Griechisch-orthodoxer Fundamentalismus

Jesu Sklaven

In Windeseile hat der griechisch-orthodoxe Erzbischof Christodoulos eine rechte Sammlungsbewegung gegründet - mit einer Mischung aus Nationalismus, Antisemitismus und religiösem Fundamentalismus.

Renaissance, Reformation und Aufklärung, industrielle Revolution und 68er-Bewegung haben Griechenland nicht berührt; das Mittelalter lebt. Zu diesem Schluss musste kommen, wer letzten und vorletzten Mittwoch die Volksversammlungen in Thessaloniki beobachtete, auf denen christliche Fundamentalisten und andere Rechte gegen die geplante Änderung des griechischen Passgesetzes demonstrierten.

Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Konfrontation zwischen der orthodoxen Kirche und dem Staat am 21. Juni. Rund eine Million Demonstranten lauschte an diesem Tag in Athen dem Erzbischof Christodoulos (wörtlich übersetzt bedeutet der Name »Sklave Jesu«), der von einem Rednerpult gegenüber dem griechischen Parlament der Regierung drohte, sechs Millionen Unterschriften zu sammeln, um den Bundespräsidenten zu einer Volksabstimmung zu zwingen. Nach der griechischen Verfassung wäre dazu zwar die absolute Mehrheit des Parlaments notwendig, aber was zählt schon dessen Beschlussfassung gegenüber dem Willen Gottes?

Die Auseinandersetzung hatte ihren Anfang Mitte Mai genommen, als die neu gewählte sozialdemokratische Regierung entschied, demnächst in Umsetzung eines Gesetzes aus dem Jahr 1997 »sensible persönliche Daten« wie die Religionszugehörigkeit, den Namen des Ehegatten, den Beruf und die Adresse aus den Personalausweisen zu streichen (Jungle World, 23/00). In einigen Jahren sollen ohnehin auch die GriechInnen einheitliche EU-Ausweise erhalten. Für die Kirche war diese Entscheidung eine »Kriegserklärung«. Seitdem ruft Christodoulos zu als »Volksversammlungen« bezeichneten Großveranstaltungen auf.

Die Religionszugehörigkeit wird seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Personalausweisen eingetragen, um Linke, AtheistInnen und Mitglieder von Minderheitsreligionen erkennbar zu machen. Die deutschen Besatzer hatten diese Information in den von ihnen herausgegebenen Ausweisen nicht vermerkt, weil die Juden meist allein wegen ihrer Namen erkennbar waren.

Die Kirche fordert jetzt den »freiwilligen Eintrag der Religionszugehörigkeit«. Diese Regelung gilt auch heute schon, sie hat aber in der Praxis dazu geführt, dass jeder, der »Atheist« eintragen ließ, bei Polizei-Kontrollen die Konsequenzen unmittelbar zu spüren bekam.

Die zwei »Volksversammlungen« in Thessaloniki und Athen haben gezeigt, dass in Griechenland ein großes reaktionäres Wählerpotenzial existiert, das nur darauf wartet, seine griechischen und byzantinischen Fahnen für einen Politiker mit »Führerqualitäten« zu schwenken. In der Figur des Erzbischofs hat die Rechte diese Führergestalt gefunden.

Christodoulos fiel schon vor seinem Amtsantritt durch die Verbreitung von ultranationalen, antisemitischen und fundamentalistischen Ideen auf. Enge Beziehungen pflegte er zum Verleger der faschistischen Zeitung Stochos (Ziel), Kostas Kapsalis. Kapsalis, der im letzten Jahr verstorben ist, pflegte von den »verlorenen Teilen des Vaterlands« zu schwärmen; damit sind große Teile Albaniens, der Republik Makedonien und der Türkei gemeint, die irgendwann in der Geschichte einmal zu Griechenland gehörten.

Solchen revanchistischen Tagträumen gibt sich auch Christodoulos hin, und ihnen verdankt er seinen Spitznamen »Erzbischof Blitz«. Stochos drohte vor zwei Jahren sogar, »griechisch gesinnte Offiziere« würden diejenigen »verschwinden lassen«, die sich gegen Christodoulos richteten, »und harte Bestrafung erwartet ihre Anstifter«.

