umfassenden Web-Fernseher transformiert ist, mit eingebautem Einkaufswagen und pseudo-demokratischen Ted-Abstimmungs-Pad, wird neben den privaten Homepages am Rande Platz für einige geduldete Reservate bleiben, wie sie in dem zeitgleich mit der Cebit erschienenen neuen Roman von William Gibson, »All Tomorrow's Parties«, skizziert werden.

Da hilft es wenig, wenn in diversen kritischen Medien, so auch kürzlich in dieser Zeitung, entweder taktische Erfolge und digitale Riots als Triumph verbucht werden oder im Gegenteil die Dramatik des derzeitigen Schleudergangs banalisiert wird. »Das Internet ist keine reine Blümchenwiese mehr«, hat der Chaos Computer Club gesagt. Und von den neuen Eroberungen des eBusinesses werden wir im nächsten Jahr so um die gleiche Zeit auf der Cebit 2001 erfahren - ganz wie es das kommende Motto verspricht: »Get the spirit of tomorrow«.