Börne-Preis an Augstein

Dank und Undank

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Joachim Fest und Marcel Reich-Ranicki haben ihn schon, H. M. Enzensberger hat ihn noch nicht, dafür aber den Heine-Preis, es war also nicht ganz leicht zu erraten, wen Frank Schirrmacher in diesem Jahr mit dem Ludwig-Börne-Preis auszeichnen würde. Ich gestehe, dass ich mir insgeheim Hoffnungen gemacht habe. Denn ich bin - auch das muss einmal gesagt werden - der Nestor und Doyen der Schirrmacher-Forschung. Gäbe es eine Schirrmacher-Gesellschaft, wäre ich ihr Präsident, gäbe es Schirrmacher-Kongresse in Toronto oder Johannesburg, hielte ich das Hauptreferat. In jahrelangem pädagogischen Bemühen habe ich mich um Frank Schirrmachers Werk verdient gemacht. Zwar gelang es mir nicht, seinen Stil zu verbessern, aber ich habe ihn doch bewegen können, seine Artikel, bevor sie in Druck gehen, von seiner Sekretärin redigieren zu lassen. Er schreibt jetzt fast gar nichts mehr, das wenige aber ist so gut wie fehlerfrei. Und dafür, finde ich, sollte ich auch einmal einen Preis bekommen.

Es traf aber Rudolf Augstein, auf den man zuallerletzt gewettet hätte. Vor Jahren berichtete der Spiegel, Schirrmacher habe seinen Doktortitel nicht etwa, wie man es von einem herausragenden Repräsentanten der Geistesrepublik wohl vermuten durfte, in Oxford erworben, sondern an der Gesamthochschule Siegen, und obendrein mit »anrüchigen« Mitteln. Dass er zum Nachfolger des großen Fest emporschnellte, verdanke er weniger seinen Fähigkeiten als einer perfiden Schleim- und Schmiegetechnik. Er könne wohl nicht ganz dicht sein, behaupte er doch manchmal, seine Kindheit unter äthiopischen Menschenräubern verbracht zu haben. Und erst neulich war im Spiegel-Reporter zu lesen, Schirrmachers größte Lust sei es, untergebene Redakteure zu demütigen.

Ausgerechnet dem Mann, der alle diese Denunziationen verantwortet, bescheinigt Schirrmacher nun, er habe es, nach dem letzten Weltkrieg etc., der Bundesrepublik ermöglicht, »wieder in ein Gespräch mit sich selbst und der Umwelt einzutreten. Er hat dem Land damit innere Freiheit wiedergegeben.« Er stehe »wie kaum ein anderer Publizist in der aufklärerischen und freiheitlichen Tradition, die Ludwig Börne in der deutschen Geistesgeschichte begründete«. Augsteins »argumentative Kraft, sein ebenso polemisches wie politisches Temperament, sein publizistischer Rang und Einfluss machen ihn zu einem Preisträger, dem Börne nicht seinen Respekt und vermutlich auch nicht seine Freundschaft versagt hätte«.

Das klingt nun alles klar und unmissverständlich. Aber gerade die Abwesenheit des gewohnten Schirrmacher-Sounds lässt vermuten, dass er es so, wie er es gesagt hat, nicht gemeint haben kann. Es muss in diesem Lob eine geheime Botschaft stecken, ein satirischer Subtext. Augstein ist Geschäftsmann und ein dilettierender Historiker oder, wie man neuerdings sagt, ein Geschichtsdenker. Ihn durch den Vergleich mit Börne lächerlich zu machen, ist nicht Schirrmachers besondere Absicht, sondern bloß das Prinzip aller Kulturpreise. Die Gemeinheit muss sich in der Unterstellung verbergen, ein heutiger Börne wäre Augsteins Freund. Dass Augstein überhaupt Freunde hätte, ist nicht bekannt. Dass aber gerade Börne, der Jude war, mit unserem prominentesten praktizierenden Antisemiten befreundet sein könnte, ist absurd.

Auf die Preisverleihung am 5. November in der Frankfurter Paulskirche, auf Schirrmachers Laudatio wie auf Augsteins Dankrede darf man sich jetzt schon freuen. Es wird das schönste Kabarett werden.