Der Streit um den Vermerk der Religionszugehörigkeit hat zahlreiche weitere reaktionäre Strömungen aufgeweckt, die zum Teil schon seit langem in der griechischen Gesellschaft vorhanden waren. Die Neonazi-Organisation Chrisi Avgi hat ihre paganistische Orientierung und den Kampf gegen das »Judenchristentum« aufgegeben und ruft zur Unterstützung von Christodoulos auf. Ihre Mitglieder sowie diejenigen aller möglichen anderen faschistischen, paramilitärischen und parareligiösen Gruppen nehmen an den »Volksversammlungen« teil. Aber die große Masse bilden einfache Menschen, die, von den Politikern enttäuscht, einem weihnachtsmannähnlichen, freundlichen und intelligenten christlichen Mann nachlaufen.

Hauptfigur unter den Unterstützern von Christodoulos ist der Journalist Giorgos Karatzaferis, ein Parlamentsabgeordneter, der früher der konservativen Nea Dimokratia angehörte. Karatzaferis wurde vor zwei Monaten aus der ND ausgeschlossen, nachdem er in einem akuten Anfall von Homophobie eine angebliche homosexuelle Beziehung des Vorsitzenden Kostas Karamanlis mit seinem Stellvertreter Aris Spiliotopoulos für die Wahl-Niederlage der Partei verantwortlich gemacht hatte.

Karatzaferis besitzt auch den rechtsradikalen Fernsehsender Telecity, wo er in seiner täglichen Sendung die angebliche jüdische Abstammung aller Politiker entlarvt, die das Streichen der Religionsform unterstützen. »Das Land wird von Juden beherrscht. Der Ministerpräsident Kostas Simitis hat auch jüdische Vorfahren. Sein Großvater hieß Aaron Avouris.« Schon vor vier Jahren behauptete Karatzaferis öffentlich, der damalige Vize-Außenminister Christos Rosakis sei ein Jude, der seinen jüdischen Namen verändert habe. Niemals, so Karatzaferis, hätte »das Schicksal der Heimat« in Rosakis' Händen liegen dürfen.

Antisemitismus wurde in Griechenland kaum je thematisiert. Bis zum nationalsozialistischen Massenmord waren etwa die in Thessaloniki lebenden Juden ein überaus wichtiger Teil der Gesellschaft, während die orthodoxen Griechen eine Minderheit darstellten. Aber dem kollektiven Bewusstsein gelten die Juden als die grundsätzlich Anderen; bis heute werden sie als die Nachfahren jener Verdammten stigmatisiert, die Jesus kreuzigten.

»Juden, Freimaurer, niemand kann euch retten!« drohten auch auf den »Volksversammlungen« viele Flugblätter. Gleichzeitig wurden innerhalb von zwei Wochen in Thessaloniki und Piräus zwei jüdische Friedhöfe und eine Synagoge beschädigt und mit Parolen wie »Juden raus!« oder »Hitler hatte Recht!« besprüht.

»Während Kemal Atatürk die Türkei längst zu einem laizistischen Staat gemacht hat, befindet sich Griechenland im tiefsten Mittelalter«, bemerkte vor zwei Jahren auf einem Kongress der Jura-Professor Michalis Stathopoulos, ein Mann, der spätestens seit der blutigen Räumung des Athener Polytechnikums, bei der er eine äußerst unrühmliche Rolle spielte, nicht unbedingt der progressiven Linken zugeordnet werden kann. » Es wäre sehr wohl möglich«, so Stathopoulos weiter, »die Trennung von Kirche und Staat über die Verfassung durchzusetzen. Aber eigentlich ist das gar nicht nötig. Die Hauptsache ist, dass ein paar Gesetze abgeschafft werden und eine Alltagspraxis, die die Grundrechte verletzt.«

Nach der Wahl vor zwei Monaten übernahm Stathopoulos, das Amt des Justizministers. Bislang hält er dem Druck der Straße stand, doch hinter den Kulissen sollen bereits Gespräche mit Vertretern der Kirche laufen, die eine einvernehmliche Lösung zum Ziel haben.

Das klingt, als führte der vernünftigen Staat Krieg gegen die irrationale Kirche. Doch der Eindruck täuscht. Auch für viele Politiker sind Staat und Kirche eins. Gerne nimmt das griechische Militär die jährliche Zuwendung der orthodoxen Kirche entgegen, die zu den Mehrheitsaktionären der Nationalbank zählt. Und auch viele Pasok-Abgeordnete sind mit den Meinungen von Christodoulos einverstanden. Man darf gespannt sein, ob sie für eine Volksabstimmung stimmen.